Das Finanzgericht Baden-Württemberg hatte über die Frage zu entscheiden, ob Kindergeld während der Unternehmensphase eines PreMaster-Programms bei einer Firma zu gewähren ist.
Der Kläger erhielt für seine im Oktober 1987 geborene Tochter B fortlaufend Kindergeld. Mit Bescheid vom 03.05.2012 hob die beklagte Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab August 2011 auf, nachdem die Tochter ihr Studium der Außenwirtschaft an einer Hochschule im Juli 2011 mit dem Bachelor-Abschluss beendet hatte. Der Aufhebungsbescheid wurde bestandskräftig. Im September 2012 beantragte der Kläger, ihm wieder Kindergeld zu zahlen. Seine Tochter sei seit dem 01.09.2012 an einer Hochschule im Master-Studiengang International Business Development eingeschrieben.
Die Beklagte lehnte den Kindergeldantrag ab, weil es sich bei dem Master-Studium nicht um eine Erstausbildung handeln würde.
Hiergegen erhob der Kläger Einspruch. Seine Tochter nehme seit dem 01.10.2011 an dem PreMaster-Programm einer Firma teil und befinde sich daher wieder in Ausbildung. Mit dem PreMaster-Programm unterstütze die Firma Bachelorabsolventen auf dem Weg zum Master. In der einjährigen Unternehmensphase vom 01.10.2011 bis zum 30.09.2012 seien seiner Tochter fachspezifische Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen als Vorbereitung für ihr Master-Studium vermittelt worden. In dieser Zeit sei sie von einem persönlichen Mentor betreut worden und habe eine Vergütung von X EUR brutto erhalten. Mit dem Beginn des Master-Studiengangs ab dem 01.10.2012 habe die Masterphase des PreMaster Programms begonnen. In dieser Phase sei seine Tochter freigestellt. Die Firma biete in dieser Phase die Möglichkeit, in den Semesterferien auf eigenen Wunsch zu arbeiten. Desweiteren gewähre die Firma einen Zinszuschuss bei Aufnahme eines Studienkredits für das Masterstudium.
Auf den Einspruch des Klägers änderte die Beklagte den angefochtenen Bescheid dahin ab, dass sie für den Monat Oktober 2012 – in dem die Tochter ihr 25. Lebensjahr vollendete – Kindergeld festsetzte. Im übrigen wies die Beklagte den Einspruch zurück, woraufhin Klage erhoben wurde.
Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat der Klage stattgegeben – mit Ausnahme für den Monat Mai 2012.
1.Bestandskraft der Ablehnung für Mai 2012
Der Bescheid der Beklagten vom 03.05.2012, mit dem sie die Kindergeldfestsetzung ab August 2011 aufgehoben hat, ist wirksam und bestandskräftig, da der Kläger nicht innerhalb der Monatsfrist des § 355 Abs. 1 S. 1 AO Einspruch eingelegt hat. Die Bestandskraft eines nicht angefochtenen Bescheids, durch den die Gewährung von Kindergeld abgelehnt oder auf 0 EUR festgesetzt oder durch den eine Kindergeldfestsetzung aufgehoben wird, erstreckt sich in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe. Die (negative) Bindungswirkung des Aufhebungsbescheids vom 03.05.2012 erstreckt sich daher bis Ende Mai 2012. Eine hiervon abweichende zeitliche Regelung hat die Bekl nicht getroffen.
Eine Änderung des bestandskräftigen Aufhebungsbescheids zugunsten des Klägers ist nicht möglich, da die Voraussetzungen für eine Korrektur weder nach den §§ 172 ff. AO noch nach § 70 EStG gegeben sind. Die in Betracht kommende Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO greift im vorliegenden Fall nicht. Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen. Die erst nach Ergehen des Ablehnungsbescheids vom 03.05.2012 der Beklagten bekannt gewordene Tatsache der Teilnahme des Kindes an dem PreMaster-Programm eröffnet unabhängig von der Verschuldensfrage keine Änderungsmöglichkeit, weil auch bei rechtzeitiger Kenntnis dieses Umstands die Beklagte im Zeitpunkt seiner Ablehnungsentscheidung am 03.05.2012 den Kindergeldantrag abgelehnt hätte.
Seit dem Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 23.11.1987 darf ein Steuerbescheid wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen nur aufgehoben oder geändert werden darf, wenn das Finanzamt bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO scheidet hingegen aus, wenn die Unkenntnis der später bekanntgewordenen Tatsache für die ursprüngliche Veranlagung nicht ursächlich (rechtserheblich) gewesen ist, weil das Finanzamt auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuer gelangt wäre.
Rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Bestandskraft nach § 173 AO ist nicht die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung, sondern der Umstand, dass das FA bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist. Demnach ist die nachträgliche Berücksichtigung neuer Tatsachen und Beweismittel strikt von der Korrektur von Rechtsfehlern abzugrenzen. Insbesondere dürfen über den Umweg des § 173 Abs. 1 AO Rechtsfehler der Finanzbehörde weder zulasten (Nr. 1) noch zugunsten des Steuerpflichtigen (Nr. 2) berichtigt werden. Das Kriterium der Rechtserheblichkeit (Kausalität) der neuen Tatsache bei der ursprünglichen Veranlagung schließt demnach aus, dass die Beteiligten des Steuerschuldverhältnisses mit Hilfe eines Änderungsbescheids eine neue Tatsache zum bloßen Anlass oder Vorwand nehmen, ihre geläuterte Rechtsansicht nachträglich durchzusetzen. Der Gesetzgeber hat vielmehr dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit in solchen Fällen Vorrang vor der materiellen Richtigkeit der ergangenen Verwaltungsentscheidung eingeräumt.
Im Streitfall wäre die Beklagte bei ihrer Entscheidung über den Kindergeldanspruch auch bei rechtzeitiger Kenntnis des Umstands, dass die Tochter seit 01.10.2011 an dem PreMaster-Programm der Firma Z teilnimmt, zu keinen anderen Ergebnis gelangt. Die Beklagte ist bis heute der Auffassung, dass es sich dabei um eine kindergeldschädliche Erwerbstätigkeit und nicht um ein Ausbildungsverhältnis handelt.
Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO würde auch daran scheitern, dass die unterlassene Einlegung eines Einspruchs gegen den ablehnenden Kindergeldbescheid vom 03.05.2012 ein grobes Verschulden darstellt. Am Vorliegen eines groben Verschuldens ändert sich auch dann nichts, wenn der Steuerpflichtige hinsichtlich der Frage der Relevanz der nicht vorgetragenen Tatsache einem Rechtsirrtum unterlag. Die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe nicht gewusst, dass die Einkünfte- und Bezügegrenze für das Jahr 2012 weggefallen sei und deshalb gedacht, ihm stehe für seine Tochter wegen der in der Unternehmensphase des PreMaster-Programms gezahlten Vergütung ohnehin kein Kindergeld zu, kann daher ebenfalls nicht zu einer Änderungsbefugnis führen.
2. Die Zeit der Unternehmensphase des PreMaster-Programms
Der Kläger hat für die Monate Juni 2012 bis September 2012 Anspruch auf Kindergeld, weil seine Tochter in dieser Zeit an der Unternehmensphase des PreMaster-Programms teilgenommen hat und es sich hierbei um ein Ausbildungsdienstverhältnis handelte.
Der Kindergeldanspruch des Klägers ergibt sich aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.Vm. § 63 Abs. 1 Nr. 1 und § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wird ein Kind berücksichtigt, das das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Das PreMaster-Programm diente auch in der Unternehmensphase der Berufsausbildung. Der Begriff der Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a EStG ist unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes auszulegen. Als Berufsausbildung sind danach alle Maßnahmen anzusehen, die dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen dienen, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind, unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sind oder nicht. Selbst wenn der Masterstudiengang International Business Development „nur“ eine nicht vorgeschriebene Zusatzqualifikation wäre, ist er unbestrittenermaßen nützlich, insbesondere um sich für höher qualifizierte Stellen zu bewerben. Zulassungsvoraussetzung für diesen Studiengang ist eine mindestens sechsmonatige Berufserfahrung. Die Unternehmensphase des PreMaster-Programms war damit notwendiger Teil der Berufsausbildung der Klägerin mit dem Ziel eines Master-Abschlusses.
Der grundsätzliche Kindergeldanspruch wird nicht durch die ab dem 01.01.2012 geltende Neuregelung der Anspruchsvoraussetzungen für die Berücksichtigung volljähriger Kinder im Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 01.11.2011 ausgeschlossen. Seitdem bestimmt § 32 Abs. 4 S. 2 EStG, dass nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums ein Kind in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 nur berücksichtigt wird, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a SGB IV sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 S. 3 EStG 2012).
