martina heck

27.09.2013

Genug ist genug – zweimal Beißen reicht auch in Niedersachsen

Im Land Niedersachsen (anders als im Land Brandenburg) sieht das Gesetz vor, dass die Gefährlichkeit eines Hundes als solche festgestellt werden kann.

Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat zu dieser Thematik im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens entschieden, dass, wenn der Hund mehrmals Menschen gebissen hat, es zur Feststellung seiner Gefährlichkeit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG aus Gründen der Gefahrenvorsorge regelmäßig keiner weiteren Prüfung bedarf und der Hundehalter im Übrigen auf das Erlaubnisverfahren nach §§ 8 ff NHundG zu verweisen ist.

Der Antrag an das Verwaltungsgericht Oldenburg richtete sich sich gegen die sofortige Vollziehung der Feststellung der Gefährlichkeit eines vom Antragsteller gehaltenen, rund 12 Jahre alten Collie-Rüden.

Diese Feststellung der Gefährlichkeit hatte die Antragsgegnerin gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG mit Bescheid vom 20.08.2013, den der Antragsteller parallel mit einer Klage angreift.

Rechtsbehelfe gegen die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes haben gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 NHundG keine aufschiebende Wirkung. Insofern ist gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1 VwGO der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache gegen den feststellenden Verwaltungsakt erhobenen, zulässigen Anfechtungsklage die statthafte Antragsart.

Soweit der angegriffene Bescheid der Antragsgegnerin neben der Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes im Übrigen z.B. noch auf die Rechtslage hinweist, insbesondere dass mit der Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes gemäß § 9 Satz 4 NHundG dieser Hund außerhalb ausbruchsicherer Grundstücke anzuleinen ist und er einen Beißkorb zu tragen hat, gibt er die abstrakt-generelle Rechtslage nach dem Gesetz wieder, vgl. § 9 Satz 4 NHundG, ohne dass ihm insoweit ein eigener konkret-individueller Regelungs- und/oder Feststellungsgehalt zukäme. Dementsprechend überschreibt die Antragsgegnerin ihre weiterführenden Bemerkungen im angegriffenen Bescheid (auf Seite 3) auch zutreffend als „Feststellungsbegleitende Hinweise“. Danach geht das Gericht davon aus, dass der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sich auf diese Passagen des angegriffenen Bescheides nicht bezieht.

Für den Erfolg eines Antrages nach § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO ist entscheidend, ob das private Interesse eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bewerten ist. Bei dieser Interessenabwägung sind die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Bei einer offensichtlich Erfolg versprechenden Klage überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen regelmäßig das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist.

Gemessen daran ist der Antrag unbegründet, weil sich die Anfechtungsklage voraussichtlich als unbegründet erweisen wird.

Der angegriffene Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.08.2013 erweist sich voraussichtlich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller voraussichtlich nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Der Bescheid vom 20.08.2013 ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. So hat die Antragsgegnerin den Antragsteller vor dem Erlass des Bescheides hinreichend angehört, vgl. § 28 VwVfG, und ist die örtlich zuständige Antragsgegnerin auch sachlich zuständig, weil sie als kreisfreie Stadt zuständige Fachbehörde gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 NHundG für die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes ist.

Der Bescheid bleibt auch in materieller Hinsicht beanstandungsfrei.

Rechtsgrundlage der Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes ist § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG. Danach stellt die Fachbehörde fest, dass der Hund gefährlich ist, wenn die Prüfung nach Satz 1 Tatsachen ergibt, die den Verdacht rechtfertigen, dass von dem Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.

