martina heck

31.01.2014

Rentenabfindungen berufsständischer Versorgungswerke in der Einkommensteuer

Der Bundesfinanzhof hatte aktuell über die Frage der Steuerpflicht von Rentenabfindungen berufsständischer Versorgungswerke zu entscheiden.

In dem entschiedenen Fall erhielt der 1948 geborene Kläger vom Altersversorgungswerk der Ärztekammer (Versorgungswerk) in 2008 eine einmalige Rentenabfindung in Höhe von 293.694,16 EUR, die auf seinen Beitragszahlungen bis zum 31.12.2004 beruhte. Seit dem 01.03.2008 erhält er vom Versorgungswerk außerdem eine monatliche Altersrente in Höhe von 209,93 EUR; diese beruht auf den von ihm ab dem 01.01.2005 geleisteten Beiträgen.

Der beklagte Finanzamt besteuerte sowohl die Kapitalleistung als auch die Rentenzahlungen mit dem Besteuerungsanteil von 56 % gemäß § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa S. 3 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung (EStG).

Die Kläger vertraten demgegenüber – auch im erfolglosen Vorverfahren – die Auffassung, die einmalige Rentenabfindung sei nicht der Einkommensteuer zu unterwerfen. Mangels wiederkehrender Zahlungen in gleichbleibender Höhe und gleichmäßigen Zeitabständen scheide die Besteuerung der Einmalzahlung des Versorgungswerks als Leibrente aus. Eine Besteuerung als andere Leistung i.S. des § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG komme nicht in Betracht. Überdies sei die Rentenabfindung mit der Kapitalleistung einer “alten” Kapitallebensversicherung vergleichbar, deren Auszahlung nach einer Laufzeit von mehr als zwölf Jahren ebenfalls steuerfrei möglich gewesen wäre. Zudem liege eine Doppelbesteuerung vor, zu der es durch die Neuregelungen des Alterseinkünftegesetzes (AltEinkG) vom 05.07.2004 nicht kommen dürfe. Infolgedessen müsse im Streitfall der auf die eingezahlten Beiträge entfallende Besteuerungsanteil der Einmalzahlung in Höhe von 107.823,33 EUR (192.541,65 EUR x 56 %) steuerfrei gestellt werden. Die Rentenabfindung sei insgesamt zu zwei Dritteln aus bereits versteuerten Mitteln finanziert worden. In dieser Höhe hätten sich die eingezahlten Beiträge wegen der geltenden Höchstbeträge für den Sonderausgabenabzug von Vorsorgeaufwendungen nicht steuermindernd ausgewirkt.

Hilfsweise beantragten die Kläger unter Vorlage der Bescheinigung des Versorgungswerks vom 07.04.2011 die Anwendung der Öffnungsklausel gemäß § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb S. 2 EStG. Dementsprechend änderte das Finanzamt am 31.01.2012 den Einkommensteuerbescheid für 2008. Der steuerpflichtige Teil der Einmalzahlung beträgt danach unter Berücksichtigung der Öffnungsklausel 164.418 EUR (56 % von 293.605 EUR). Das Finanzamt wandte die Öffnungsklausel ebenfalls auf die Rentenzahlungen an.

Im Rahmen des Klageverfahrens legten die Kläger dem Finanzgericht eine Aufstellung vor, nach der sich von den in den Jahren 1982 bis 2004 an das Versorgungswerk in Höhe von 188.547 EUR eingezahlten Beiträge 127.904 EUR nicht als Vorsorgeaufwendungen im Rahmen des Sonderausgabenabzugs steuermindernd ausgewirkt hätten. Zur Ermittlung dieses Betrags haben die Kläger das Verhältnis ihrer gesamten Vorsorgeaufwendungen in den Jahren 1982 bis 2004 zum jeweiligen Höchstbetrag für den Sonderausgabenabzug von Vorsorgeaufwendungen errechnet und die in den jeweiligen Jahren an das Versorgungswerk gezahlten Beiträge entsprechend aufgeteilt. Für die Jahre 1982 bis 1986 konnten die Kläger die Höhe ihrer sonstigen Vorsorgeaufwendungen nicht mehr feststellen, so dass sie zur Aufteilung der an das Versorgungswerk gezahlten Beiträge den Durchschnitt der Jahre 1987 bis 2004 angesetzt haben.

