Das Finanzgericht Düsseldorf hatte über die Rechtmäßigkeit einer doppelten Besteuerung eines Steuerschuldners in Deutschland und Japan zu entscheiden und insbesondere über die Frage, inwieweit ein japanischer Einkommensteuerbescheid einen Bescheid im Sinne des § 174 Abs. 1 AO darstellt.
Der Kläger ist japanischer Staatsangehöriger und war seit dem 30.06.2000 Mitglied des Vorstandes der C, Tokyo/Japan. Er wurde von Juni 2000 bis Juni 2002 als Geschäftsführer zu der D GmbH nach Z-Stadt entsandt. Dort wurde er auf der Basis einer sog. Nettolohnvereinbarung tätig und hatte in dieser Zeit in Deutschland seinen Wohnsitz.
Die Klägerin, die ebenfalls japanische Staatsangehörige ist, hatte seit 2001 ihren Wohnsitz in Deutschland. Im Streitjahr 2000 wurde der Kläger einzeln zur Einkommensteuer veranlagt, im Streitjahr 2001 wurden die Kläger zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Dem Kläger floss in der Zeit vom 01.06. bis 31.12.2000 für seine Geschäftsführertätigkeit bei der D GmbH ein Arbeitslohn von 176.913 DM und für seine Vorstandstätigkeit bei der C ein Arbeitslohn von 212.077 DM zu.
Im Streitjahr 2001 erzielte der Kläger aus seiner Geschäftsführertätigkeit einen Arbeitslohn von 356.281 DM und aus seiner Vorstandstätigkeit einen Arbeitslohn von 327.369 DM.
Im Rahmen der Einkommensteuererklärungen 2000 und 2001 erklärte der Kläger im Inland steuerpflichtige Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit von 388.990 DM (2000) und 683.650 DM (2001). Für 2001 erklärte er zusätzlich nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei einigen anderen Steuern (DBA Japan) steuerfreie Einkünfte aus der Vorstandstätigkeit von 24.570 DM.
Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2000 und 2001 Einkommensteuerbescheiden vom 14.03.2002 (2000) und vom 29.11.2002 (2001) insoweit erklärungsgemäß fest.
Während einer Betriebsprüfung bei der C kamen die japanischen Finanzbehörden zu dem Ergebnis, dass das Besteuerungsrecht an den Vorstandsbezügen des Klägers gem. Art. 16 des DBA Japan Japan zustehe. Aufgrund dessen unterwarfen die japanischen Finanzbehörden die Vorstandsbezüge des Klägers der Besteuerung und bestätigten die Steuerzahlungen mit „Applications for Certification on Tax Payment“ vom 31.01.2003.
Die Kläger beantragten mit Schreiben vom 23. und 24.03.2004 die Änderung der Einkommensteuerbescheide 2000 und 2001 zur Beseitigung von widerstreitenden Steuerfestsetzungen.
Das beklagte Finanzamt lehnte die Anträge ab. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein.
Zur Beseitigung einer abkommenswidrigen Doppelbesteuerung beantragte der Kläger im September 2007 beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) die Durchführung eines Verständigungsverfahrens nach dem DBA Japan. Mit Bescheid vom 05.12.2008 lehnte das BZSt den Antrag wegen Ablaufs der Antragsfrist ab. Der hiergegen eingelegt Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Der Ablehnungsbescheid wurde bestandskräftig.
Der Beklagte wies die Einsprüche gegen die Ablehnung der Änderungsanträge als unbegründet zurück. Er führte im Wesentlichen aus, Steuerbescheide, die in Widerstreit mit Steuerbescheiden ausländischer Staaten ständen, könnten nicht nach § 174 AO korrigiert werden.
