martina heck

30.05.2014

Keine Aufrechnung von Umsatzsteuerguthaben mit Haftungsschuld wegen Umsatzsteuerrückständen

Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass eine Verrechnung der Haftungsschuld des an einem Unternehmen wesentlich beteiligten Eigentümers von Gegenständen mit einem diesem zustehenden Steuerguthaben unwirksam ist.

In dem konkreten Fall hatte das beklagte Finanzamt die Klägerin nach § 74 AO für die Umsatzsteuerrückstände 2007 bis 2010 einer in Insolvenz geratenen GmbH auf Haftung in Anspruch genommen, weil die Klägerin der GmbH Grund und Boden sowie Gebäude überlassen habe und an der GmbH als deren alleinige Gesellschafterin wesentlich beteiligt sei. Die Umsatzsteuer sei während des Bestehens dieser Beteiligung entstanden.

Der Klägerin ihrerseits stehen aufgrund von Umsatzsteuerfestsetzungen 2007 bis 2010 vom 04.03.2011 gegenüber dem Finanzamt Guthaben zu. Das Finanzamt ist der Auffassung, dieses Guthaben der Klägerin sei durch Aufrechnung mit ihren Haftungsschulden erloschen. Es hat darüber einen Abrechnungsbescheid erlassen.

Gegen diesen richtet sich die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, die Erfolg hatte.

Das Finanzgericht Baden-Württemberg urteilte, die Aufrechnung des Finanzamtes sei nicht wirksam. Es fehle an der Gleichartigkeit von Forderung und Gegenforderung. Die Hauptforderung sei auf Geld gerichtet, nicht jedoch die Gegenforderung des Finanzamtes. Gegenstand derselben sei vielmehr ein Anspruch auf Geldzahlung aus einem Grundstück, welcher nur durch eine Zwangsvollstreckung in das der GmbH überlassene Grundstück verwirklicht werden könne. Die Haftung, aufgrund derer die Gegenforderung begründet sei, sei dinglich beschränkt auf die überlassenen Gegenstände. Die Klägerin müsse lediglich die Verwertung der betreffenden Betriebsmittel dulden, woraus folge, dass die Forderung des Finanzamtes nicht auf Geld laute.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Finanzamtes.

Der Bundesfinanzhof hat die Revision des Finanzamtes als unbegründet zurückgewiesen.

Das Urteil des Finanzgerichts entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Das Finanzgericht hat im Ergebnis zu Recht geurteilt, die vom Finanzamt erklärte Aufrechnung gegen die Umsatzsteuerguthaben der Klägerin mit deren nach § 74 AO festgesetzter Haftungsschuld sei unwirksam.

Voraussetzung einer wirksamen Aufrechnung ist nach § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 387 BGB zunächst, dass die aufgerechneten Forderungen – Hauptforderung und Gegenforderung – ihrem Gegenstand nach gleichartig sind. Die gegen die Klägerin festgesetzte Haftungsforderung könnte folglich mit deren auf Zahlung von Geld gerichteten Umsatzsteuerguthaben nur dann verrechnet werden, wenn es sich ebenfalls um eine auf Zahlung von Geld gerichtete Forderung handelte. Das ist zweifellos insofern der Fall, als auch die Haftungsforderung des Finanzamtes auf einen Geldbetrag lautet und von der Klägerin durch die Zahlung eines entsprechenden Geldbetrags befriedigt werden könnte. Jedoch weist die Haftungsforderung gegenüber gewöhnlichen Forderungen aus einem Steuerschuldverhältnis eine Besonderheit auf: Der Haftungsschuldner haftet nach § 74 Abs. 1 S. 1 AO nur “mit” den dem Unternehmen überlassenen Gegenständen. Das bedeutet, dass die Haftungsforderung im Fall ausbleibender Zahlung des Haftungsschuldners nicht in dessen gesamtes Vermögen vollstreckt werden kann, sondern nur durch Vollstreckung in die Gegenstände, derentwegen der Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden ist, sowie in von ihm an deren Stelle erlangte, in seinem Vermögen noch vorhandene Surrogate – wozu auch ein Erlös oder eine Schadenersatzzahlung gehören soll -, sofern nicht – was in der Rechtsprechung des erkennenden Senats des Bundesfinanzhofs bisher offengeblieben ist – § 74 AO darüber hinaus eine Haftung in Höhe des Werts der ehemals überlassenen Gegenstände begründet.

Daraus lässt sich zwar nicht unmittelbar etwas gegen die Wirksamkeit der vom Finanzamt erklärten Aufrechnung herleiten, weil sich das Finanzamt durch diese zwar Befriedigung durch Verwertung an sich nicht für einen Zugriff aufgrund der Haftung zur Verfügung stehender Gegenstände – der Umsatzsteuerguthaben der Klägerin – verschafft hat, dies aber nicht im Wege der Vollstreckung geschehen ist, welche § 74 AO nicht zuließe; denn Aufrechnung ist keine Vollstreckung. Mit Recht hat das Finanzgericht Baden-Württemberg aber nach Auffassung des Bundesfinanzhofs sinngemäß darauf hingewiesen, dass sich der Sinngehalt des § 74 AO nicht darin erschöpft, eine Vollstreckung in das von der Überlassung von Vermögensgegenständen des Haftungsschuldners an den Steuerschuldner nicht betroffene Vermögen zu verhindern. Die Vorschrift will bewirken, dass das Finanzamt hinsichtlich der Befriedigungsmöglichkeiten für seine Steuerforderungen so (aber auch nicht besser) steht, wie wenn die dem Unternehmen von dem Haftungsschuldner lediglich zur Nutzung überlassenen Gegenstände zu dem Vermögen des Unternehmens gehörten. Es soll dem an einem Unternehmen wesentlich beteiligten Dritten verwehrt sein, dem Finanzamt Vollstreckungssubstanz vorzuenthalten oder zu entziehen, obwohl das Unternehmen unter Nutzung der betreffenden Gegenstände betrieben wird und daher die durch diesen Betrieb entstehenden Steuerforderungen – jedenfalls typischerweise – gerade auf der Nutzung der überlassenen Gegenstände (zumindest mit-)beruhen.

Über dieses Ziel schösse es aber hinaus, wenn man dem Finanzamt – statt es auf den Weg einer Vollstreckung in die für die Befriedigung der Haftungsforderung vom Gesetz vorgesehenen Gegenstände zu verweisen – eine Aufrechnung mit irgendwelchen Forderungen des an dem Unternehmen beteiligten Dritten gestattete; denn diese stünden dem Finanzamt zur Befriedigung wegen Steuerschulden des Unternehmens auch dann nicht zur Verfügung, wenn jene von dem Dritten überlassenen Gegenstände Eigentum des Unternehmens und damit Vollstreckungssubstanz wären.

Ob eine Aufrechnung gegen solche Forderungen des Haftungsschuldners auch dann unzulässig wäre, wenn die Haftungsforderung ohnehin nur noch durch Zugriff auf Forderungen des Haftungsschuldners vollstreckt werden kann, weil an die Stelle der dem Unternehmen ehemals überlassenen Gegenstände inzwischen ein entsprechendes Surrogat getreten ist, bedarf keiner Entscheidung; denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.01.2014 – VII R 34/12