martina heck

01.10.2012

Kinderbetreuungskosten in der Einkommensteuer bei Schwangerschaft der Mutter

Ist ein Elternteil erwerbstätig und der andere Elternteil schwanger, so können nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs die Kosten einer Tagesmutter nicht steuerlich geltend gemacht werden, da eine Schwangerschaft als solche keine Krankheit im Sinne des Gesetzes darstellt.

In dem entschiedenen Fall hatte ein Elternpaar geklagt, bei dem der Vater als selbständiger Rechtsanwalt berufstätig ist. Die Mutter befand sich zunächst in der Berufsausbildung, die sie allerdings nach der Geburt ihres ersten Kindes im Jahre 2004 unterbrach und die sie auch im Laufe des Streitjahres 2006 nicht wieder aufnahm. Im August dieses Jahres wurden die Kläger erneut Eltern. Das ältere Kind wurde u.a. in der Zeit der Schwangerschaft von einer Tagesmutter betreut. Die Kosten hierfür machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung geltend – ohne Erfolg.

Im Streitjahr 2006 konnten derartige Kinderbetreuungskosten gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 8 Einkommensteuergesetz (EStG) nur bei Vorliegen besonderer persönlicher Abzugsvoraussetzungen steuerlich berücksichtigt werden.

§ 4f EStG, der den Abzug erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten im Bereich der Gewinneinkunftsarten regelt, ist unanwendbar, weil die zusammenlebenden Kläger nicht beiderseits erwerbstätig waren (§ 4f Satz 2 EStG).

§ 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG ist nicht einschlägig, weil die Kinder der Kläger im Streitjahr nicht zwischen drei und sechs Jahre alt waren.

Auch der Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG scheidet aus, weil die auf den Steuerpflichtigen bezogenen Abzugsvoraussetzungen nicht vorliegen.

Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines haushaltszugehörigen Kindes, das das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, können dann abgezogen werden, wenn der Steuerpflichtige sich in Ausbildung befindet, körperlich, geistig oder seelisch behindert oder krank ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 EStG). Erwachsen die Aufwendungen wegen Krankheit des Steuerpflichtigen, muss die Krankheit innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraums von mindestens drei Monaten bestanden haben, es sei denn, der Krankheitsfall tritt unmittelbar im Anschluss an eine Erwerbstätigkeit oder eine Ausbildung ein (§ 10 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 EStG). Bei zusammenlebenden Eltern ist der Abzug nur zulässig, wenn bei beiden Elternteilen die Voraussetzungen nach Satz 1 vorliegen oder ein Elternteil erwerbstätig ist und der andere Elternteil sich in Ausbildung befindet, körperlich, geistig oder seelisch behindert oder krank ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 EStG).

Die persönlichen Abzugsvoraussetzungen lagen nur beim erwerbstätigen Kläger, nicht aber bei der Klägerin vor.

Die Klägerin befand sich nicht – mehr – in Ausbildung, als sie diese nach der Geburt der ältesten Tochter unterbrach. Schon der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 EStG stellt mit der Formulierung “sich in Ausbildung befindet” nicht auf ein formales Weiterbestehen eines Ausbildungsverhältnisses ab, sondern darauf, dass auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden. Es tritt grundsätzlich dann eine Unterbrechung der Ausbildung ein, sobald es an Maßnahmen fehlt, die geeignet sind, dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen im Hinblick auf die Ausübung des angestrebten Berufs zu dienen. Nach der zum Berufsausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ergangenen Senatsrechtsprechung befindet sich daher eine Person nicht in einer Ausbildung, wenn sie diese unterbricht, um ein eigenes Kind zu betreuen. Gesichtspunkte für eine abweichende Beurteilung im Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG vermochte der Bundesfinanzhof nicht zu erkennen. Vielmehr entspricht es dem Zweck dieser Vorschrift, den Abzug der Kinderbetreuungskosten nur in solchen Fällen zuzulassen, in denen die Eltern wegen Erwerbstätigkeit, tatsächlich durchgeführter Ausbildung, längerer Erkrankung oder Behinderung an der persönlichen Betreuung ihres Kindes gehindert sind.

Der Bundesfinanzhof vertritt weiter die Auffassung, dass eine Schwangerschaft als solche keine Krankheit darstellt. Denn der Begriff der Krankheit setzt einen anormalen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand voraus, der den Betroffenen “in der Ausübung normaler psychischer oder körperlicher Funktionen” derart beeinträchtigt, dass er nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf. Anormal ist der körperliche Zustand einer Frau nicht, wenn sie schwanger wird, sondern dann, wenn sie nicht schwanger werden kann. Krank i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG ist eine Schwangere demnach nur in solchen Fällen, in denen während der Schwangerschaft länger als drei Monate andauernde gesundheitliche Komplikationen auftreten (schwangerschaftsbedingte Erkrankung, z.B. wochenlanger Krankenhausaufenthalt oder medizinisch indizierte Schonung zur Vermeidung einer Frühgeburt).

