Das Hessische Finanzgericht hatte über die Frage zu entscheiden, ob das Abzugsverbot für Hinterziehungszinsen nicht nur im Falle der Hinterziehung von Steuern im engeren Sinne, sondern auch bei der Hinterziehung von Zöllen greift.
Die Beteiligten streiten um die steuerliche Anerkennung von Aufwendungen aus Anlass der Passivierung einer Rückstellung wegen der befürchteten Festsetzung von Hinterziehungszinsen auf Zollabgaben. Die Klägerin ist eine im Handelsregister eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Aufgrund von Ermittlungen der Zollbehörden bezüglich der möglichen Nacherhebung von Antidumpingzöllen wegen der fehlerhaften Herkunftsdeklarierung von in den Jahren 1999 bis 2002 eingeführten Stahlseilen passivierte die Klägerin in ihrer Bilanz zum 31.12.2006 eine Rückstellung in Höhe von 200.000,- Euro wegen der voraussichtlichen Festsetzung von Hinterziehungszinsen für die möglicherweise pflichtwidrig nicht angemeldeten Zollabgaben. Den mit dieser Maßgabe ermittelten Jahresüberschuss für 2006 berücksichtigte die Klägerin in ihren beim beklagten Finanzamt abgegebenen Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen, denen das Finanzamt zunächst durch Erlass entsprechender Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung folgte.
Das Hauptzollamt setzte die von der Klägerin befürchteten Zinsen durch Bescheid vom 25.05.2007 unter Verweis auf §§ 235, 238, 239 AO i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 3 AO in Höhe von 190.204,25 Euro fest. Rechtsbehelfe hiergegen wurden nicht eingelegt. Die Zinsfestsetzung ist bestandskräftig.
Im Rahmen einer für die Jahre 2005 bis 2008 durchgeführten Betriebsprüfung gelangte das Finanzamt später zu der Einschätzung, dass die vom Hauptzollamt festgesetzten Zinsen nach § 4 Abs. 5 Nr. 8 EStG nicht abzugsfähig seien und löste die Rückstellung in einer zum 31.12.2006 erstellten Prüferbilanz erfolgswirksam auf. Das Finanzamt folgte diesen Prüfungsfeststellungen und erließ am 31.05.2010 nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Bescheide über Körperschaftsteuer 2006, Gewerbesteuermessbetrag 2006 und gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31.12.2006 , in denen es die Prüfungsfeststellungen berücksichtigte.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage zum Hessischen Finanzgericht und argumentierte wie folgt:
Der Tatbestand des Abzugsverbotes nach § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG sei im Falle der Festsetzung von Hinterziehungszinsen durch die Zollbehörden nicht erfüllt, da es sich bei den der Festsetzung zu Grunde liegenden Antidumpingzöllen nicht um „Steuern“ im Sinne dieser Vorschrift handele. Steuern seien keine Zölle, was sich bereits aus der laut Website des Bundesfinanzhofs klaren Trennung dieser Abgaben ergebe („oberstes Bundesgericht für Zölle und Abgaben“). Zölle dienten nicht in erster Linie der Finanzierung des Gemeinwesens, sondern dem Schutz der Industrie. Eine Gleichbehandlung ergebe sich auch nicht aus der rein verfahrensrechtlichen Vorschrift des § 3 Abs. 3 AO. Aus der gesetzgeberischen Intention des § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG folge nichts anderes. Danach hätten lediglich „Zinsen auf hinterzogene Betriebssteuern“ vom Auszug ausgeschlossen werden sollen. Die Annahme des Finanzamtes, dass Zölle Betriebssteuern seien, beruhe auf dem Zirkelschluss einer Gleichstellung von Zöllen und Steuern. Für Betriebssteuern gelte die Spezialvorschrift des § 10 Nr. 2 KStG.
