martina heck

02.09.2013

Die wiederkehrende Problematik bei Einfuhrabgaben: Vertrauensschutz bei unverbindlichen Tarifauskünften?

Die Nacherhebung von Einfuhrabgaben kann insbesondere für Unternehmen existenzbedrohend sein. Mißlich ist es dabei immer, wenn zuvor anderslautende – unverbindliche – Auskünfte des Hauptzollamtes zur Einreihung der Waren vorlagen. Der Bundesfinanzhof hat nun eine Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg, über welches wir hier bereits berichtet hatten, aufgehoben, mit dem das Finanzgericht aufgrund der in dem entschiedenen Fall vorliegenden Ereignisse dem Schuldner Vertrauensschutz zugebilligt hatte.

Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts Hamburg vertritt der Bundesfinanzhof die Meinung, daß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK die Nacherhebung des geschuldeten Abgabenbetrags nicht hindert.

Nach der vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung verwendeten Zusammenfassung der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift hat die Zollbehörde von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung nicht erhobener Einfuhrabgaben abzusehen, wenn drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

  • Die Nichterhebung muss auf einem Irrtum der zuständigen Behörden beruhen,
  • es muss sich um einen Irrtum handeln, der für einen gutgläubigen Abgabenschuldner vernünftigerweise nicht erkennbar war, und
  • dieser muss alle geltenden Vorschriften über seine Zollerklärung eingehalten haben

((EuGH, Urteil vom 03.03.2005 – C-499/03 P – Biegi Nahrungsmittel, Commonfood -, Slg. 2005, I-1751)).

Die im vorliegenden Fall zwischen den Beteiligten allein streitige Voraussetzung der fehlenden Erkennbarkeit des zollbehördlichen Irrtums bei der Abgabenfestsetzung liegt aber nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht vor.

Die Erkennbarkeit des Irrtums ist nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesfinanzhofs unter Berücksichtigung seiner Art, d.h. unter Berücksichtigung der Komplexität der betreffenden Regelung, sowie der Berufserfahrung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers und der von ihm aufgewandten Sorgfalt zu beurteilen. Allerdings entspricht es ebenfalls ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesfinanzhofs, dass sich ein Wirtschaftsbeteiligter nicht auf die Unkenntnis der im Amtsblatt veröffentlichten Rechtsvorschriften berufen kann.

Kann daher der Zollschuldner anhand der Rechtsvorschriften der Union erkennen, dass die Zollbehörde die Einfuhrabgaben irrtümlich in nicht zutreffender Höhe erhoben hat, kommen die vom Finanzgericht Hamburg für erforderlich gehaltene weitere “Gesamtbetrachtung” unter Berücksichtigung der vom Zollschuldner aufgewandten Sorgfalt und ein daraus ggf. herzuleitendes Überwiegen des Vertrauensschutzes nicht in Betracht. Anders als die Klägerin meint, sprechen auch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs in Slg. 1989, 2415, in Slg. 1998, I-7711 und in Slg. 1990, I-2659)) nicht für die vom Finanzgericht Hamburg vertretene Auffassung, so der Bundesfinanzhof. Der vom Europäischen Gerichtshof  stets hervorgehobene Grundsatz, dem zufolge die uniotären Rechtsvorschriften ab dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt das einzige positive Recht in der Union sind, welches nicht zu kennen niemand für sich geltend machen kann, ist vom Europäischen Gerichtshof in jenen Entscheidungen nicht durch weitere Voraussetzungen eingeschränkt worden.

