Ob die Entfernungspauschale für eine wöchentliche Familienheimfahrt im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung auch dann in Anspruch genommen werden kann, wenn der Steuerpflichtige für die Fahrt keine Kosten hatte, hat nun der Bundesfinanzhof entschieden.
Der Bundesfinanzhof hat die Frage bejaht, jedoch klargestellt, dass vom Arbeitgeber steuerfrei geleistete Reisekostenvergütungen und steuerfrei gewährte Freifahrten mindernd auf die Entfernungspauschale anzurechnen sind.
Im Streitfall machte der verheiratete Kläger in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2007) u.a. Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung für 48 Heimfahrten in Höhe von 5.199 € (48 Fahrten x 361 Entfernungskilometer x 0,30 € = 5.198,40 €) geltend. Elf Familienheimfahrten, die der Kläger mit dem eigenen PKW durchgeführt hatte, berücksichtigte das Finanzamt, die übrigen mit der Bahn durchgeführten Familienheimfahrten hingegen nicht. Hierfür seien dem bei der Bahn angestellten Kläger keine Aufwendungen entstanden. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht argumentierte, der Kläger könne die Entfernungspauschale nicht in Anspruch nehmen, soweit er die Aufwendungen für die Heimfahrten nicht selbst getragen habe.
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs gründet sich auf folgenden Überlegungen:
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 S. 3 der im Streitjahr geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes (EStG) können im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung Aufwendungen für die Wege vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstands und zurück (Familienheimfahrten) jeweils für eine Familienheimfahrt wöchentlich als Werbungskosten abgezogen werden.
a) Zur Abgeltung der Aufwendungen für eine Familienheimfahrt ist eine Entfernungspauschale von 0,30 EUR für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen dem Ort des eigenen Hausstands und dem Beschäftigungsort anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 S. 4 EStG). Die danach zu berücksichtigenden Beträge sind um steuerfreie Sachbezüge (§ 8 Abs. 3 EStG) zu mindern; ist der Arbeitgeber selbst der Verkehrsträger, ist der Preis anzusetzen, den ein dritter Arbeitgeber an den Verkehrsträger zu entrichten hätte (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 5 i.V.m. Nr. 4 Satz 5 EStG).
b) Die Entfernungspauschale gilt unabhängig davon, ob die Familienheimfahrten zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem eigenen PKW oder öffentlichen Verkehrsmitteln durchgeführt werden und ob dem Steuerpflichtigen überhaupt Kosten für diese Wege entstanden sind. Zwar setzt die Regelung nach ihrem Wortlaut Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstands und zurück (Familienheimfahrten) voraus, doch wird das Entstehen der Aufwendungen mit der Formulierung “Zur Abgeltung der Aufwendungen” aus Vereinfachungsgründen gesetzlich unterstellt. Deshalb ist die Entfernungspauschale für Familienheimfahrten beispielsweise auch dann zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer (kostenfrei) von Verwandten abgeholt wird oder als Mitfahrer einer Fahrgemeinschaft keine Aufwendungen hat.
c) Zu Recht hatte das Finanzgericht Sachsen-Anhalt darauf hingewiesen, dass die Entfernungspauschale insoweit eine systemwidrige Begünstigung vermittelt. Denn üblicherweise setzt der Werbungskostenabzug nach § 9 EStG Aufwendungen und damit eine Vermögensminderung beim Steuerpflichtigen voraus. Das Finanzgericht verkennt jedoch, so der Bundesfinanzhof, dass die Entfernungspauschale, soweit sie – in Abweichung vom objektiven Nettoprinzip – noch als entfernungsabhängige Subvention wirkt, durch umwelt- und verkehrspolitische Lenkungszwecke sowie aus Gründen der Steuervereinfachung gerechtfertigt ist.
aa) Der Steuergesetzgeber ist grundsätzlich nicht gehindert, außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele aus Gründen des Gemeinwohls zu verfolgen. Er darf nicht nur durch Ge- und Verbote, sondern ebenso durch mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss nehmen. Der Bürger wird dann nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, erhält aber durch Sonderbelastung eines unerwünschten Verhaltens oder durch steuerliche Verschonung eines erwünschten Verhaltens ein Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu entscheiden. Nur dann jedoch, wenn solche Förderungs- und Lenkungsziele von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen werden, sind sie auch geeignet, rechtfertigende Gründe für steuerliche Belastungen oder Entlastungen zu liefern. Weiterhin muss der Förderungs- und Lenkungszweck gleichheitsgerecht ausgestaltet sein und auch Vergünstigungstatbestände müssen jedenfalls ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung aufweisen.
bb) Diesen verfassungs- wie einfachrechtlichen Maßstäben wird die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG gerecht.