Dass die Klägerin, abgesehen von der Schwangerschaft, im Sinne des Gesetzestatbestands mehrmonatig krank gewesen ist, hat das FG als Tatsacheninstanz nicht festgestellt. Verfahrensrügen, etwa einen Verstoß gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO oder gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, haben die Kläger nicht erhoben. Ihr Revisionsvorbringen, wonach sich an die unter lebensbedrohlichen Umständen erfolgte Geburt von F eine mehrwöchige Erkrankung der Klägerin anschloss, kann daher nicht berücksichtigt werden.

Eine Steuerermäßigung gemäß § 35a EStG scheidet aus, weil die Dienstleistungen der Tagesmutter nicht im Haushalt der Kläger erbracht wurden.

Die im EStG vorgesehenen Einschränkungen für den Abzug von Kinderbetreuungskosten verstoßen nach Auffassung des Bundesfinanzhofs auch nicht gegen Grundrechte der Kläger.

Das GG gebietet die einkommensteuerliche Berücksichtigung des Betreuungsbedarfs eines Kindes nach folgenden Maßstäben:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht der Betreuungsbedarf eines Kindes als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums unabhängig von Krankheit, Behinderung oder Erwerbstätigkeit der Eltern. Die auf diesem Bedarf beruhende Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit muss deswegen bei allen Eltern berücksichtigt werden, ohne dass danach unterschieden werden dürfte, in welcher Weise dieser Bedarf gedeckt wird.

Im Hinblick auf erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten hat das Bundesverfassungsgericht nach Auffassung des Bundesfinanzhofs seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass das Gebot der horizontalen Steuergleichheit sowie das Benachteiligungsverbot aus Art. 6 Abs. 1 GG es zumindest gebieten, die durch solche Kosten entstandene tatsächliche Minderung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Denn Kinderlose mit gleichem Einkommen haben eine solche Einbuße an finanzieller Leistungsfähigkeit nicht. Bei der Umsetzung dieser Mindestanforderung steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, ob er solche Aufwendungen wegen ihrer Veranlassung durch die Erwerbstätigkeit den Werbungskosten und Betriebsausgaben zuordnet oder durch eine spezielle Norm, wie z.B. § 33c EStG 1997, als außergewöhnliche Belastungen fingiert und damit die private (Mit-)Veranlassung – die elterliche Entscheidung für Kinder, die eine Betreuung erst erforderlich macht – systematisch in den Vordergrund stellt.

Der Gesetzgeber hat in jedem Fall aber zu beachten, dass Art. 6 Abs. 1 GG die elterliche Entscheidung für Kinder unter besonderen Schutz stellt und verbietet, erwerbstätigen Eltern bei der Einkommensbesteuerung die “Vermeidbarkeit” ihrer Kinder entgegenzuhalten. Erwerbsbedingt notwendige Kinderbetreuungskosten müssen daher zumindest als zwangsläufige Aufwendungen der grundrechtlich geschützten privaten Lebensführung grundsätzlich in realitätsgerechter Höhe abziehbar sein. Der Gesetzgeber ist allerdings berechtigt, mit einer sachgerechten Pauschalierung eine Obergrenze festzulegen und damit zu bestimmen, wieweit die dem Grunde nach zwangsläufigen Kinderbetreuungskosten im typischen Fall auch der Höhe nach zwangsläufig sind.

Bei der steuerlichen Behandlung von Unterhaltskosten, zu denen auch Aufwendungen für die Kinderbetreuung rechnen, ist schließlich die grundsätzliche Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung zu beachten. Diese Befugnis erlaubt es ihm, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.