Nachdem das Finanzgericht die Klage abgewiesen hatte, hat nun der Bundesfinanzhof auch die hiergegen gerichtete Revision zurückgewiesen.

Bei der Rentenabfindung des Versorgungswerks handelt es sich um eine andere Leistung gemäß § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG (unter 1.). Auf den Teil der Einmalleistung, der auf Beiträgen beruht, die oberhalb des Höchstbetrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden, konnte die Öffnungsklausel des § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb S. 2 EStG angewendet werden (unter 2.). Im Streitfall verstößt die Besteuerung der Einmalleistung nicht gegen das Verbot der Doppelbesteuerung (unter 3.), so der Bundesfinanzhof.

1. Die Rentenabfindung des Versorgungswerks ist als “andere Leistung” i.S. des § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a EStG zu besteuern, obwohl sie keine wiederkehrende Leistung i.S. des § 22 Nr. 1 S. 1 EStG ist.

Der Besteuerungsgegenstand der sonstigen Einkünfte des § 22 EStG wird seit dem Inkrafttreten des AltEinkG für die Fallgruppen des § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst a EStG autonom durch die Begriffe “Leibrenten und andere Leistungen” in Verbindung mit den nachfolgenden Aufzählungen und Definitionen in den Doppelbuchstaben aa und bb umschrieben. Die “anderen Leistungen” des § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a EStG liegen damit unabhängig davon vor, ob sie entsprechend § 22 Nr. 1 S. 1 EStG wiederkehrend sind. Konsequenz ist, dass auch einmalige Kapitalleistungen als “andere Leistungen” i.S. des § 22 Nr. 1 S. 3 EStG steuerpflichtig sind, sofern die Voraussetzungen von § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa oder bb EStG erfüllt sind.

Dieses Ergebnis entspricht dem im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers, da der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages in § 22 Nr. 1 S. 3 EStG den Steuergegenstand bewusst um “andere Leistungen” erweitert hat, um Kapitalleistungen besteuern zu können, die andernfalls nicht steuerbar gewesen wären.

Vor allem entspricht die Besteuerung der Einmalleistungen der berufsständischen Versorgungswerke gemäß § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG dem Sinn und Zweck des AltEinkG und den darin normierten grundlegenden Wertungen, zu denen die Einordnung der berufsständischen Versorgung in die Basisversorgung des sog. Drei-Schichten-Modells, der Übergang zur nachgelagerten Besteuerung bei der Basisversorgung sowie die Kohortenlösung der Übergangsregelung gehören. Die zutreffende Qualifizierung der berufsständischen Versorgung als Basisversorgung hat zur Folge, dass wegen der nachgelagerten Besteuerung nunmehr nicht nur die “Erträge” aus dem Vermögen, das aus steuerlich entlasteten Beiträgen aufgebaut wurde, sondern auch der Rückfluss des Altersvorsorgevermögens als solches einschließlich der damit verbundenen Wertsteigerungen vom Gesetzgeber als steuerpflichtiges Einkommen angesehen werden. Demzufolge kann es auf die Form der Auszahlung nicht mehr ankommen, so dass auch einmalige, nicht wiederkehrend erbrachte Leistungen der Besteuerung nach § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG unterliegen. Alle Leistungen der Basisversorgung – einschließlich der Kapitalleistungen der berufsständischen Versorgungswerke – sind zwingend in die Kohortenlösung der Übergangsregelung einzubeziehen, welche die unterschiedlichen Altersversorgungssysteme in das System der nachgelagerten Besteuerung überführt.

2. Das Finanzgericht hat die Öffnungsklausel gemäß § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb S. 2 EStG nur im Hinblick auf die Rentenabfindung zutreffend angewendet.

Die Leistungen des Versorgungswerks beruhten entsprechend der Bescheinigung des Versorgungswerks vom 07.04.2011 zu 0,03 % auf bis zum 31.12.2004 geleisteten Beiträgen, die oberhalb des Betrags des Höchstbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt wurden. Der gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb S. 2 EStG erforderliche Antrag wurde vom Kläger gestellt.