Der Gesetzgeber geht bei typisierender Betrachtung im Wege einer gesetzlichen Vermutung davon aus, dass ein volljähriges Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung wie auch nach Abschluss eines Erststudiums in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten und gegenüber seinen Eltern nicht mehr unterhaltsberechtigt ist. Dies hat zur Folge, dass das Kind, wenn es nicht als arbeitssuchend gemeldet (bis 21 Jahre) oder behindert ist, nicht mehr zu berücksichtigen ist. Diese Vermutung gilt durch den Nachweis als widerlegt, dass das Kind sich in einer weiteren Berufsausbildung befindet und tatsächlich keiner schädlichen Erwerbstätigkeit nachgeht, die Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend in Anspruch nimmt. In diesem Sinne regelt § 32 Abs. 4 S. 3 EStG 2012 als Unterausnahme zu Satz 2, dass die Vermutung des Gesetzgebers als widerlegt gilt, wenn das Kind weiterhin für einen Beruf ausgebildet wird und tatsächlich keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, die Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend beansprucht.
Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob es sich bei dem abgeschlossenen Bachelorstudium der Tochter des Klägers um eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium gehandelt hat. Die Unternehmensphase des PreMaster-Programms fand in einem Ausbildungsdienstverhältnis statt, weshalb die in dieser Zeit ausgeübte Erwerbstätigkeit unschädlich ist.
Ein Ausbildungsdienstverhältnis ist gegeben, wenn die Ausbildungsmaßnahme Gegenstand des Dienstverhältnisses ist. Das Dienstverhältnis muss darauf ausgerichtet aus, die Zeit und Arbeitskraft des Kindes in erster Linie für die Ausbildung und nicht für die Erwerbstätigkeit eingesetzt werden. Wird das Dienstverhältnis durch Ausbildungszwecke geprägt, hält es der Gesetzgeber für gerechtfertigt, eine daneben ausgeübte Erwerbstätigkeit als unschädlich anzusehen. Auf die Höhe der Vergütung kommt es bei einem Ausbildungsdienstverhältnis nicht an.
Nach diesem Maßstab fand die Teilnahme der Tochter des Klägers am PreMaster-Programm im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses statt. Das PreMaster-Programm dient nach seiner allgemeinen Zielsetzung der Unterstützung von Bachelorabsolventen auf dem Weg zum Master. Die Studenten erfahren während der Unternehmensphase eine fachspezifische Praxis und persönliche Betreuung. Sie sollen durch ein intensives Training „on-the-job“ auf ihr späteres Master-Studium vorbereitet werden. Die Teilnehmer werden hierfür mit Blick auf das angestrebte Master-Studium einer Ankerabteilung zugewiesen, um eine individuelle Themenabstimmung mit Blick auf die späteren Themenschwerpunkte im Masterstudium zu gewährleisten. Das PreMaster-Programm ist daher kein „Schnupper-Praktikum“, sondern eine zielgerichtete Vorbereitung für das jeweilige Masterstudium des Teilnehmers.
Die Ausbildungsorientierung des PreMaster-Programms wurde im Vertrag mit der Tochter des Klägers konsequent umgesetzt. Bereits in der Präambel des Vertrages ist dessen Ziel einer Vorbereitung auf das Masterstudium durch die Vermittlung beruflicher Fähigkeiten und Kenntnisse ausdrücklich hervorgehoben. Das PreMaster-Programm dient demnach in erster Linie der Unterstützung des Teilnehmers. Die Firma verpflichtet sich, den Teilnehmer entsprechend seiner Ausbildungsrichtung einschlägige Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen zu vermitteln, erforderliche betriebliche Ausbildungsmittel zur Verfügung zu stellen, in Ausbildungsfragen zu beraten und nach Beendigung des PreMaster-Programms einen schriftlichen Tätigkeitsnachweis auszustellen. Hierfür wird dem Teilnehmer ein Mentor zur Betreuung zugewiesen. Die einzelnen Ausbildungsschritte der Unternehmensphase werden in der Ankerbeteiligung mit dem Teilnehmer festgelegt. Die im Vertrag zum Ausdruck kommende Ausrichtung des PreMaster-Programms auf Ausbildungs- und nicht auf Erwerbszwecke spiegelt sich auch in der Verwendung des Begriffs einer flexiblen „Anwesenheitszeit“ statt einer starren Arbeitszeit. Das Ausbildungsziel des PreMaster-Programms zeigt sich des weiteren an der Verpflichtung der Teilnehmer, unverzüglich nach Abschluss der Unternehmensphase ein Masterstudium aufzunehmen. Zur Überzeugung des Finanzgerichts Baden-Württemberg steht damit fest, dass es sich bei der Teilnahme der Tochter an dem PreMaster-Programm um ein Ausbildungsdienstverhältnis handelte, das in erster Linie und prägend dazu diente, Bachelorstudenten für ihr Masterstudium vorzubereiten und auszubilden und nicht deren Arbeitskraft für die Firma zu nutzen.
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 04.12.2013 – 1 K 775/13