martina heck

29.01.2014

Lieferung von Photovoltaikanlagen und die umgekehrte Steuerschuldnerschaft

Das Hessisches Finanzgericht hat entschieden, dass ein Unternehmer, der an seine Kunden betriebsbereite Photovoltaikanlagen liefert, die Umsatzsteuer für die Leistungen seiner Subunternehmer schuldet (umgekehrte Steuerschuldnerschaft / Reverse-Charge-Verfahren).

Geklagt hatte ein auf den Vertrieb und den Aufbau schlüsselfertiger Photovoltaikdachanlagen spezialisiertes Unternehmen, das sich auch der Hilfe von Subunternehmern bediente. Das Finanzamt ließ zu Lasten des Unternehmens den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen seiner Subunternehmer nicht zu. Vielmehr sei das Unternehmen im Streitjahr 2010 Steuerschuldner für die Umsätze der Subunternehmer in Höhe von ca. 1,5 Mio. Euro. Denn es habe mit seinen Kunden Verträge über die Lieferung voll funktionsfähiger Solaranlagen abgeschlossen und insoweit Werklieferungen an die Endkunden und damit auch Bauleistungen erbracht, was nach dem Umsatzsteuergesetz zur sog. umgekehrten Steuerschuldnerschaft führe.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Die Voraussetzungen für eine Steuerschuld der Klägerin gemäß § 13b UStG liegen nach Auffassung des Hessischen Finanzgerichts vor.

Gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG ist der Unternehmer im Fall von Lieferungen und sonstigen Leistungen, die er im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG), auch der Steuerschuldner.

Abweichend hiervon können Bauleistungen im Sinne des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG, die von einem im Inland ansässigen Unternehmer ausgeführt werden, die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers begründen. Erforderlich dafür ist zum einen, dass die Leistungen gegenüber einem Unternehmen erbracht werden; des Weiteren muss dieses Unternehmen seinerseits Bauleistungen ausführen.

Nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG entsteht die Steuer mit Ausstellung der Rechnung, spätestens jedoch mit Ablauf des der Ausführung der Leistung folgenden Kalendermonats für Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen. Schuldner der so beschriebenen Umsatzsteuer ist der Leistungsempfänger, wenn er ein Unternehmer ist, der Leistungen im Sinne des § 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 S. 1 UStG 2007 erbringt (§ 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2007).

Diese Regelung geht zurück auf Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie zur Mehrwertsteuer – 77/388/EWG (6. EG-Richtlinie) und die auf dieser Grundlage ergangene Entscheidung des Rates vom 30.03.2004. Da die seit dem 01.01.2007 geltende Mehrwertsteuersystemrichtlinie – 2006/112/EG (MwStSystemRL) eine gleich lautende Regelung enthält, gilt die Entscheidung 2004/290/EG auch im Streitjahr. Nach Art. 2 Nr. 1 dieser Entscheidung kann die Bundesrepublik Deutschland bei der Erbringung von Bauleistungen an einen Steuerpflichtigen den Empfänger der Gegenstände oder Dienstleistungen als Mehrwertsteuerschuldner bestimmen.

Mit dieser Ermächtigung steht § 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG 2007 grundsätzlich im Einklang. Der Begriff „Bauleistungen“ in Art. 2 Nr. 1 der Entscheidung 2004/290/EG umfasst auch Werklieferungen. Der Gesetzgeber des UStG durfte die Anwendung des § 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 S. 1 UStG 2007 auch auf Bauleistungen beschränken, die an Leistungsempfänger erbracht werden, die ihrerseits Bauleistungen erbringen.

Unter Zugrundelegung dieser neuesten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist der Begriff der Bauleistungen weit zu verstehen und kann auch die Lieferung von Gegenständen umfassen. Sofern es sich um eine Werklieferung handelt, ist entscheidend, dass diese bauwerksbezogen erfolgt ist.

Vorliegend vertreibt die Klägerin gegenüber ihren Kunden betriebsbereite Photovoltaikanlagen. Die umfassende Leistung besteht, wie den vorgelegten Rechnungen zu entnehmen ist, aus einem Zusammenspiel der dafür notwendigen handwerklichen Elemente. Neben der reinen Anbringung auf dem Dach – wobei unerheblich ist, ob diese durch Sogwirkung oder Schrauben erfolgt – gehören dazu unter anderem auch das Verlegen von Stringleitungen vom Modul zum Wechselrichter, der Anschluss des Wechselrichters an die Zähleranlage, ggf. die Erneuerung oder der Umbau der Zähleranlage, das Anbringen eines Blitzschutzes, die Verkleidung von Kabeltrassen sowie die Herstellung und Montage der Unterkonstruktion aus Aluminiumprofilen für die Wechselrichter.

Nach Auffassung des Hessischen Finanzgerichts handelt es sich dabei um Bauleistungen. Als Bauleistungen sind Werklieferungen und sonstige Leistungen anzusehen, die sich unmittelbar auf die Substanz des Bauwerks auswirken, also der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen)). Die Ausgestaltung des Begriffs im Einzelnen ist umstritten.

Eine Bauleistung liegt nur vor, wenn sie im Zusammenhang mit einem Bauwerk ausgeführt wird, nämlich mit Anlagen, die mit dem Erdboden fest verbunden sind; dazu genügt es, dass sie infolge ihrer eigenen Schwere auf ihm ruhen)). Zu den Bauwerken zählen vor allem Gebäude. Aber auch Bauten, die bewertungsrechtlich als Betriebsvorrichtungen zu beurteilen sind, können Bauwerke sein, z.B. Hochregallager.

Als Kriterium hat das Hessische Finanzgericht auch den Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE) berücksichtigt.