Erhält die Behörde einen Hinweis auf eine gesteigerte Aggressivität eines Hundes, hat sie dem von Amts wegen nachzugehen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 NHundG) und bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG die Gefährlichkeit festzustellen. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn ein Hund Menschen oder Tiere gebissen oder sonst eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust oder Schärfe gezeigt hat (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 NHundG) oder auf Angriffslust, auf über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft oder Schärfe oder auf ein anderes in der Wirkung gleichstehendes Merkmal gezüchtet, ausgebildet oder abgerichtet ist (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 NHundG). Die Gefährlichkeit eines Hundes ergibt sich danach aus einer über das artgerechte Potential von Hunden hinausgehenden, nämlich gesteigerten Aggressivität eines Hundes, was auch schon der Wortlaut von § 7 Abs. 1 Satz 1 einleitender Satzteil NHundG zeigt, wo es ausdrücklich “gesteigerte Aggressivität” heißt. Insofern liegen in § 7 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 und 2 NHundG mit der einleitenden Wortwahl „insbesondere“ gesetzliche Regelbeispiele vor.

Dabei geht der Gesetzgeber mit Regelbeispiel Nr. 1, erster Fall, davon aus, dass eine das artgerechte Potential übersteigende Aggressivität vorliegt, wenn der Hund – wie hier – Menschen gebissen hat.

Ergibt die von der Behörde einzuleitende Prüfung danach Tatsachen, die den Verdacht rechtfertigen, dass ein Gefahrenverdacht oder Besorgnispotential vorliegt und in diesem Sinne von dem Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, stellt sie die Gefährlichkeit des Hundes fest (§ 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG), ohne dass das Gesetz auf Rechtsfolgenseite weitere Anforderungen für diese Feststellung voraussetzt, etwa ein Ermessen eröffnet.

Nach der dargestellten gesetzlichen Wertung ist es nicht erforderlich, dass bereits Tatsachen vorliegen, die die Gefährlichkeit eines Hundes nachweislich belegen. Es reicht vielmehr aus, wenn aufgrund von Tatsachen ein Verdacht auf eine Gefährlichkeit des Hundes wegen einer das natürliche Maß übersteigenden Aggressivität anhand vorbezeichneter Regelbeispiele besteht. Mit dieser Regelung im NHundG ist das Recht der Hundehaltung in Niedersachsen durch eine Absenkung der Gefahrenschwelle von der Gefahrenabwehr zur weiterreichenden Gefahrenvorsorge geschärft.

Zur Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes nach § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG reicht es mithin regelmäßig aus, dass dieser Hund einmalig einen Menschen gebissen hat. Wegen der Einzelheiten der rechtlichen Voraussetzungen verweist das Gericht auf die den Beteiligten mit Verfügung vom 11. September 2013 bekannt gemachte maßgebliche Rechtsprechung (Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss des 11. Senats vom 18. Januar 2012 – 11 ME 423/11 -, juris, und Verwaltungsgericht Oldenburg, Beschluss der 7. Kammer vom 4. Oktober 2012 – 7 B 4451/12 -, juris). Eine vertiefende Erörterung der dortigen Einzelheiten erübrigt sich hier, weil der Hund ‚…‘ des Antragstellers – sogar – mehrfach bereits Menschen gebissen hat. Die Frage, ob es schon hinreichend ist, dass der betroffene Hund nur einen anderen Hund (nicht: einen Menschen) gebissen hat, lässt das Gericht auch im vorliegenden Verfahren offen, weil es darauf hier nicht ankommt.

  • Der Hund hat am 05.09.2010 den Geschädigten R. in eine Wade gebissen.
  • Am 13.07.2012 hat er den Geschädigten C. mehrfach in eine Hand sowie in einen Oberarm gebissen.
  • Der Unbeteiligte H. hat am 16.07.2012 bekundet, der Hund „würde andere Menschen stets anbellen und habe bereits diverse Menschen gebissen, u.a. auch mehrfach einen Bekannten von ihm“.
  • Die Unbeteiligte S. hat am 16.07.2012 bekundet, ihr sei der Hund „ein Dorn im Auge, da der Hund aggressiv sei und auch schon Personen gebissen habe“.
  • Der Unbeteiligte O. hat am 17.07.2012 bekundet, der Hund habe mindestens zwei Bekannte von ihm angefallen.

