martina heck

02.06.2015

Krankheitsbedingte Aufwendungen in der Einkommensteuer

Der Bundesfinanzhof hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit der Frage des Nachweises der Zwangsläufigkeit von krankheitsbedingten Aufwendungen nach § 64 EStDV beschäftigt.

Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs setzt die Anerkennung von außergewöhnlichen Belastungen im Falle von psychotherapeutischen Behandlungen und der medizinisch erforderlichen auswärtigen Unterbringung eines an einer Behinderung leidenden Kindes des Steuerpflichtigen voraus, dass die in § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStDV normierten Nachweise erbracht werden, wobei diese Nachweise nicht durch andere Unterlagen ersetzt werden können.

In dem entschiedenen Fall waren außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG wegen der Unterbringung eines Kindes im Z, einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit massiven Störungen in der Persönlichkeitsentwicklung (Verhaltensauffälligkeiten, Verwahrlosungserscheinungen, Fehlentwicklungen im sozial-emotionalen Bereich) streitig.

Die Kläger wurden im Streitjahr 2007 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie sind Eltern des 1992 geborenen Sohnes M. M war vom 10. Februar 2005 bis zum 19. Juli 2007 wegen der psychischen Erkrankung ADHS mit Schulverweigerung im Z untergebracht. Dort erhielt er eine psychotherapeutische, schulpsychologische Behandlung einschließlich der Beschulung. Die Landeshauptstadt gewährte von Beginn an Jugendhilfe in Form von Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII. Das Kindergeld erhielt die Landeshauptstadt aufgrund eines Bescheides der Bundesagentur für Arbeit -Agentur für Arbeit—Familienkasse- im Wege der Erstattung nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 SGB X. Mit Bescheid vom 02.10.2006 setzte die Landeshauptstadt gegen den Kläger einen Kostenbeitrag nach §§ 91 ff. SGB VIII fest. Er hatte für die Zeit vom 10.02. bis zum 30.06.2005 einen monatlichen Betrag in Höhe von 522 EUR, für die Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.03.2006 einen Monatsbetrag in Höhe von 535 EUR zu den Kosten der Heimunterbringung beizutragen. Mit einem weiteren Bescheid vom 02.10.2006 setzte die Landeshauptstadt den Kostenbeitrag ab dem 01.04.2006 bis auf weiteres auf monatlich 1.010 EUR fest, so dass der Kläger nach Abzug des Kindergeldes 856 EUR zu zahlen hatte.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2007 machten die Kläger Aufwendungen in Höhe von 12.741 EUR einschließlich der Nachzahlungen für 2006 als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG geltend. Das beklagte Finanzamt ermittelte unter Beachtung des Zu- und Abflussprinzips die in 2007 getragenen Aufwendungen des Klägers, zog in 2007 erhaltene Erstattungen ab und ging von einer Haushaltsersparnis von monatlich 644 EUR aus. Das Finanzamt erkannte mit Bescheid vom 21.04.2011 außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 4.387 EUR an. Mit dem Einspruch wandten sich die Kläger gegen die Berücksichtigung einer Haushaltsersparnis. Im Änderungsbescheid vom 25.08.2011 ging das Finanzamt von einer Haushaltsersparnis in Höhe von 535 EUR monatlich aus. Weil der Kläger in 2007 insgesamt Kostenbeiträge für 13 Monate gezahlt hat, erkannte es weitere 1.417 EUR als außergewöhnliche Belastungen an. Mit dem Einspruch gegen den Änderungsbescheid machten die Kläger geltend, sie hätten in 2007 laufende Kostenbeiträge bis Juli und Nachzahlungen für 2006 in Höhe von insgesamt 12.741 EUR geleistet. Eine Haushaltsersparnis könne indes nur bis Juli 2007 berücksichtigt werden. Das Finanzamt wies den Einspruch zurück; die Klage wurde vom Niedersächsischen Finanzgerichts zurückgewiesen.

Die Revision hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 33 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 S. 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind.