Im Übrigen seien im Streitfall in materiell-rechtlicher Hinsicht auch keine Hinterziehungszinsen i.S.d. § 235 AO festgesetzt worden. Eine vorsätzliche Hinterziehung von Zollabgaben liege nicht vor, da die Klägerin von ihren Geschäftspartnern über die Herkunft der fraglichen Waren getäuscht worden sei. Der Bescheid des Hauptzollamtes über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen sei daher rechtswidrig. Er sei von der Klägerin nur deshalb nicht angefochten worden, weil er auf einer Einigung mit den Zollbehörden beruhe. Der Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin habe sich auf einen milden Strafbefehl nebst Festsetzung der Hinterziehungszinsen eingelassen, um im örtlichen Umfeld seiner Heimatstadt kurz vor seinem Ruhenstand nicht seinen guten Ruf zu ruinieren. Als Kaufmann habe er eingesehen, dass eine Verzinsung der Zollforderung sachgerecht sei. Da Zinsansprüche der Zollbehörden mangels Anwendbarkeit des § 233a AO nur auf eine vorsätzliche Abgabenhinterziehung gestützt werden könnten, sei es zu dem Bescheid gekommen.
Dieser Argumentation ist das Hessische Finanzgericht nicht gefolgt.
Der von der Klägerin als Aufwand an sonstige Rückstellungen gebuchte und vom Finanzamt unter gleichzeitiger Anpassung der für Körperschaftsteuerzwecke gebildeten Gewerbesteuerrückstellung wieder hinzugerechnete Betrag von 200.000,- Euro wegen der drohenden Inanspruchnahme aus einem Bescheid über die Festsetzung von Zinsen durch die Zollbehörden ist nach § 8 Abs. 1 KStG und § 7 Abs. 1 Satz 1 GewStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG steuerlich nicht abziehbar.
Nach § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG in der Fassung des Streitjahres dürfen Zinsen auf hinterzogene Steuern nach § 235 AO den Gewinn des Steuerpflichtigen nicht mindern. Die Frage der Anwendbarkeit des § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG auf Zölle wird in der Literatur soweit ersichtlich nicht vertieft. Sofern dabei erläuternde Bemerkungen zum sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift gemacht werden, wird entsprechend der Gesetzesbegründung überwiegend auf die beabsichtigte Erhebung von Hinterziehungszinsen auf „Betriebssteuern“ oder „betriebliche Steuern“ verwiesen. Die fehlende Auseinandersetzung in der Literatur dürfte auf dem Umstand beruhen, dass die Festsetzung von Hinterziehungszinsen durch eine Zollbehörde nach § 1 Abs. 1 AO i.V.m. § 235 AO in der Praxis verhältnismäßig selten vorkommt.
Es trifft zwar zu, dass sich die in § 3 Abs. 3 AO enthaltene Fiktion der Zölle als „Steuern“ nur auf den Anwendungsbereich der Abgabenordnung bezieht und wegen der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Regelungsbereiche auf die Auslegung der autonom anzuwendenden Rechtsbegriffe des Einkommensteuergesetzes grundsätzlich keine Auswirkungen hat. Nach der Überzeugung des Hessischen Finanzgerichts ist der Tatbestand des § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG jedoch – wie das Finanzamt sinngemäß meint – so auszulegen, dass dieser nur ein einheitliche Tatbestandsmerkmal in Gestalt der festgesetzten „Zinsen auf hinterzogene Steuern nach § 235 AO“ enthält. Insoweit ist der Begriff der „Steuern“ nicht (wie die Klägerin sinngemäß meint) ein im Rahmen des Gesetzestatbestandes des § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG neben dem Merkmal der „Festsetzung von Zinsen“ („nach § 235 AO“) selbständig zu prüfender Begriff, sondern lediglich Teil einer einheitlichen gesetzlichen Verweisung auf den Tatbestand des § 235 AO, der sowohl in seiner amtlichen Überschrift („Verzinsung von hinterzogenen Steuern“) als auch in seinem Einleitungssatz (§ 235 Abs. 1 Satz 1 AO: „Hinterzogene Steuern sind zu verzinsen“) den Begriff der „Steuern“ verwendet. Die Verwendung des Wortes „Steuern“ in § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG bezieht sich damit auf den Begriff der „Steuern“, wie er dem verfahrensrechtlichen Gesetzestatbestand des § 235 AO zu Grunde liegt. Da sich dieser nach der eindeutigen Anordnung des § 3 Abs. 3 AO auch auf Zölle im Allgemeinen und damit auch auf die hier betroffenen Antidumpingzölle im Besonderen bezieht, unterliegen auch die gegenüber der Klägerin mutmaßlicherweise festgesetzten und zuvor aufwandswirksam zurückgestellten Hinterziehungszinsen grundsätzlich dem Abzugsverbot nach § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG.