Ergänzend zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Berücksichtigung erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten ist es verfassungsrechtlich nach Auffassung des Bundesfinanzhofs auch geboten, Kinderbetreuungskosten, die aus anderen Gründen als der Erwerbstätigkeit eines alleinstehenden Elternteils oder der beiderseitigen Erwerbstätigkeit der zusammenlebenden Eltern notwendig sind, als zwangsläufige Aufwendungen der grundrechtlich geschützten privaten Lebensführung grundsätzlich in realitätsgerechter Höhe zum Abzug zuzulassen. Denn auch alleinstehenden kranken oder behinderten Eltern oder zusammenlebenden Eltern, die wegen Erwerbstätigkeit des einen Elternteils und Behinderung, längerer Erkrankung oder Ausbildung des anderen Elternteils den Betreuungsbedarf ihrer Kinder nicht selbst abdecken können, erwachsen beim Fehlen kostenfreier Betreuungsmöglichkeiten (z.B. bei den Großeltern) zwangsläufige Aufwendungen für die Betreuung, die ihre finanzielle Leistungsfähigkeit im Vergleich zu kinderlosen Steuerpflichtigen mindern. Daher sind neben erwerbsbedingten Betreuungskosten unter bestimmten Voraussetzungen auch zwangsläufige “private” Betreuungskosten in realitätsgerechter Höhe zum Abzug zuzulassen.

Die gesetzlichen Vorschriften zur Berücksichtigung des Betreuungsbedarfs genügten nach Auffassung des Bundesfinanzhofs im Streitjahr 2006 den dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen.

Dem Betreuungsbedarf wurde durch den Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung – BEA-Freibetrag – gemäß § 32 Abs. 6 EStG Rechnung getragen. Mit dem BEA-Freibetrag werden auch Fremdbetreuungskosten abgegolten. Die von den Klägern im Streitjahr aufgewandten Beträge für die Tagesmutter blieben steuerlich demnach nicht unberücksichtigt.

Soweit die mit dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26.04.2006  eingeführten Tatbestände der §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1 EStG (erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten) und § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG (“private” Kinderbetreuungskosten) den Abzug auf zwei Drittel der Aufwendungen und einen Höchstbetrag beschränken, werden dadurch Grundrechte von Steuerpflichtigen mit unterhaltsberechtigten Kindern nicht verletzt. Ein Abzug der Kosten in der tatsächlich angefallenen Höhe ist verfassungsrechtlich nicht geboten.

Auch die in §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1 und 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG enthaltenen Beschränkungen des Abzugs dem Grunde nach – und damit der Ausschluss der Kläger von den über den BEA-Freibetrag hinausgehenden Entlastungen – sind verfassungsrechtlich noch hinnehmbar. Der Gesetzgeber war ausgehend von seiner Vereinfachungsbefugnis grundsätzlich berechtigt, den Abzug auf die typischen Fälle zu beschränken, in denen Kinderbetreuungskosten zwangsläufig anfallen. Die mit der Beschränkung verbundene Härte, dass im Einzelfall vom Gesetz nicht erfasste Umstände eintreten können, die eine Fremdbetreuung und die Entstehung entsprechender Aufwendungen ebenso unabweisbar machen, haben die davon betroffenen Steuerpflichtigen hinzunehmen.

Bezogen auf die im Streitfall zur Beurteilung anstehende Personengruppe der zusammenlebenden Eltern mit Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ermöglichen die Tatbestände der §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1 und 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG den Abzug von Kinderbetreuungskosten bei Vorliegen der Zwangsläufigkeitsgründe Erwerbstätigkeit, Ausbildung, längere Erkrankung und Behinderung. In Person eines jeden Elternteils muss mindestens einer der Gründe verwirklicht sein. Liegt in der Person eines Elternteils ein solcher Grund nicht vor, dann geht der Gesetzgeber typisierend davon aus, dass dieser Elternteil die Eigenbetreuung des Kindes übernehmen kann und Aufwendungen für die Kinderbetreuung nicht oder jedenfalls nicht zwangsläufig entstehen.