Mit der fristgerecht erhobenen Klage machen die Kläger geltend, § 174 AO sei auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbar. Der Bundesfinanzhof habe mit Urteil vom 09.05.2012 entschieden, dass ein Steuerbescheid auch dann nach Maßgabe von § 174 Abs. 1 AO geändert werden könne, wenn der widerstreitende Steuerbescheid von einer Behörde eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (EU) stamme. Da weder der Wortlaut des § 174 AO noch die Gesetzesbegründung eine Einschränkung allein auf inländische widerstreitende Steuerbescheide enthalte, könne ein Steuerbescheid auch dann nach § 174 Abs. 1 AO geändert werden, wenn der widerstreitende Steuerbescheid von einer Behörde eines Nicht-EU-Mitgliedstaats stamme. Die Einbeziehung solcher Steuerbescheide in den Anwendungsbereich des § 174 Abs. 1 AO ergebe sich auch aufgrund verfassungskonformer Gesetzesauslegung.
Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat es nach Auffassung des Finanzgerichts Düsseldorf zu Recht abgelehnt, geänderte Einkommensteuerbescheide 2000 und 2001 zu erlassen.
Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 1 AO liegen nicht vor.
Nach dieser Regelung ist, wenn ein bestimmter Sachverhalt in mehreren Steuerbescheiden zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtigen berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen, der fehlerhafte Steuerbescheid auf Antrag aufzuheben oder zu ändern.
Die Einkommensteuerbescheide 2000 und 2001 sind fehlerhaft. Im Streitfall ist die Vorstandsvergütung des Klägers, die aufgrund Art. 16 DBA Japan in Japan der Besteuerung unterliegt und nach Abschluss der dortigen Betriebsprüfung dort auch tatsächlich besteuert wurde, in den Einkünften aus § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG des Klägers enthalten und damit steuerlich in beiden Staaten erfasst worden.
Eine Änderung der Einkommensteuerbescheide 2000 und 2001 gem. § 174 Abs. 1 AO scheitert jedoch daran, dass es sich bei den Steuerfestsetzungen durch die japanischen Finanzbehörden nicht um Steuerbescheide i. S. des § 174 Abs. 1 AO handelt.
Die Frage, ob der in § 174 Abs. 1 AO verwendete Begriff „Steuerbescheid“ nur nach inländischem Recht erlassene Verwaltungsakte oder auch damit vergleichbare Maßnahmen ausländischer Behörden umfasst ist im Schrifttum streitig.
Der Bundesfinanzhof ist der letztgenannten Auffassung jedenfalls insoweit, als Maßnahmen von Steuerbehörden von Mitgliedstaaten der EU in Rede stehen, gefolgt.
Insoweit hat der Bundesfinanzhof ausgeführt, für eine Begrenzung auf inländische Verwaltungsakte könne ins Feld geführt werden, dass der Begriff „Steuerbescheid“ nach der allgemeinen Terminologie der Abgabenordnung (in § 155 Abs. 1 Satz 2 AO) einen Verwaltungsakt bezeichne, durch den eine von einer Bundesfinanzbehörde oder eine Landesfinanzbehörde (vgl. § 6 Abs. 2 AO) verwaltete Steuer (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AO) festgesetzt werde (§ 155 Abs. 1 Satz 1 AO). Dem Zweck des § 174 AO, der darin bestehe, Vorteile und Nachteile auszugleichen, die sich durch einander inhaltlich widersprechende Steuerbescheide ergäben, könne indes eine zwingende Begrenzung dahin, dass ein (unrichtiger) inländischer Bescheid nur geändert werden dürfe, wenn der inhaltliche Widerspruch zu einem anderem inländischen Bescheid bestehe, nicht entnommen werden. Die in § 174 AO angelegte Durchbrechung der Bestandskraft des Steuerbescheids zugunsten der materiellen Richtigkeit der Besteuerung sei der Sache nach vielmehr nicht minder gerechtfertigt, wenn der in Rede stehende Widerspruch zwischen dem (unrichtigen) inländischen Steuerbescheid und einem von einer ausländischen Behörde erlassenen Steuerbescheid bestehe. Die von Wortlaut (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 1 AO „soweit nichts anderes vorgeschrieben ist“) und Zweck der Norm her mögliche Einbeziehung ausländischer Verwaltungsakte in den Anwendungsbereich des § 174 Abs. 1 AO sei unter dem Aspekt der unionsrechtskonformen Auslegung der nationalen Rechtsnormen jedenfalls insoweit geboten, als es um die Berücksichtigung von Steuerbescheiden gehe, die von Steuerbehörden aus EU-Mitgliedstaaten erlassen worden seien. Im Lichte der unionsrechtlichen Grundfreiheiten erscheine dem Bundesfinanzhof eine Auslegung des § 174 Abs. 1 AO dahingehend, dass ein fehlerhafter inländischer Steuerbescheid auch dann geändert werden könne, wenn der widerstreitende Steuerbescheid von der Behörde eines Mitgliedstaats der EU erlassen wurde, vorzugswürdig.