In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass Krankheitskosten – ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung – dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl.

Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 S. 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf. Eine derart typisierende Behandlung von Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden, also medizinisch indiziert sind.

Die Zwangsläufigkeit von krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 SGB V) hat der Steuerpflichtige durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachzuweisen (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 – StVereinfG 2011 -). In den abschließend geregelten Katalogfällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist der Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V) zu führen (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011).

Ein solcher qualifizierter Nachweis ist – aufgrund der in § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordneten verfassungsrechtlich unbedenklichen rückwirkenden Geltung des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 – auch im Streitjahr bei krankheitsbedingten Aufwendungen für psychotherapeutische Behandlungen und die medizinisch erforderliche auswärtige Unterbringung eines an Legasthenie oder einer anderen Behinderung leidenden Kindes des Steuerpflichtigen zu erbringen (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. b bzw. c EStDV).

Nach den Feststellungen des Niedersächsischen Finanzgerichts waren die streitigen Aufwendungen den Klägern aufgrund der krankheitsbedingten Unterbringung des M im Z entstanden. Die Maßnahme beinhaltete sowohl eine psychotherapeutische Behandlung (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. b EStDV) als auch eine auswärtige Unterbringung aufgrund einer Behinderung (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. c EStDV). Behindert sind Menschen, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 SGB IX). Nach dieser gesetzlichen Definition, die auch für die Auslegung des § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 Buchst. c EStDV heranzuziehen ist, lag bei M aufgrund der Erkrankung ADHS eine entsprechende Beeinträchtigung vor, die sich – wie sich aus der längerfristigen Unterbringung des M im Z ergibt – über einen längeren Zeitraum als sechs Monate erstreckte.

Im Streitfall lag ein vor Beginn der Maßnahme ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nicht vor.

Im Verfahren der Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII war ein den Anforderungen des § 64 EStDV entsprechender Nachweis nicht einzuholen. Zwar sieht § 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII vor, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme eines besonders qualifizierten Arztes oder Psychotherapeuten einholt. Da § 64 EStDV den Bundesfinanzhof jedoch dahingehend bindet, dass auf die dort vorgesehenen Nachweise nicht verzichtet werden kann und sie nicht durch andere Unterlagen ersetzt werden können, kann offenbleiben, ob im Streitfall eine solche Stellungnahme vorgelegen hat.

Da es an einem den Anforderungen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStDV genügenden Nachweis fehlt, haben die Kläger die Zwangsläufigkeit der geltend gemachten Aufwendungen dem Grunde nach nicht nachgewiesen. Das Finanzgericht hat daher die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Dem steht auch nicht das im gerichtlichen Verfahren geltende Verbot der reformatio in peius (§ 96 FGO) entgegen. Dies besagt lediglich, dass das Gericht eine von der Finanzbehörde vorgenommene Steuerfestsetzung nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen ändern, mithin keine höhere Steuerfestsetzung vornehmen darf. Es verbietet dem Gericht indes nicht, die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen auch dem Grunde nach zu prüfen, wenn im behördlichen Verfahren nur über deren Höhe gestritten wurde.

Da es an einem den Anforderungen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStDV genügenden Nachweis fehlt, haben die Kläger die Zwangsläufigkeit der geltend gemachten Aufwendungen dem Grunde nach nicht nachgewiesen. Das FG hat daher die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Dem steht auch nicht das im gerichtlichen Verfahren geltende Verbot der reformatio in peius (§ 96 FGO) entgegen. Dies besagt lediglich, dass das Gericht eine von der Finanzbehörde vorgenommene Steuerfestsetzung nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen ändern, mithin keine höhere Steuerfestsetzung vornehmen darf (z.B. BFH-Urteil vom 25. Juni 2003 X R 66/00, BFH/NV 2004, 19). Es verbietet dem Gericht indes nicht, die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen auch dem Grunde nach zu prüfen, wenn im behördlichen Verfahren nur über deren Höhe gestritten wurde. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.01.2015 – VI R 85/13