Anderes kann nur gelten, wenn auch die im Amtsblatt veröffentlichten Rechtsvorschriften den Irrtum nicht deutlich werden lassen, diese also selbst unklar sind und zu Zweifeln Anlass geben. In einem solchen Fall können für die Frage der Erkennbarkeit des behördlichen Irrtums wiederum die Berufserfahrung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers und seine Sorgfalt sowie seine Bemühungen, sich über die Rechtslage Klarheit zu verschaffen, von Bedeutung sein. Im Streitfall gab es jedoch keine unklare Tariflage. Vielmehr war – wie auch das Finanzgericht Hamburg angenommen hat – die (zuvor möglicherweise zweifelhafte) zolltarifliche Einreihung der eingeführten elektronischen Bilderrahmen mit dem Inkrafttreten der VO Nr. 1156/2008 geklärt. Dass die Klägerin wegen der geringfügigen Unterschiede zwischen der in dieser Verordnung beschriebenen Ware und den Einfuhrwaren noch unsicher hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung hätte sein können, hat das Finanzgericht Hamburg zu Recht verneint.

Aus dem vom Finanzgericht Hamburg für seine Entscheidung herangezogenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26.06.1990 (C-64/89 – Deutsche Fernsprecher -,  Slg. 1990, I-2535) folgt lediglich, dass eine zwar irrtümliche, aber von der Zollbehörde wiederholt bestätigte Rechtsauffassung ein Anhaltspunkt dafür sein kann, dass die betreffende Frage schwierig und nicht eindeutig zu beantworten ist. Hiervon auszugehen bieten die Feststellungen des Finanzgerichts jedoch keinen Anlass, denn das Hauptzollamt hat nach dem Inkrafttreten der die Tarifierungsfrage klärenden Einreihungs-VO Nr. 1156/2008 keine von dieser Verordnung abweichende Tarifauffassung gegenüber der Klägerin mehr vertreten oder ihr weiterhin die bisherige Tarifierung empfohlen. Wie sich aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils ergibt, hat das zuständige Zollamt der Klägerin zuletzt unter dem 21.11.2008, also vor dem Inkrafttreten der VO Nr. 1156/2008, die Angabe der Unterpos. 8543 70 90 KN für die elektronischen Bilderrahmen empfohlen. Nach dem Inkrafttreten dieser Einreihungsverordnung wurden lediglich einige Einfuhren noch wie angemeldet abgefertigt. Dass dem Hauptzollamt insoweit “etwas entgangen” sein musste, hätte anhand der bereits vorliegenden VO Nr. 1156/2008 unschwer erkannt werden können.

Auf die ihr vor dem Erlass der VO Nr. 1156/2008 erteilten unverbindlichen Tarifauskünfte durch das zuständige Zollamt und die ZPLA kann die Klägerin den beanspruchten Vertrauensschutz nicht stützen. Nur eine verbindliche Zolltarifauskunft bindet nach Art. 12 Abs. 2 ZK die Zollbehörde hinsichtlich der tariflichen Einreihung und kann, falls sie gemäß Art. 12 Abs. 5 Buchst. a Ziff. i ZK wegen einer anderslautenden Einreihungsverordnung ungültig geworden ist, von dem Berechtigten für einen in dieser Verordnung festgelegten Zeitraum noch verwendet werden (Art. 12 Abs. 6 Unterabs. 2 ZK).

Die Klägerin kann nach alledem nicht mit Erfolg geltend machen, sie hätte den behördlichen Irrtum bei der Abgabenerhebung auch unter Heranziehung der im Amtsblatt veröffentlichten VO Nr. 1156/2008 nicht erkennen können. Es verbleibt nur der ihr nicht zugutekommende Einwand, von dem Erlass dieser Einreihungsverordnung keine Kenntnis gehabt zu haben. Bei bloßer Unkenntnis von maßgebenden Vorschriften kann aber der vom FG vertretenen Ansicht, die Klägerin habe “mit angemessener Sorgfalt” gehandelt, nicht gefolgt werden. Wie der erkennende Senat mit Urteil in BFHE 205, 366, ZfZ 2004, 270 ausgeführt hat, besteht die Pflicht des Wirtschaftsteilnehmers, sich über das auf seine Geschäfte anwendbare Unionsrecht durch die Lektüre des Amtsblatts zu informieren, in jedem Fall und unabhängig von dem Maß an Erfahrung, über das er verfügt.

Der Bundesfinanzhof hat aus den dargelegten Gründen keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK und sieht deshalb keine Verpflichtung, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.06.2013 – VII R 31/12