Nur diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck des Abzugsverbotes. Denn aus den parlamentarischen Erwägungen zur Einführung des § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG ergibt sich, dass das Abzugsverbot für Hinterziehungszinsen vor dem Hintergrund des bereits bestehenden Abzugsverbotes für Geldbußen nach § 4 Abs. 5 Nr. 8 EStG eingeführt wurde, unter das zweifelsfrei sowohl die in einem Verfahren wegen Hinterziehung von Steuern im engeren Sinne als auch die in einem Verfahren wegen Hinterziehung von Zöllen festgesetzten Geldbußen fallen. Demgegenüber darf der im Bericht des Finanzausschusses verwendete Begriff der „Betriebssteuern“ nicht überbewertet werden. Der gleichzeitige Verweis auf das Abzugsverbot für Geldbußen nach § 4 Abs. 5 Nr. 8 EStG spricht dafür, dass sich die Verfasser der Parlamentsdrucksache über die exakte inhaltliche Abgrenzung dieses Begriffs nicht vollends im Klaren waren und diesen Begriff nur zur allgemeinen (untechnischen) Erläuterung der Regelung angeführt wissen wollten.
Für die Entscheidung des Streitfalls kann nach Auffassung des Hessischen Finanzgerichts auch dahingestellt bleiben, ob die Behauptung der Klägerin zutrifft, nach der eine Hinterziehung von Zollabgaben der Sache nach nicht stattgefunden hat, der Tatbestand des § 235 AO mithin nicht erfüllt und der Bescheid des Hauptzollamtes daher rechtswidrig ist. Denn den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bildet nicht die Abzugsfähigkeit von festgesetzten (Hinterziehungs-) Zinsen, sondern die Abzugsfähigkeit des buchhalterischen Aufwands aus der Passivierung einer Rückstellung für die von der Klägerin zum 31.12.2006 befürchtete Festsetzung von Zinsen als – nach kaufmännischer Einschätzung zumindest für überwiegend wahrscheinlich gehaltenes – Ergebnis der von den Zollfahndungsbehörden durchgeführten strafrechtlichen Ermittlungen wegen der objektiv unzutreffenden Deklarierung der eingeführten Waren. Auf die Frage, ob den Zollbehörden tatsächlich der Nachweis einer vorsätzlichen Abgabenhinterziehung auf Seiten der Klägerin gelingen wird und der materiell-rechtliche Tatbestand einer Hinterziehung i.S.d. § 235 AO vorliegt, kam es aus der Perspektive des 31.12.2006 damit gerade nicht an. Für die Bildung der Rückstellung genügte vielmehr die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Inanspruchnahme wegen Hinterziehungszinsen.
Dessen ungeachtet folgt das Hessische Finanzgericht der Rechtsauffassung des Finanzamtes und erachtet es im Rahmen des § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG für ausreichend, wenn der fragliche Zinsbetrag unter Verweis auf die Rechtsgrundlage des § 235 AO bestandskräftig festgesetzt wurde und der hiervon betroffene Steuerpflichtige von seinen diesbezüglich bestehenden Anfechtungsmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht hat. Dem auf § 235 AO gestützten Bescheid kommt insoweit die Funktion eines bindenden Grundlagenbescheides zu, wofür die wörtliche Bezugnahme des § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG auf Zinsen „nach § 235 der Abgabenordnung“ spricht.
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 24.06.2014 – 4 K 1207/12