martina heck

19.04.2016

Die Bewässerungsanlage, das Pferd und der Tod …

… und die Haftung.

Wer haftet für den Tod eines Pferdes, ausgelöst durch eine Bewässerungsanlage?

Landwirte aufgepasst:

Das Oberlandesgericht Celle hat entschieden, dass, wenn ein Landwirt seine Wiese in der Weise bewässert, dass der Wasserstrahl auch die daneben liegende Pferdeweide beregnet und dadurch ein Pferd in Panik gerät und tödlich verunfallt, er gegenüber dem Pferdeeigentümer eine Verkehrssicherungspflicht verletzt und damit für die entstandenen Kosten haftet.

Was war konkret passiert?

Die Klägerin begehrte Schadensersatz wegen eines tödlichen Unfalls ihres Pferdes infolge einer Panikreaktion nach Inbetriebnahme einer landwirtschaftlichen Bewässerungsanlage.

Die Stute weidete mit einem anderen Pferd auf einem Grundstück der Klägerin. Der Beklagte ist Landwirt und Eigentümer des angrenzenden Grundstücks, auf dem er eine Bewässerungsanlage einschaltete. Die Anlage, die zu Beginn des Betriebs ein lautes „Schnalzgeräusch“ hervorruft, beregnete auf einer Länge von rund 10m auch das Weidegrundstück der Klägerin. Die in Panik geratene Stute flüchtete und verletzte sich beim Überspringen des Weidezauns derart schwer, dass sie eingeschläfert werden musste.

Zur Höhe des Schadens behauptet die Klägerin, sie habe das Tier vor dem Unfall zu einem Preis von 40.000 € an die Zeugin S. verkauft.

Das Landgericht Lüneburg hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht Celle zunächst gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof wiederum hat diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, da das Oberlandesgericht Celle verfahrensfehlerhaft dem Beweisantritt auf Einholung eines hippologischen Sachverständigengutachtens zur Ursächlichkeit des Wasserstrahls für die Panikreaktion nicht nachgegangen sei.

Daraufhin hat nach Beweisaufnahme das Oberlandesgericht Celle der Klägerin Recht gegeben.

Der Beklagte haftet der Klägerin nämlich wegen des tödlichen Unfalls des Pferdes gemäß § 823 Abs. 1 BGB auf Ersatz des Schadens in Höhe von 40.000 €.

Der Beklagte hat den Tod der Stute der Klägerin durch eine rechtswidrige und schuldhafte Pflichtverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB verursacht.

Durch die Inbetriebnahme der Bewässerungsanlage auf seinem Grundstück ohne vorherige Absicherung, dass der Wasserstrahl nicht auf die Weide der Klägerin gelangte und dadurch die dort befindlichen Pferde in Panik versetzte, die letztlich zu dem todesursächlichen Fluchtverhalten der Stute führte, hat der Beklagte eine Verkehrssicherungspflicht gegenüber der Klägerin verletzt.

Deliktische Verkehrssicherungspflichten entspringen der Verantwortung eines jeden für die Schaffung oder Überwachung einer besonderen, über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehenden Gefahr der Verletzung fremder Rechtsgüter. Wer in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage für Dritte schafft oder andauern lässt, z.B. durch Übernahme einer Tätigkeit, die mit Gefahren für Rechtsgüter Dritter verbunden ist, hat Rücksicht auf die Gefährdung zu nehmen und deshalb die allgemeine Pflicht, diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich und ihm zumutbar sind, um die Schädigung Dritter möglichst zu vermeiden.

Das Oberlandesgericht Celle brauchte die Frage nicht zu entscheiden, ob die Inbetriebnahme einer landwirtschaftlichen Bewässerungsanlage in der Nähe einer Weide, auf der sich Pferde befinden, generell wegen der akustischen und optischen Reize, die von der Anlage ausgehen und zu einem Fluchtverhalten der Pferde führen können, eine haftungsrelevante Gefahrerhöhung darstellt, die besondere Sorgfaltsanforderungen nach sich zieht.

Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stand fest, dass die maßgebliche Schadensursache gerade im Übertreten des Wasserstrahls auf die Weide der Klägerin lag. Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens lässt sich die Annahme, die Beregnung der Weide der Klägerin sei für das Fluchtverhalten der Stute irrelevant gewesen und der Schaden wäre aller Wahrscheinlichkeit nach in gleicher Form verursacht worden, wenn der Beklagte nur sein eigenes Grundstück beregnet hätte, nicht aufrechterhalten.

Der Sachverständige hat ausgeführt, es sei mit großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass es zu einem derartig starken Fluchtverhalten gekommen wäre, wenn der Wasserstrahl nur das eigene Grundstück des Beklagten beregnet hätte. Der Wasserstrahl wirke wie eine Treibhilfe. Die Flucht davor sei ein ganz normales Verhalten des Pferdes. Wenn innerhalb der Fluchtdistanz (hier hatte die Weide eine Abmessung von rund 40m × 40m) Hindernisse auftreten, sei deren Überwindung – bzw. der Versuch der Überwindung – ebenfalls normal. Akustische Reize (wie beim Schnalzgeräusch bei Inbetriebnahme) lösen danach zwar ebenfalls ein Fluchtverhalten aus, das sich jedoch in der Regel in einem gespannten Rücken, hoch getragenem Schweif und dem Traben auf kleinem Radius äußert, wobei die Tiere zunächst sondieren, woher der akustische Reiz kommt. Dieser Reiz werde durch einen Wasserstrahl jedoch maßgeblich verstärkt. Diese Einschätzung deckt sich mit den Wahrnehmungen der vom Oberlandesgericht Celle vernommenen Zeugen sowie mit der Schilderung der persönlich angehörten Klägerin.

Danach war das Gericht überzeugt, dass gerade in der Beregnung des klägerischen Weidegrundstücks eine maßgebliche Gefahrerhöhung und Auslösung des Fluchtverhaltens der Stute. Diese Gefahrenlage hätte der Beklagte auch ohne unzumutbaren Aufwand durch genaue Justierung der Beregnungsanlage vermeiden können.

Selbst wenn im Ergebnis offen bliebe, ob sich im Schaden letztlich die Summe aller von der Anlage ausgehenden (optischen und akustischen) Reize ausgewirkt hat, würde dies den Beklagten nicht entlasten. Denn beim Zusammentreffen mehrerer Schadensursachen sind sämtliche – und damit auch die haftungsrelevanten – Umstände als rechtlich ursächlich zu behandeln.

Die Pflichtverletzung ist dem Beklagten auch als fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen.

Fahrlässig handelt gemäß § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dabei gilt ein auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichteter objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab, der nach dem jeweiligen Verkehrskreis zu bestimmen ist. Maßstab ist im gegebenen Fall grundsätzlich das typischerweise von einem „ordentlichen Landwirt“ zu erwartende Wissen über tierisches Verhalten. Die Verletzung der äußeren Sorgfalt durch Nichtbeachtung der Verkehrssicherungspflicht indiziert dabei in der Regel diejenige der inneren Sorgfalt.

Der Beklagte kann sich hier insbesondere nicht darauf berufen, ihm sei nicht bekannt gewesen – und er habe auch nicht erkennen können -, dass gerade das Übertreten des Wasserstrahls auf die Weide eine maßgebliche Ursache für das Fluchtverhalten der Pferde darstellte.
Der Sachverständige hat dazu unter Anlegung des Maßstabs eines „durchschnittlichen Pferdekenners“ ausgeführt, bei der Flucht vor einem Wasserstrahl handele es sich um ein ganz normales (aus Sicht des Oberlandesgerichts Celle also vorhersehbares) Verhalten eines Pferdes. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige dies dahingehend ergänzt, dass ein solches Wissen jedenfalls bei Landwirten, die selbst auch Pferde halten wie der Beklagte, zu erwarten sei.

