martina heck

04.10.2012

Haftungsprivileg für Berufssportler

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte darüber zu entscheiden, wann ein Berufssportler gegenüber einem anderen Berufssportler für eine Körperverletzung durch ein Foul haftet.

In dem entschiedenen Fall verlangte der Kläger, früher Berufseishockeyspieler und auch Mitglied der Deutschen Eishockey-Nationalmannschaft, von einem Mitspieler nach Verletzungen in einem Spiel der 2. Eishockey-Bundesliga im November 2008 unter anderem Schmerzensgeld in Höhe von ca. 10.000 Euro. Der Beklagte, der im Spiel seinen gebrochenen Schläger weggeworfen hatte, checkte den Kläger regelwidrig von schräg hinten und stieß ihn in Richtung Bande, um den Angriff des Klägers auf das gegnerische Tor zu behindern. Vom Schiedsrichter wurde eine große Strafe plus Spieldauerdisziplinarstrafe verhängt. Bei dem Aufprall erlitt der Kläger erhebliche Verletzungen an der linken Schulter und musste zwei Mal operiert werden, er kann den Beruf eines Eishockeyspielers nicht mehr ausüben. Die Berufsgenossenschaft hat den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt und erbringt Leistungen an den Kläger, unter anderem für eine Umschulung.

In der ersten Instanz hatte das Landgericht Freiburg die Klage abgewiesen. Zivilrechtliche Schadensersatzansprüche seien gemäß §§ 106 Abs. 3 Alt. 3, 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Der Wettkampf im Berufssport stelle eine betriebliche Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne dieser Vorschriften dar. Deshalb hafte der Beklagte nur bei vorsätzlicher Schädigung. Eine solche liege jedoch nicht vor. Zwar habe der Beklagte den Kläger regelwidrig von schräg hinten angefahren und in Richtung der Bande gestoßen (“Bandencheck”); es lasse sich jedoch nicht feststellen, dass er seinen Spielgegner ernsthaft körperlich habe verletzen wollen. Anhaltspunkte hierfür ergäben sich weder aus der Videoaufnahme der Spielszene noch aus den Angaben der vernommenen Zeugen (Linien- und Schiedsrichter); vielmehr spreche beides für einen “üblichen” Regelverstoß.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen.

Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB stehen dem Kläger nach Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe nämlich nicht zu. Dabei kommt es nicht darauf an, ob seine Sportverletzung nach allgemeinen Grundsätzen zu einer deliktischen Haftung des Beklagten führen würde. Denn die Haftung ist nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII durch das Haftungsprivileg der gesetzlichen Unfallversicherung beschränkt.

Nach § 105 Abs. 1 SGB VII haften Arbeitnehmer, die einen Arbeitskollegen im Betrieb verletzen, nur bei Vorsatz. Hierdurch soll einerseits eine doppelte Inanspruchnahme des Arbeitgebers – durch Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung und Regressansprüche des Schädigers wegen gefahrgeneigter Arbeit – verhindert werden; andererseits geht es darum, Schadensersatzstreitigkeiten zwischen Betriebsangehörigen zu vermeiden. Einem vergleichbaren Normzweck dient § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII. Die Vorschrift erstreckt das Haftungsprivileg auf Angehörige verschiedener Betriebe, wenn es auf einer “gemeinsamen Betriebsstätte” zu Personenschäden kommt. Auch hier sollen die beteiligten Arbeitgeber vor dem Regress ihrer Arbeitnehmer geschützt werden; außerdem geht es um die Wahrung des Friedens zwischen Arbeitnehmern kooperierender Betriebe, soweit sie in einer Gefahrengemeinschaft verbunden sind. Der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte orientiert sich an diesem Normzweck und ist tätigkeitsbezogen-funktional zu verstehen. Erforderlich ist weder ein gemeinsamer Zweck der beteiligten Unternehmen noch die Unterhaltung einer Betriebsstätte in gemeinsamer Organisation und Verantwortung. Vielmehr erfasst § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII über die Fälle der Arbeitsgemeinschaft hinaus betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch gemeinsames Tun erfolgt.

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Die Spielverletzung des Klägers steht in unmittelbarem inneren Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit als Berufssportler. Es handelt sich mithin um einen Arbeitsunfall i.S. des § 8 SGB VII; als solchen hat die Berufsgenossenschaft des Klägers den Vorfall auch anerkannt. Zudem waren Kläger und Beklagte anlässlich ihres Wettkampfs auf einer gemeinsamen Betriebsstätte im oben erläuterten Sinne tätig. Auf den gegenläufigen Zweck ihres Gegeneinander-Spiels kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass beide Mannschaften nach gemeinsamen Spielregeln zusammenwirken und sich gegenseitig in besonderer Weise ergänzen, weil der Wettkampf nur im Miteinander möglich ist. Zudem liegt der typische Fall einer Gefahrengemeinschaft vor. Denn jeder Spieler beider Mannschaften ist in gleicher Weise, sei es als Verletzter oder als Schädiger, den Verletzungsrisiken des Spiels ausgesetzt. Normzweckerwägungen sprechen deshalb deutlich für eine Anwendung des Haftungsprivilegs im Berufssport: Jeder verletzte Spieler ist materiell durch seine Berufsgenossenschaft abgesichert; Schmerzensgeldprozesse zwischen Spielern gegnerischer Mannschaften könnten das friedliche Zusammenspiel für die Zukunft erheblich beeinträchtigen. Auch der Gesichtspunkt der Generalprävention fordert außerhalb der Vorsatzfälle keine unmittelbare Haftung des Schädigers gegenüber dem Verletzten. Grob fahrlässige Regelverstöße führen – neben Disziplinarmaßnahmen – zu einem Regress des Sozialversicherungsträgers beim Schädiger, § 110 Abs. 1 SGB VII. Dieser Regress hat präventive und erzieherische Funktion.

Zur Frage des Vorsatzes hat das Oberlandesgericht Karlsruhe ausgeführt:

Der Beklagte hat den Versicherungsfall nicht i.S. des § 105 Abs. 1 SGB VII vorsätzlich herbeigeführt. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass der Beklagte bei seiner Aktion den Eintritt ernsthafter Verletzungsfolgen in Kauf genommen hätte. Schon die eigene Unfallbeschreibung des Klägers spricht eher gegen einen Körperverletzungsvorsatz. Ihr zufolge verfolgte der Beklagte den Kläger in unmittelbaren Kampf um den Puck quer über das Feld, um ihn daran zu hindern, den Puck, den der Kläger zuvor mit einem Schlagschuss hinter dem Tor der gegnerischen Mannschaft gegen die Bande geschossen hatte, beim Zurücklaufen an der Bande wieder aufzunehmen. Wie die Videoaufnahme der Szene zeigt, war der Beklagte dem Kläger hierbei dicht auf den Fersen. Der Angriff erfolgte also weder grundlos, noch überraschend, sondern aus dem Spiel heraus; grundsätzlich durfte der Beklagte den Kläger auch ohne Schläger mit dem Ziel angreifen, den Puck mit der Hand wegzuschieben. Indem er den Kläger im Eifer dieser Aktion geschubst und kurz vor der Bande zu Fall gebracht hat, verstieß er zwar gegen Regel Nr. 522; ein hinreichendes Indiz für einen Verletzungsvorsatz liegt hierin jedoch nicht. Auch den Angaben der vernommenen Zeugen und der Videoaufnahme von der Spielszene lassen sich entsprechende Indizien nicht entnehmen.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.09.2012 – 4 U 256/11