Welcher Steuersatz ist anzuwenden, wenn über das Internet nicht einfach nur Lebensmittel vertreiben werden, sondern diese Bestandteil von Boxen sind, die mit von dem Verkäufer zusammengestellten handelsüblichen und originalverpackten Lebensmitteln und Kochrezepten bestückt sind, wobei die Lebensmittel von dem Verkäufer mengenmäßig so ausgewählt sind, dass die Kunden die beigefügten Rezepte damit kochen können?
In dem nun vom Finanzgericht Berlin-Brandenburg entschiedenen Fall waren die Rezepte auch kostenlos im Internet abrufbar. Die Kunden können aus verschiedenen Sortimenten auswählen und die Boxen zu einem bestimmten Liefertermin bestellen oder auch ein Abonnement auswählen. Die Antragstellerin (Verkäuferin) wirbt damit, dass die Lebensmittel aus kontrollierter Herkunft stammen, die Zutaten sorgfältig ausgewählt sind und die Rezepte gemeinsam mit Ernährungswissenschaftlern und Kochprofis entwickelt werden.
Die Antragstellerin behandelte ihre Umsätze als Lieferungen von Lebensmitteln zum ermäßigten Steuersatz.
Dem folgte das Finanzamt (Antragsgegner) nicht. Die Antragstellerin erbringe dem Regelsteuersatz zu unterwerfende sonstige Leistungen, da die Lieferung von Lebensmitteln durch eine Vielzahl von anderen Dienstleistungen, wie z.B. der Zusammenstellung der Lebensmittel, der Beifügung der Rezepte, der Verpackung und der Zusendung nicht mehr im Vordergrund stehe. Zudem hätten die Kunden nicht die Möglichkeit, verschiedene Größen und Gewichtsmengen zu bestellen.
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg ist in einem Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung – anders als das Finanzamt – zu der (vorläufigen) Auffassung gelangt, dass auch hier der ermäßigte Steuersatz anzuwenden ist.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Umsatzsteuer auf 7 % für die Lieferungen der in der Anl. 2 bezeichneten Gegenstände. Davon erfasst werden die von der Antragstellerin an ihre Kunden versandten Lebensmittel.
Die Antragstellerin hat diese Lebensmittel nach dem derzeitigen Streitstand an ihre Kunden geliefert. Eine Lieferung liegt nach § 3 Abs. 1 UStG vor, wenn der Unternehmer den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Das ist hier der Fall.
Die Lieferung der Klägerin wird entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht dadurch zu einer nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden sonstigen Leistung, dass die Klägerin die Lebensmittel aussucht, zusammenstellt, verpackt und versendet sowie bei der Versendung Rezepte beigefügt hat. Es spricht nämlich viel dafür, dass es sich dabei lediglich um im Verhältnis zur Hauptleistung der Lieferung der Lebensmittel untergeordnete Nebenleistungen handelt.
Eine Nebenleistung liegt vor, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck hat, sondern lediglich das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können. Maßgebend ist die Verkehrsauffassung im Einzelfall. Hiervon ausgehend sind die Auswahl, die Verpackung und die Versendung der Lebensmittel in jedem Fall als unselbstständige Nebenleistungen anzusehen, weil diese aus der Sicht des Leistungsempfängers nur das Mittel darstellen, die von ihnen bestellten Lebensmittel zu erhalten. Ohne Erfolg beruft sich der Antragsgegner in diesem Zusammenhang darauf, dass die Antragstellerin nach ihren eigenen Angaben besondere Sorgfalt auf die Auswahl der angebotenen Produkte verwende. Dies reicht nämlich nicht aus, um die Lieferung der Lebensmittel zu einer sonstigen Leistung werden zu lassen. Die sorgfältige Auswahl der Lebensmittel stellt aus der Sicht der Kunden lediglich ein Mittel dar, um qualitativ hochwertige und damit optimale Lebensmittel zu erhalten. Die Auswahl der Lebensmittel dient damit unmittelbar der Hauptleistung, nämlich der Lieferung der bestellten Waren. Würde die besonders sorgfältige Auswahl von Lebensmitteln dazu führen, dass insgesamt eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung vorliegt, würde jeder Fleischereibetrieb, der eine Herkunftsgarantie für die von ihm vertriebenen Fleischwaren abgibt, dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistungen erbringen. Dies widerspricht der für die Beurteilung maßgeblichen Verkehrsauffassung.
Die Lieferung der Lebensmittel wird auch durch die von der Antragstellerin vorgenommene Portionierung nicht zu einer dem Regelsteuersatz unterliegenden sonstigen Leistung. Es trifft zwar zu, dass die Kunden die Boxen bei der Antragstellerin zu dem Zweck bestellen, die von ihr vorgeschlagenen Rezepte kochen zu können. Dies ändert aber nichts daran, dass die Portionierung der Lebensmittel aus der Sicht des Kunden nur dem Zweck dient, die gelieferten Lebensmittel optimal nutzen zu können, d.h. insbesondere ohne einen – gegebenenfalls zu entsorgenden – Überschuss. Insoweit gelten die vorstehend gemachten Ausführungen entsprechend.
Schließlich ist auch die Beifügung der Rezepte als untergeordnete Nebenleistung anzusehen. Da die Rezepte kostenlos im Internet abrufbar sind, kommt diesen Rezepten keine Exklusivität zu. Angesichts der Möglichkeit des kostenlosen Abrufes ist ferner ersichtlich, dass die Antragstellerin für die Beifügung der Rezepte keine gesonderte Gegenleistung berechnet. Unabhängig davon geht es dem Kunden bei der Bestellung bei der Antragstellerin in erster Linie darum, Lebensmittel zu erhalten, mit denen er schmackhafte Gerichte zubereiten kann. Dabei stellen die mitgelieferten Rezepte zweifellos eine wesentliche Hilfe dar. Sie sind aus der Sicht des Kunden aber gleichwohl nur ein Mittel, um die gelieferten Lebensmittel optimal nutzen zu können. Dem stehen auch die von dem Antragsgegner herangezogenen Kundenrezensionen nicht entgegen. Denn wenn diese darin die Rezepte loben, so heißt dies nicht, dass es ihnen bei der Bestellung vorrangig auf den Erwerb der Rezepte ankommt, sondern dass diese Rezepte es ermöglichen, die gelieferten Lebensmittel optimal zu verarbeiten, wie dies bei einer untergeordneten Nebenleistung der Fall ist. Abgesehen davon sind die mitgelieferten Rezepte Druckerzeugnisse, deren Lieferung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Anl. 2 Nr. 49 UStG ohnehin dem ermäßigten Steuersatz unterliegt.
Auch eine Gesamtschau führt im vorliegenden Fall nicht dazu, dass die Antragstellerin insgesamt eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung erbringt, weil die unabhängig von der Lieferung der Lebensmittel erbrachten Leistungen auch bei einer zusammenfassenden Betrachtung aus der Sicht des Kunden nur dem Zweck dienen, die gelieferten Lebensmittel optimal nutzen zu können. Die Lieferung dieser Lebensmittel steht auch ein bei einer Gesamtbetrachtung im Vordergrund.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2015 – 5 V 5260/14