Dieser entfaltet zwar für das Gericht keine Bindungswirkung, kann jedoch neben anderen Kriterien für die Einordnung der hier streitigen Leistungen als Bauleistungen herangezogen werden. Nach Abschnitt 13b. 1 Ab. 5 des UStAE müssen sich Bauleistungen im Sinne des § 13b UStG unmittelbar auf die Substanz des Bauwerks auswirken, d.h. es muss eine Substanzerweiterung, Substanzverbesserung, Substanzbeseitigung oder Substanzerhaltung am Gebäude bewirkt werden. Betroffen sind Werklieferungen und sonstige Leistungen, die mit dem Bauwerk fest verbunden sind und ohne großen Aufwand nicht getrennt werden können. Photovoltaikanlagen werden im USt-Anwendungserlass nicht aufgeführt. Nach Abschnitt 13b. 1 Abs. 9 Nr. 11 UStAE fallen das Aufhängen und Anschließen von Beleuchtungen sowie das Anschließen von Elektrogeräten nicht unter den Begriff Bauleistungen, während die Installation einer Lichtwerbeanlage und die Montage und das Anschließen von Beleuchtungssystemen, z.B. in Kaufhäusern oder Fabrikhallen Bauleistungen darstellen sollen. Die Montage und das Anschließen der Photovoltaikanlagen sind damit durchaus vergleichbar.

Es bestand für das Hessische Finanzgericht keine Veranlassung aufzuklären, welche der im Einzelnen streitigen Umsätze auf Leistungen im Zusammenhang mit der Montage von Photovoltaikanlagen auf Flachdächern und welche auf Schrägdächern entfallen.

Wie aus den vorgelegten Rechnungen hervorgeht, erfolgte die Montage nicht nur auf Flachdächern. Nach der Überzeugung des Hessischen Finanzgerchts macht es trotz unterschiedlicher Art und Weise der Anbringung keinen Unterschied, ob die Montage auf Flach- oder Schrägdächern erfolgte. Es kann nicht entscheidungserheblich sein, ob die Anlage durch Schrauben oder Schwerkraft mit dem Gebäude verbunden ist. Denn in jedem Fall bestand darüber hinaus eine Verbindung zu den notwendigen elektrischen Anlagen im Haus. In beiden Fällen waren mehrere unterschiedlich spezialisierte Handwerksbetriebe notwendig, um die Konstruktionen zu errichten und die Betriebsbereitschaft der Anlage herzustellen, z.B. Elektriker, Metallbauer, Dachdecker. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin hat es sich bei den mit ihren Kunden getroffenen Verträgen um Kaufverträge mit Montageverpflichtung gehandelt. Bei den verkauften Anlagen seien etwa 1/3 ihres Arbeitsaufwandes auf die Montage und 2/3 auf die Projektierung entfallen. Bei größeren Projekten könne sich die Montagezeit durchaus auf 1-2 Monate erstrecken. Jedenfalls sind die Anlagen mit dem ihnen als Träger dienenden Dach bzw. Haus sowie dessen Elektrik fest verbunden und können auch nicht ohne entsprechende Arbeiten wieder demontiert werden.

Weiterhin berücksichtigt das Hessische Finanzgericht, dass die Klägerin eine Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG beim FA beantragt und diese auch erhalten hat.

Zwar kommt der Vorlage einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 48b EStG keine tatbestandsbegründende Notwendigkeit für die Erfüllung der Voraussetzungen des § 13b UStG zu. Dennoch hat es nach Auffassung des Hessischen Finanzgerichts im Rahmen der Gesamtwürdigung eine gewisse Aussagekraft, dass die Klägerin selbst eine Freistellungsbescheinigung beantragt hat. So überträgt auch eine verbreitete Ansicht in der Literatur Begriff der Bauleistung im Sinne des § 48 EStG in das Umsatzsteuerrecht.

Das von der Klägerin zur Definition einer Bauleistung herangezogene Zivilrecht kann nur einschränkend herangezogen werden. Selbst wenn der Bundesgerichtshof die Einordnung der Lieferung und Montage einer Photovoltaikanlage als Kaufvertrag (mit Montageverpflichtung) oder als Werkvertrag davon abhängig macht, bei welcher der beiden Leistungen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Schwerpunkt liegt, so steht dies nicht der umsatzsteuerlichen Einordnung als Bauleistung entgegen. Für die Anwendung des § 13b UStG ist – wie oben bereits ausgeführt – vielmehr entscheidend, der Begriff der Bauleistungen auch Werklieferungen umfasst

Auch bei den Leistungen, welche die Subunternehmer, aus deren Rechnungen die Klägerin den Vorsteuerabzug geltend macht, erbracht haben, handelt es sich nach den oben aufgestellten Kriterien nach Überzeugung des Hessischen Finanzgerichts um Bauleistungen im Sinne von § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStG.

Dies geht bereits aus den vorgelegten Rechnungen hervor, wonach der Metallbaubetrieb unter anderem Montageleistungen am Dach vornahm. Der Elektriker nahm z.B. den Anschluss der Wechselrichter, die Verstringung von Leitungen, die Befestigung von Anschlussleitungen oder das Anbringen von Blitzschutz vor. Dabei handelte es sich auch bei den an die Klägerin erbrachten Leistungen um bauwerksbezogene Leistungen.

Da bisher, soweit ersichtlich, zu der Frage, ob die Lieferung und Montage von Photovoltaikanlagen Bauleistungen sind, keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, hat das Hessische Finanzgericht die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 115 Abs. 2 FGO).

Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 26.09.2013 – 1 K 2198/11

(Revision wurde eingelegt: BFH – XI R 3/14)