Damit hat der Hund zumindest zweimal einen Menschen (zudem in nicht unerheblicher Weise) durch Beißen verletzt.

Dieser mit für das vorliegende Verfahren ausreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmende Sachverhalt fußt auf dem Inhalt der Gerichtsakten mit den beigezogenen Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin sowie der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Oldenburg.

Danach hat die Antragsgegnerin zutreffend die angegriffene Feststellung getroffen. Denn schon bei einem bloßen Verdacht der Gefährlichkeit ist der betreffende Hund wie ein tatsächlich gefährlicher Hund zu behandeln. Die beiden Beißvorfälle allein rechtfertigen bereits die Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes, ohne dass es noch auf hier nicht maßgebliche weitere Begleitumstände ankäme, nur beispielsweise gedanklich (ohne dass das Gericht insoweit eine rechtliche Festlegung vornähme) etwa auf das Vorliegen einer klassischen Notwehrsituation des Hundehalters, oder darauf dass womöglich auf Rechtsfolgenseite noch Erwägungen besonderer Art anzustellen wären, die als eventueller Ausnahmefall ein Abweichen von dieser Feststellung doch noch zulassen könnten. Dies ist das Ergebnis der Schärfung des Rechts hin zur Gefahrenvorsorge. Daher hat die Antragsgegnerin den Hund des Antragstellers angesichts der beiden Beißvorfälle, die jeweils nicht unerheblich sind, schon zutreffend als gefährlich im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG eingestuft.

Es bedarf im vorliegenden Einzelfall angesichts dieser beiden Beißvorfälle nicht noch der weiteren Prüfung, ob das von dem Hund gezeigte Verhalten tatsächlich eine gesteigerte Aggressivität bzw. eine über das natürliche Maß hinausgehende Angriffslust aufweist.

Diese Prüfung hat die Antragsgegnerin allerdings zusätzlich vornehmen lassen. Insoweit gelangt aber die eingeschaltete Amtstierärztin A. … vom Zweckverband Veterinäramt JadeWeser jedenfalls in einer ‚Momentaufnahme‘ bei ihrem unangemeldeten Hausbesuch vom 9. August 2013 (beim Antragsteller und dessen Ehefrau) zu demselben Ergebnis der Gefährlichkeit des Hundes im Sinne von § 7 Abs. 1 NHundG, indem sie in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 12. August 2013 dazu (nur unter anderem) zum Beispiel festhält, dass der Hund „Anzeichen einer gesteigerten Aggressivität“ vorweise.

Dies rundet zusammen mit den o.a. Bekundungen von drei Unbeteiligten, aufgrund derer Anzeichen für das Vorliegen weiterer, unbekannt gebliebener einschlägiger Vorfälle jedenfalls indiziell anzunehmen sind, das Tatsachenbild ab, aufgrund dessen die Antragstellerin zu Recht die Feststellung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG getroffen hat.

Der Antragsteller vermag demgegenüber mit seinem umfassenden und breit angelegten Vorbringen insgesamt nicht durchzudringen. Insbesondere gewinnt seine ausführliche Befassung mit Details des Beißvorfalls vom 13. Juli 2012 nicht an Bedeutung und ist sein Antrag, ein Sachverständigengutachten zur Gefährlichkeit des Hundes einzuholen, nicht entscheidungserheblich.

Der Antragsteller muss sich vielmehr (damit er den Hund ggf. überhaupt noch weiter führen darf, § 8 Abs. 1 NHundG) auf das Erlaubnisverfahren nach §§ 8 ff NHundG verweisen lassen, in dessen Rahmen sodann der Wesenstest erfolgt (§§ 10 Abs. 1 Nr. 2, 13 NHundG).

Verwaltungsgericht Oldenburg, Beschluss vom 20.09.2013 – 7 B 5951/13