Die Entscheidung des Gesetzgebers, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG in diesen Fällen so auszugestalten, dass die Vorschrift wie eine Steuervergünstigung wirkt, ist erkennbar von umwelt- und verkehrspolitischen Zielen getragen. Die Entfernungspauschale soll insbesondere die Chancengleichheit zwischen den Verkehrsträgern erhöhen und die Bildung von Fahrgemeinschaften honorieren. Darüber hinaus dient sie der Steuervereinfachung. Denn sie erspart beispielsweise Nachforschungen, ob der Steuerpflichtige die Wegstrecke allein oder in einer Fahrgemeinschaft zurückgelegt hat. Dies war bis zur Einführung der verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale durch das Gesetz zur Einführung einer Entfernungspauschale vom 21.12.2000 notwendig. Denn bis zum Veranlagungszeitraum 2001 sind bei Fahrgemeinschaften bei dem einzelnen Mitglied Wegekosten nur insoweit berücksichtigt worden, als es sein eigenes Kraftfahrzeug eingesetzt hat. Bei Mitfahrern wurden mangels eigener Aufwendungen hingegen keine Fahrtkosten berücksichtigt, und zwar auch dann nicht, wenn sie für den Jahresschluss eine gegenseitige finanzielle Verrechnung vereinbart und durchgeführt hatten.
Die Vermutung des Finanzgerichts geht deshalb, so der Bundesfinanzhof, fehl, der Gesetzgeber habe sich bei der Einführung der verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale im Hinblick auf Fahrgemeinschaften davon leiten lassen, dass es in aller Regel so sei, dass entweder die Mitfahrer sich an den Kosten beteiligten oder aber die Fahrer sich abwechselten, den einzelnen Beteiligten jedenfalls Aufwendungen entstünden.
cc) Weiter sprechen auch systematische Erwägungen für eine aufwandsunabhängige Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 S. 4 EStG. Denn der Gesetzgeber trägt vermeintlich “aufwandslosen” Fallgruppen durch gesetzliche Sonderregelungen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 S. 5 i.V.m. Nr. 4 S. 3 EStG <steuerfreie Sammelbeförderung>; § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 5 i.V.m. Nr. 4 S. 5 EStG <nach § 8 Abs. 3 EStG steuerfreie Sachbezüge für Familienheimfahrten>; § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 S. 6 EStG <Aufwendungen für Familienheimfahrten mit einem dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer Einkunftsart überlassenen Kraftfahrzeug>) Rechnung, denen es nach der Lesart des Finanzgerichts nicht bedürfte.
dd) Schließlich steht der Erkenntnis, dass die Entfernungspauschale für eine wöchentliche Familienheimfahrt im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung auch dann angesetzt werden kann, wenn dem Steuerpflichtigen für diese Wege tatsächlich keine Aufwendungen entstanden sind, auch nicht das Urteil des hier erkennenden Senats des Bundesfinanzhofs entgegen. Zwar hat der Bundesfinanzhof in dieser Sache entschieden, dass die Kilometer-Pauschbeträge für Familienheimfahrten des zur Berufsausbildung auswärts untergebrachten Kindes dann nicht bei der Ermittlung der für die Kürzung des Ausbildungsfreibetrages relevanten Einkünfte und Bezüge des Kindes als Werbungskosten abgezogen werden können, wenn die Eltern das Kind mit dem eigenen Kraftfahrzeug befördern und dem Kind dadurch keine eigenen Aufwendungen entstehen. Diese Entscheidung betrifft jedoch das Streitjahr 1999, mithin die Rechtslage vor Einführung der verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale zum 01.01.2001.
2. Das Finanzgericht ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; die Vorentscheidung wurde deshalb vom Bundesfinanzhof aufgehoben.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.04.2013 – VI R 29/12