In der Literatur ist das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 09.05.2012 zum größten Teil auf Zustimmung gestoßen. Ob § 174 Abs. 1 AO sich auch auf widerstreitende Steuerbescheide aus Drittländern erstreckt ist jedoch weiterhin umstritten. Einer Auffassung erscheint dies aufgrund der Entscheidungsgründe des Bundesfinanzhofs ausgeschlossen. Eine Ausnahme sei nur gegeben, wenn ein Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV), vorliege, da die Kapitalverkehrsfreiheit auch für Drittstaaten gelte. Zum Teil wird die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 1 AO jedenfalls insoweit bejaht, als ein Diskriminierungsverbot nach einem DBA verletzt sei. Eine weitergehende Meinung vertritt, dass ausländische Steuerbescheide im Falle des Widerstreits i. S. des § 174 AO stets Berücksichtigung finden sollten.
Nach der Auffassung des Finanzgerichts Düsseldorf lässt sich der Begriff „Steuerbescheid“ i. S. des § 174 Abs. 1 AO nicht dahingehend auslegen, dass hiervon auch stets ausländische Steuerbescheide umfasst sind. Das Finanzgericht Düsseldorf stimmt der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs insoweit zu, als eine Einbeziehung ausländischer Verwaltungsakte in den Anwendungsbereich des § 174 Abs. 1 AO weder durch den Wortlaut der Vorschrift ausgeschlossen wird noch dem Sinn und Zweck der Regelung widerspricht. Auch die Gesetzesbegründung steht der Einbeziehung ausländischer Verwaltungsakte nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat die Anwendung des § 174 Abs. 1 AO auf widerstreitende ausländische Steuerbescheide weder positiv noch negativ geregelt. Einer Einbeziehung ausländischer Verwaltungsakte in den Anwendungsbereich des § 174 Abs. 1 AO steht aber die systematische Auslegung entgegen. Die Begriffe „Steuerbescheid“ und „Steuerfestsetzung“ werden in § 155 Abs. 1 AO verwendet. Hieraus ergibt sich, dass die Steuern, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, von der Finanzbehörde durch Steuerbescheid festgesetzt werden (§ 155 Abs. 1 S. 1 AO). Unter Steuerbescheid in diesem Sinne ist gem. § 155 Abs. 1 S. 2 AO der nach § 122 Abs. 1 AO bekanntgegebene Verwaltungsakt zu verstehen. Der Begriff der Finanzbehörde ist in § 6 Abs. 2 AO definiert. Danach sind Finanzbehörden die im Gesetz über die Finanzverwaltung genannten Bundes- und Landesfinanzbehörden, die alle Steuern und Steuervergütungen, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Gemeinschaften geregelt sind, verwalten (§ 1 Abs. 1 S. 1 AO). Aus dem Zusammenhang dieser Vorschriften ergibt sich, dass mit „Steuerbescheid“ i. S. des § 174 Abs. 1 AO grundsätzlich nur eine Festsetzung durch Steuerbescheid einer nationalen Behörde gemeint sein kann. Etwas anderes lässt sich nach Auffassung des Senats auch nicht aus der in § 155 Abs. 1 Satz 1 AO enthaltenen Regelung „soweit nichts anderes vorgeschrieben ist“ herleiten. Denn diese bezieht sich auf die Art der Steuerfestsetzung, nicht aber auf die Erlassbehörde.
Im Streitfall ergibt sich die Notwendigkeit für eine andere Auslegung auch nicht aus den unionsrechtlichen Grundfreiheiten, der auch für Drittstaaten geltenden Kapitalverkehrsfreiheit oder dem Diskriminierungsverbot i. S. des Art. 24 Abs. 1 DBA Japan.