Insoweit kann für die zu treffende Entscheidung bereits dahingestellt bleiben, ob das Wissen um Fluchtreaktionen von Pferden zum Allgemeinwissen eines „ordentlichen Landwirts“ gehört. Denn jedenfalls muss der Beklagte wegen des von ihm als Pferdehalter zu erwartenden Sonderwissens gegebenenfalls auch erhöhten Sorgfaltsanforderungen genügen und hätte die Wirkung des Wasserstrahls als Treibhilfe erkennen müssen. Angesichts der überschaubaren Größe des Weidegrundstücks der Klägerin, die dem Beklagten bekannt sein dürfte, über deren Größe er sich vor Einschalten der Anlage zumindest aber hätte vergewissern müssen, wäre für den Beklagten – unter Annahme des grundsätzlich vorhandenen „Pferdesachverstands“ – dann auch das Überspringen des Zauns und die damit verbundene Verletzungsgefahr als Folge des Fluchtverhaltens vorhersehbar gewesen.

Selbst unter der Annahme, dass es nicht zum generellen landwirtschaftlichen Allgemeinwissen zählt, eine tierische Fluchtreaktion wie die im Streitfall vorherzusehen, ist dem Beklagten der Tod des Pferdes als Folge einer fahrlässigen Pflichtverletzung zuzurechnen. Denn zumindest wäre es dem Beklagten zuzumuten gewesen, sich vor Inbetriebnahme der Anlage neben einer Pferdeweide sachkundig zu machen, um dann gegebenenfalls auch die Auswirkungen der fehlerhaften Einstellung des Wasserstrahls abschätzen zu können. Der Beklagte hätte sich dann schon zuvor dasjenige Wissen aneignen können, das das eindeutige Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Oberlandesgerichts Celle war.

Soweit der Beklagte erstinstanzlich insbesondere auf die vorwerfbare Weidehaltung, die eine erhöhte Verletzungsgefahr mit sich bringe, abstellt, hat sich diese Haltungsform hier nicht in besonderer Weise schadensverstärkend ausgewirkt. Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens war das schadensauslösende Ereignis insbesondere der Übertritt des Wasserstrahls auf das Grundstück der Klägerin. Es handelt sich dabei nicht um eine „typische“ Immission auf das Grundstück der Klägerin, sondern um eine außergewöhnliche, mit der Weidehaltung nicht zwingend verbundene Gefahr für die Pferde.

Der Klägerin kann auch nicht angelastet werden, dass sie den Beklagten bereits beim Aufbau der Bewässerungsanlage beobachtet hatte und somit von sich aus besondere Schutzvorkehrungen hätte treffen können. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin erkennen konnte, dass der Wasserstrahl bei Einschalten der Anlage auf ihr Grundstück übertreten würde.

Schließlich scheidet auch eine Zurechnung der Tiergefahr auf Seiten der Klägerin aus. Zwar ist anerkannt, dass sich der Geschädigte grundsätzlich eine schadensursächliche Verwirklichung der Tiergefahr des eigenen Tieres wie eigenes Mitverschulden entsprechend § 254 BGB anrechnen lassen muss. Im gegebenen Fall scheidet eine Zurechnung aber deswegen aus, weil der Beklagte durch sein schuldhaftes Verhalten gerade das unberechenbare tierische Fluchtverhalten ausgelöst hat; dies kann ihm nicht im Wege des Mitverschuldens wieder zu Gute kommen. Dementsprechend regelt § 840 Abs. 3 BGB, dass beim Zusammentreffen von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung beim Gesamtschuldnerausgleich im Innenverhältnis derjenige alleine haftet, dem ein Verschulden zur Last fällt. Diese Wertung ist auf den gegebenen Fall zu übertragen mit der Folge, dass der Beklagte allein für die Folgen seiner Pflichtverletzung einzustehen hat.

Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 14.03.2016 – 20 U 30/13