martina heck

12.11.2013

Innergemeinschaftliche Lieferung von Blutplasma – Konkurrenzverhältnis von Steuerbefreiungen

Nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesfinanzhofs berechtigt eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen, deren Lieferung im Inland ohne Recht zum Vorsteuerabzug steuerfrei wäre, nicht zum Vorsteuerabzug.

In dem konkreten Fall lieferte die Klägerin, eine gemeinnützige GmbH (“gGmbH”), in den Streitjahren 2001 und 2002 Blutplasma in das übrige Gemeinschaftsgebiet. Das beklagte Finanzamt hob im Anschluss an eine Außenprüfung den Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) für beide Streitjahre auf. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, mit dem sie erstmals geltend machte, dass ihr der Vorsteuerabzug nach § 15 UStG 1999 für die Lieferung von Blutplasma in das übrige Gemeinschaftsgebiet zustehe. Im Rahmen einer nachfolgenden Prüfung ging das Finanzamt davon aus, dass es sich bei den Lieferungen in das übrige Gemeinschaftsgebiet um Reihengeschäfte gehandelt habe, in deren Rahmen die Lieferungen der Klägerin als nicht nach § 6a UStG steuerfrei anzusehen seien. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Ohne die Frage, ob es sich um Lieferungen im Inland oder um innergemeinschaftliche Lieferungen handelt, zu vertiefen, ging das Finanzgericht bei seinem Urteil davon aus, dass die Klägerin unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den Bestimmungen der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei und sie auch keinen Vertrauensschutz beanspruchen könne. Selbst wenn innergemeinschaftliche Umsätze vorlägen, sei die Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Komme ein Vorsteuerabzug bei Blutplasmalieferungen im Inland nicht in Betracht, bestehe auch bei Blutplasmalieferungen, die als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei seien, kein Recht auf Vorsteuerabzug.

Hiergegen richtete sich die Klägerin mit ihrer Revision; der Bundesfinanzhof folgte der Vorinstanz.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ist der Vorsteuerabzug für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet, ausgeschlossen.

Diese Vorschriften sind entsprechend Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG auszulegen. Danach ist der Steuerpflichtige (Unternehmer), der Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, befugt, die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden, von der von ihm geschuldeten Steuer abzuziehen.

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist der Unternehmer gemäß § 15 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 UStG bei richtlinienkonformer Auslegung zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Eingangsleistungen für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG, Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG) und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung steuerpflichtiger Leistungen gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG) zu verwenden beabsichtigt.

Neben dem Vorsteuerabzug für steuerpflichtige Leistungen gegen Entgelt ist der Unternehmer gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b UStG auch insoweit zum Vorsteuerabzug berechtigt, als er Eingangsleistungen für Zwecke der dort aufgeführten steuerfreien Umsätze zu verwenden beabsichtigt. Zu diesen gehören die nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen, nicht aber z.B. die nach § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG steuerfreie Lieferung von menschlichem Blut im Inland.

Unionsrechtliche Grundlage hierfür ist Art. 17 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG. Danach gewähren die Mitgliedstaaten jedem Steuerpflichtigen den Abzug oder die Erstattung der in Abs. 2 genannten Mehrwertsteuer auch, soweit Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. g und i, Art. 15, Art. 16 Abs. 1 Teile B, C, D und E und Abs. 2 sowie Art. 28c Teile A und C der Richtlinie 77/388/EWG befreiten Umsätze verwendet werden. Zu den danach zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätzen gehören innergemeinschaftliche Lieferungen i.S. von Art. 28c der Richtlinie 77/388/EWG, nicht aber auch die Lieferung von menschlichem Blut, die nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei ist.

Im Streitfall ist die Klägerin nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, wie das Finanzgericht zutreffend unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union 07.12.2006 entschieden hat.

Bezieht der Unternehmer Leistungen für die innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen, deren Lieferung im Inland aber steuerfrei ist, hat der Unternehmer kein Recht auf Vorsteuerabzug. Nach dem Leitsatz des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 07.12.2006 ((EuGH, Urteil vom 07.12.2006 – C-240/05 – Eurodental, Slg. 2006, I-11479)) eröffnet ein Umsatz, “der nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe e der … Richtlinie 77/388/EWG … innerhalb eines Mitgliedstaats von der Mehrwertsteuer befreit ist, … kein Recht auf Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe b dieser Richtlinie, selbst wenn es sich um einen innergemeinschaftlichen Umsatz handelt”.

Maßgeblich ist hierfür die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass, wenn die innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen ein Recht auf Vorsteuerabzug im Abgangsmitgliedstaat eröffnen würde, obwohl die Inlandslieferung dieses Gegenstandes steuerfrei ist, derartige Gegenstände in der Gemeinschaft unter vollständiger Befreiung von der Mehrwertsteuer geliefert werden könnten, da im Hinblick auf die Steuerfreiheit der Inlandslieferung auch der innergemeinschaftliche Erwerb im Bestimmungsmitgliedstaat gemäß Art. 28c Teil B Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (im Inland: § 4b Nrn. 1 und 2 UStG) steuerfrei wäre und daher ein Vorsteuerabzug ohne Besteuerung auf der folgenden Stufe erfolgen würde. Nach der Zielsetzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und der durch die Richtlinie 77/388/EWG eingeführten Regelung für die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten kann aber “ein Steuerpflichtiger, dem eine Steuerbefreiung zugute kommt und der folglich nicht zum Abzug der innerhalb eines Mitgliedstaats gezahlten Vorsteuer berechtigt ist, dieses Recht auch dann nicht haben, wenn der betreffende Umsatz innergemeinschaftlichen Charakter hat”, so dass es unter “diesen Umständen … der Systematik der Sechsten Richtlinie [entspricht], dass der Regelung, die auf die spezifischen Steuerbefreiungen des Artikels 13 Teil A dieser Richtlinie anwendbar ist, Vorrang vor derjenigen zuerkannt wird, die auf die von der Richtlinie vorgesehenen allgemeinen Steuerbefreiungen betreffend innergemeinschaftliche Umsätze anwendbar ist”.

Dieses Spezialitätsverhältnis ist auch bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung von § 15 Abs. 3 UStG zu beachten, da der Wortlaut dieser Vorschrift dem nicht entgegensteht. Ohne Bedeutung ist daher, dass sich im Streitfall die Steuerfreiheit des Inlandsumsatzes zwar nicht aus Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG, aber aus Buchst. d dieser Bestimmung als unionsrechtlicher Grundlage von § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG ergibt.

Danach hat das Finanzgericht zu Recht entschieden, dass die Klägerin im Streitfall nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Selbst wenn sie innergemeinschaftliche Lieferungen ausgeführt hat, die grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigen, ist entgegen der Auffassung der Klägerin der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, weil die Lieferung von Blutplasma im Inland nach § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG steuerfrei ist.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.08.2013 – V R 30/12