Der Steuerbescheid der japanischen Finanzbehörden ist nicht aufgrund der Beschränkung unionsrechtlicher Grundfreiheiten in den Anwendungsbereich des § 174 Abs. 1 AO einzubeziehen. Die unionsrechtlichen Grundfreiheiten (Niederlassungsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit) finden im vorliegenden Fall keine Anwendung. Japan ist nicht Mitgliedstaat der EU und die Kläger sind keine Bürger eines EU-Mitgliedstaats.
§ 174 Abs. 1 AO ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit i. S. des Art. 63 AEUV anwendbar.
Es ist nicht ersichtlich, dass die materiell-rechtlich unzutreffende Erfassung der Vorstandsbezüge in den deutschen Einkommensteuerbescheiden und die gleichzeitige Besteuerung in Japan eine Beschränkung des Kapitalverkehrs i. S. des Art. 63 AEUV darstellen.
Die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 1 AO ergibt sich auch nicht aus einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot i. S. des Art. 24 Abs. 1 DBA Japan, so das Finanzgericht Düsseldorf.
Zwar bestimmt Art. 24 Abs. 1 DBA Japan, dass die Staatsangehörigen eines Vertragsstaates in dem anderen Vertragsstaat weder einer Besteuerung noch einer damit zusammenhängenden Verpflichtung unterworfen werden dürfen, die anders oder belastender sind als die Besteuerung und die damit zusammenhängenden Verpflichtungen, denen die Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaates unter gleichen Verhältnissen unterworfen sind oder unterworfen werden können. Im Streitfall liegt aber kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vor. Die Nichtanwendung des § 174 Abs. 1 AO auf japanische Steuerfestsetzungen führt nicht zu einer Diskriminierung japanischer Steuerpflichtiger im Vergleich zu deutschen Steuerpflichtigen. Denn der daraus resultierende Ausschluss der Korrekturmöglichkeit nach § 174 Abs. 1 AO würde in gleicher Weise auch deutsche Staatsangehörige treffen, zu deren Ungunsten eine widerstreitende Steuerfestsetzung einer japanischen Finanzbehörde ergangen ist.
Die Einbeziehung der japanischen Verwaltungsakte in den Anwendungsbereich des § 174 Abs. 1 AO ist auch nicht unter dem Aspekt verfassungskonformer Auslegung dieser Änderungsvorschrift geboten.
Art. 3 Abs. 1 GG verlangt lediglich die Gleichbehandlung nämlicher Sachverhalte. Er ist nur verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden lässt, also zwischen den Vergleichsgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können.
Zwischen der Doppelberücksichtigung eines Sachverhalts in einem inländischen und einem ausländischen Steuerbescheid, der von einer Behörde eines Nicht-EU-Mitgliedstaats stammt, einerseits und der Doppelberücksichtigung eines Sachverhalts in zwei inländischen Steuerbescheiden oder in einem inländischen und einem widerstreitenden Steuerbescheid einer Behörde eines EU-Mitgliedstaats andererseits bestehen jedoch Sachunterschiede, die eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf § 174 Abs. 1 AO rechtfertigen. In Bezug auf den widerstreitenden Steuerbescheid, der von einer Behörde eines Nicht-EU-Mitgliedstaats stammt, sind die Kontroll- und Überprüfungsmöglichkeiten der deutschen Finanzbehörden beschränkt, während sie in Bezug auf inländische widerstreitende Steuerfestsetzungen aufgrund der zwischen den Behörden bestehenden Verpflichtung zur Amtshilfe umfassende Kontroll- und Überprüfungsmöglichkeiten haben, um zu ermitteln, ob tatsächlich eine Doppelbesteuerung vorliegt. Letzteres gilt auch für die widerstreitende Steuerfestsetzung einer Behörde eines EU-Mitgliedstaats. Denn die Verwaltungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten sind zur Zusammenarbeit, insbesondere auch zum Informationsaustausch, verpflichtet.
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 28.01.2014 – 13 K 3534/12