Der Bundesfinanzhof ist der Auffassung, dass sich der Gesetzgeber mit der Auswahl der rechtlich relevanten Zwangsläufigkeitsgründe noch innerhalb der Grenzen seiner Typisierungsbefugnis gehalten hat. Bei sämtlichen im Gesetz genannten Gründen handelt es sich zweifelsohne um Lebenssituationen, in denen eine Fremdbetreuung notwendig werden kann. Der Gesetzgeber knüpfte insoweit an eine längere Gesetzgebungstradition an. So enthielt bereits § 33c EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 vom 26. Juni 1985  dieselben “Zwangsläufigkeitsgründe”. Bereits in dieser Fassung war die Berücksichtigung des Krankheitsfalles an die zusätzliche Voraussetzung geknüpft, dass diese innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraums von drei Monaten bestanden haben muss. Der damit verbundene Ausschluss kürzerer Erkrankungen kann im Einzelfall zwar zu Härten führen, diese sind aber von den Steuerpflichtigen als unvermeidliche Folge jeder Typisierung hinzunehmen. Keine Willkür stellt es dar, dass der Gesetzgeber Schwangerschaft nicht erfasst hat. Denn die Erwägung, dass gesundheitliche Gründe der Eigenbetreuung bereits vorhandener Kinder durch die schwangere Mutter typischerweise nicht entgegenstehen, ist sachlich noch nachvollziehbar. Denn Schwangere sind, wie oben dargestellt, eben nicht per se krank. Der Gesetzgeber konnte zudem davon ausgehen, dass beim Auftreten von besonderen Erschwernissen und Beschwerden während der Schwangerschaft häufig der Krankheitsbegriff erfüllt sein wird. Allerdings erscheint es dem Senat durchaus zweifelhaft, ob nicht weitere Zwangsläufigkeitsgründe hätten einbezogen werden müssen. Ein Bedarf an Fremdbetreuung kann nämlich insbesondere auch dann unabweisbar entstehen, wenn bei Erwerbstätigkeit des einen Elternteils eine größere Zahl minderjähriger Kinder zu betreuen ist. Auch bei dem gesellschaftlich festzustellenden Trend zur Ein- oder Zwei-Kind-Familie dürfte es sich immer noch um einen typischen Lebenssachverhalt handeln. Eine “Hinwegtypisierung” dieser Fälle dürfte zudem mit Art. 6 GG schwerlich zu vereinbaren sein. Im Streitfall war eine solche Situation allerdings nicht gegeben. Vorliegend kumulierten nach dem Revisionsvorbringen der Kläger vielmehr Belastungen verschiedenster Art (Zöliakieerkrankung der älteren Tochter, unzureichende staatliche Betreuungsangebote, Schwangerschaft, Risikogeburt, nicht unbegrenzt zulässige Unterbrechung der Berufsausbildung der Klägerin, hohe berufliche Beanspruchung des Klägers u.ä.) zu einer Gesamtsituation, die die Kläger ohne Inanspruchnahme einer Tagesmutter nicht meistern zu können glaubten. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs handelte es sich hierbei allerdings um eine Härte des Einzelfalles, die die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nicht zu begründen vermag.

Der vom Vorliegen bestimmter Zwangsläufigkeitsgründe unabhängige Abzug von Kinderbetreuungskosten, den die Kläger fordern und der mit Inkrafttreten des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 01.11.2011  Wirklichkeit geworden ist, ist verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Zwar werden Eltern Aufwendungen für die Kinderbetreuung typischerweise nur dann in nennenswertem Umfang tätigen, wenn dies aus beruflichen, gesundheitlichen, pädagogischen, familiären oder sonstigen Gründen notwendig ist, so dass die ab 2012 geltende Regelung rechtspolitisch begrüßenswert erscheint. Verfassungsrechtlich war der Gesetzgeber jedoch nur gehalten, zwangsläufige Aufwendungen für Kinderbetreuung zum Abzug zuzulassen, und ferner dazu berechtigt, die Zwangsläufigkeitsgründe typisierend und abschließend tatbestandlich zu erfassen.

Der Bundesfinanzhof ist ferner nicht davon überzeugt, dass die Beschränkung der Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 33 EStG auf Arbeitnehmer gegen Verfassungsrecht verstößt.

Nach § 3 Nr. 33 EStG sind steuerfrei zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachte Leistungen des Arbeitgebers zur Unterbringung und Betreuung von nicht schulpflichtigen Kindern der Arbeitnehmer in Kindergärten oder vergleichbaren Einrichtungen.

Die Kläger erfüllen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiungsnorm nicht. Sie sind keine Arbeitnehmer und bezogen im Streitjahr weder Arbeitslohn noch zusätzliche Leistungen für die Betreuung ihrer Kinder von einem Arbeitgeber. Die von ihnen begehrte Steuerbefreiung eines entsprechenden Teils der Einnahmen des Klägers aus freiberuflicher Tätigkeit kann ihnen auch im Wege verfassungskonformer Auslegung nicht gewährt werden. Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm ist dann geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen jedenfalls eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt. Grenzen werden der verfassungskonformen Auslegung durch den Wortlaut und den Gesetzeszweck gezogen. Ein Normverständnis, das mit dem Wortlaut nicht mehr in Einklang zu bringen ist, kann durch verfassungskonforme Auslegung ebenso wenig gewonnen werden wie ein solches, das in Widerspruch zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes treten würde. Vorliegend setzt der mögliche Wortsinn der – steuerrechtlich geklärten – Begriffe Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Arbeitslohn der Auslegung klare Grenzen. Der Anwendungsbereich der Norm kann im Auslegungswege nicht auf die Kläger erstreckt werden.

Der Gesetzgeber war auch nicht von Verfassungs wegen aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) verpflichtet, die für die Betreuung der Kinder eingesetzten Teile des vom Kläger erzielten Gewinns aus freiberuflicher Tätigkeit steuerfrei zu belassen.