Da in der Einmalleistung kein Ertrag aus dem Rentenrecht i.S. des § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb S. 1 EStG enthalten ist, kommt es insoweit in Höhe von 89 EUR (0,03 % von 293.694 EUR) zu keiner Besteuerung.

Demgegenüber hat das Finanzamt die Öffnungsklausel zu Unrecht auch auf die Rentenzahlungen angewendet, obwohl diese nur auf den nach dem 31.12.2004 geleisteten Beiträgen beruhten, so dass die Voraussetzungen des § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb S. 2 EStG nicht erfüllt waren. Da sich dieser Fehler im Ergebnis aber zugunsten der Kläger ausgewirkt hat, bleibt es im Hinblick auf das Verböserungsverbot bei der getroffenen Entscheidung.

3. Die Besteuerung der Kapitalleistung verstößt im Streitfall nicht gegen das Verbot der Doppelbesteuerung.

In seinem Urteil vom 06.03.2002 forderte das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber auf, die steuerliche Behandlung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen “in jedem Fall” so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird, ohne jedoch den Begriff “doppelte Besteuerung” zu konkretisieren.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesfinanzhofs ist eine doppelte Besteuerung gegeben, wenn die steuerliche Belastung der Vorsorgeaufwendungen höher ist als die steuerliche Entlastung der Renten, dabei gilt grundsätzlich das Nominalwertprinzip. Bei der Ermittlung der steuerlichen Belastung der Aufwendungen ist der Sonderausgabenabzug anhand der Beitragssätze der gesetzlichen Sozialversicherung aufzuspalten. In die Berechnung des steuerfreien Anteils der Rentenzahlungen sind die bisher vereinnahmten sowie die der statistischen Wahrscheinlichkeit nach zu erwartenden Leistungen einzubeziehen.

Nach den dem Urteil des Finanzgerichts zu Grunde liegenden Zahlen, an die der Bundesfinanzhof gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, hat der Kläger in den Jahren von 1982 bis 2004 Beträge in Höhe von 188.547 EUR an das Versorgungswerk entrichtet. Aufgrund der Aufstellungen der Kläger wurden Beiträge in Höhe von 127.904 EUR aus steuerlich nicht entlastetem Einkommen geleistet. Dem stehen ein steuerfreier Teil der Einmalzahlung in Höhe von 129.187 EUR sowie ein wegen der Öffnungsklausel nicht besteuerter Betrag von 89 EUR gegenüber.

Weiterhin sind in die Berechnung die bislang erhaltenen und entsprechend der statistischen Lebenserwartung künftig zu erwartenden Rentenzahlungen einzubeziehen. Von den in den Jahren 2005 bis 2008 an das Versorgungswerk gezahlten Beiträgen in Höhe von 39.099 EUR hatten sich 14.805 EUR steuerlich nicht ausgewirkt. Diesem Betrag stehen steuerfreie Rentenzahlungen in Höhe von 23.333 EUR gegenüber, die sich aus dem jährlichen steuerfrei zu vereinnahmenden Rentenanteil von 1.109 EUR pro Jahr (12 x 210 x 44 %) und der Lebenserwartung des Klägers errechnen. Dieser hatte nach der Sterbetafel 2007/2009 des Statistischen Bundesamtes (www.destatis.de) im Zeitpunkt des ersten Rentenbezuges noch eine statistische Lebenserwartung von 21,04 Jahren.

Bereits diese Berechnungen zeigen, dass eine Doppelbesteuerung erkennbar nicht gegeben ist. Somit bedarf es weder einer Entscheidung, ob die pauschale Berechnung der nicht steuerlich entlasteten Vorsorgeaufwendungen für die Jahre 1982 bis 1986 anzuerkennen ist, noch einer Prüfung, ob die Vorsorgeaufwendungen, die von den Klägern in ihrer Aufstellung berücksichtigt worden sind, überhaupt in die Berechnung hätten einbezogen werden dürfen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.10.2013 – X R 11/12