Da mit dem BEA-Freibetrag und den Abzügen gemäß §§ 4f, 9 Abs. 5 Satz 1 und 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur steuerlichen Berücksichtigung des Betreuungsbedarfs von Kindern bei allen Steuerpflichtigen – einschließlich derjenigen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen – bereits erfüllt werden, kommt der Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 33 EStG lediglich eine ergänzende Funktion zu. Mit der Vorschrift wollte der Gesetzgeber erreichen, dass insbesondere Zuschüsse des Arbeitgebers für die Betreuung von Kindern in betriebsfremden Kindergärten – nach damaliger Rechtsprechung steuerpflichtiger Arbeitslohn  – und der Vorteil aus der kostenlosen Betreuung in Betriebskindergärten – nach früherer Rechtsprechung kein Arbeitslohn  – aus Gründen der Gleichbehandlung steuerlich nicht erfasst werden. Er erkannte zwar, dass sich die Gleichbehandlung auch durch Besteuerung erreichen lässt. Doch hielt er die Nichtbesteuerung beider Fallgruppen für eine sachgerechte soziale Maßnahme. Demnach verfolgte der Gesetzgeber mit § 3 Nr. 33 EStG keine Fiskalzwecke, sondern Förderungs- und Lenkungszwecke.

Derartige Normen, mit denen der Gesetzgeber ein ihm aus wirtschafts-, sozial-, umwelt- oder gesellschaftspolitischen Gründen erwünschtes Verhalten der Bürger fördern will, müssen gleichheitsgerecht ausgestaltet sein. Der Förderungs- und Lenkungszweck muss zudem von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen sein. Allerdings kommt dem Gesetzgeber insbesondere hinsichtlich der sachgerechten Abgrenzung des Kreises der Begünstigten ein weiter Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erwächst aus Art. 3 Abs. 1 GG aus einer Steuervergünstigung für eine Gruppe grundsätzlich kein Anspruch einer anderen Gruppe auf eine andere Steuervergünstigung, die wirtschaftlich zu einer vergleichbaren Entlastung führt.

Der Gesetzgeber hat seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Die Kläger haben aus Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf eine § 3 Nr. 33 EStG vergleichbare Entlastung. Es ist sachlich vertretbar, diese Steuervergünstigung auf Arbeitnehmer zu beschränken. Arbeitnehmer sind typischerweise in der Festlegung ihrer Arbeitszeiten fremdbestimmt und von daher besonders auf die arbeitsbegleitende Betreuung ihrer Kinder angewiesen. Nach der konkreten Ausgestaltung der Norm werden außerdem nur zusätzliche Arbeitgeberleistungen begünstigt. Mit dieser Regelung soll die Umwandlung von ohnehin geschuldetem Arbeitslohn in steuerfreie Kinderbetreuungszuschüsse ausgeschlossen werden. Mit dem Angebot der Steuerfreiheit will der Gesetzgeber also einen Anreiz schaffen, dass der Arbeitgeber derartige arbeitsvertraglich nicht geschuldete Zusatzleistungen – Zuschüsse oder Zurverfügungstellung betrieblicher Betreuungsmöglichkeiten – überhaupt erst gewährt. Die damit beabsichtigte Verhaltenslenkung beim Arbeitgeber, die die Bereitstellung erheblicher Mittel zugunsten der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe “qualifizierte Kinderbetreuung” auslösen soll, ist bei der Gruppe der Selbständigen so nicht erreichbar. Gleichzeitig greift das vom Gesetzgeber gewählte Instrument bei dem sehr großen Personenkreis der abhängig Beschäftigten und lässt die Erwartung nachvollziehbar erscheinen, dass der gewünschte sozial- und bildungspolitische Effekt (Förderung des Kindergartenbesuchs, Einrichtung von Betriebskindergärten durch den Arbeitgeber und Inanspruchnahme dieser Leistung durch den Arbeitnehmer) in der Breite erreicht werden kann. Betrachtet man die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und ihre konkrete tatbestandliche Ausgestaltung, so wird deutlich, dass die Verfolgung dieses sozialen Förderzwecks auf einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung beruht. Unberechtigte Doppelbegünstigungen der Arbeitnehmer, die gegen die Norm ins Feld geführt werden könnten, sind ausgeschlossen. Denn soweit Arbeitnehmer gemäß § 3 Nr. 33 EStG steuerfreien Ersatz ihrer Aufwendungen erhalten, sind sie vom Abzug nach §§ 9 Abs. 5 Satz 1 und 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 EStG ausgeschlossen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.07.2012 – III R 80/09