martina heck

11.07.2014

Diabetikerwarnhund: Erst Verordnung, dann Anschaffung

Es ist immer wieder faszinierend, was Hunde leisten können.

Will man aber, wie im vorliegenden Fall, dass die Kosten für den Hund von Dritten getragen werden, hier seitens des Staates, so muss man einiges beachten.

In einem Fall, der vom Verwaltungsgericht Münster entschieden wurde, ging es um die Frage, ob die Kosten für einen Diabetikerwarnhund beihilfefähig sind.

Die Klägerin begehrte die Gewährung von Beihilfeleistungen für die Anschaffung und Ausbildung eines Pudelwelpen zur Ausbildung als Diabetikerwarnhund (sog. Hypohund).

Sie ist Beamtin im Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen und Mutter einer im Jahre 2000 geborenen Tochter. Diese leidet seit ihrem 1. Lebensjahr an Diabetes mellitus Typ 1. Wegen der Erkrankung ist die Schwerbehinderung der Tochter zu 60 % anerkannt.

Nachdem die Klägerin bei dem Besuch einer Diabetiker-Fachmesse Anfang 2011 auf die Möglichkeit eines Diabetikerwarnhundes aufmerksam wurde, welche von der behandelnden Ärztin der Tochter in Gesprächen ebenfalls befürwortet wurde, kaufte sie auf Anraten einer Hundetrainerin unter dem 26.02.2011 zum Preis von 850,- Euro einen männlichen Pudelwelpen, der zu einem Diabetikerwarnhund ausgebildet werden sollte. Mit Rezept vom 28. Februar 2011 verordnete die behandelnde Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. med. U. den „Pudelwelpe zur Ausbildung zum Diabetikerwarnhund“. Als Diagnose gab die Ärztin „Diabetes mell. Typ Ia“ an.

Sodann beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Gewährung einer Beihilfe für die Anschaffung des Hundes, weil ihre Tochter infolge der langen Diabetesdauer nicht in der Lage sei, eine mögliche Unterzuckerung zuverlässig wahrzunehmen. Den Antrag lehnte die Bezirksregierung Münster ab, da ein Diabetikerwarnhund in § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW nicht vorgesehen sei.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Bezirksregierung Münster als unbegründet zurück.

Sodann hat die die Klägerin Klage erhoben, wobei sie ihr Begehr dahingehend erweitert hat, dass sie die Gewährung von Beihilfen beantragte für Aufwendungen für die Ausbildung und Unterhaltung des Pudelrüden zu einem Diabetikerbegleit- und ‑warnhund. Auch diesen Beihilfeantrag lehnte der Beklagte ab.

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin folgendes vorgetragen:

Der Blutzuckerspiegel ihrer Tochter müsse rund um die Uhr überwacht werden, um eine Unterzuckerung und ein mögliches Koma zu verhindern. Nachts müsse bei ihrer Tochter alle drei Stunden eine Blutzuckermessung vorgenommen werden. Die Eltern wechselten sich bei der Überwachung der Tochter ab. Seit 9 Jahren hätten sie nicht mehr durchgeschlafen. Der Verlauf des Blutzuckerspiegels ihrer Tochter sei aufgrund verschiedener Faktoren schwankend. In der Vergangenheit habe es bereits teilweise lebensbedrohliche Situationen durch Unterzuckerung gegeben. Vor diesem Hintergrund sei auch die Behandlung mit einer Insulinpumpe oder anderen Hilfsmitteln unzureichend; eine Kontrolle des Blutzuckerspiegels und eine Unterzuckerung seien nicht zuverlässig feststellbar. Trotz Einstellung mittels Pumpentherapie und einem sog. kontinuierlichen Glucose-Monitoring träten 3-4-mal im Monat nachweisbare Unterzuckerungen (Hypoglykämien) auf. Ein Diabetikerwarnhund schlage im Falle einer Unterzuckerung – auch nachts – zuverlässig an. Der Hund könne ihre Tochter begleiten und sie im Falle einer drohenden Unterzuckerung warnen. Die Ablehnung sei rechtswidrig. Zwar seien Diabetikerwarnhunde im Hilfsmittelkatalog des § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW nicht ausdrücklich aufgeführt, doch bedeute dies nicht, dass dessen Beihilfefähigkeit entfalle. Vielmehr handele es sich bei dem Hund um ein notwendiges Hilfsmittel für die Erkrankung ihrer Tochter, die aufgrund ihres Alters mit der Erkrankung inzwischen besser zwar umgehen könne, Unterzuckerungen und lebensbedrohliche Situationen jedoch nach wie vor nicht zuverlässig erkenne. Im Verhältnis zu am Markt vorhandenen Messgeräten seien die Sinne eines Hundes auch nachts geschärft, so dass er bei einer sich anbahnenden Unterzuckerung anschlage. Der angeschaffte Pudel habe bei ihrer Tochter bereits mehrfach zuverlässig eine Unterzuckerung angezeigt. Die Beihilfefähigkeit für die Anschaffung eines Blindenführhundes und dessen Aufwendungen seien nach § 4 Abs. 1 Nr. 10 S. 10 BVO NRW anerkannt. Nichts anderes müsse für Diabetikerwarnhunde gelten. Der Einsatz solcher Hunde sei wissenschaftlich anerkannt. In der Politik werde die Gleichstellung von Blindenführhunden mit Diabetikerhunden ebenfalls erwogen.

Das Verwaltungsgericht Münster hat die Klage abgewiesen.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Münster hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen für die Anschaffung des Pudelrüden und die Ausbildungs-und Unterhaltskosten als Diabetikerwarnhund.

Nach § 77 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 LBG erhalten Beamte mit Anspruch auf Besoldung für ihre nicht selbst beihilfeberechtigten berücksichtigungsfähigen Kinder Beihilfen zu der Höhe nach angemessenen Aufwendungen für medizinisch notwendige Maßnahmen, deren Wirksamkeit und therapeutischer Nutzen nachgewiesen sind u.a. zur Wiederherstellung der Gesundheit und Besserung des Gesundheitszustandes (einschließlich Rehabilitation). Gemäß § 77 Abs. 8 Nr. 2 d) LBG regelt das Finanzministerium das Nähere durch Rechtsverordnung. Dort können unabhängig von der Notwendigkeit und Angemessenheit der Aufwendungen unter Beachtung der Grundsätze beamtenrechtlicher Fürsorgebestimmungen hinsichtlich des Inhalts und des Umfangs von Beihilfeleistungen Beschränkungen getroffen werden. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfen verlangt werden.

Die Klägerin ist als Beamtin des Landes Nordrhein-Westfalen beihilfeberechtigt.

Die Aufwendungen für den angeschafften Pudelrüden sind jedoch nicht beihilfefähig.

Maßgeblich für die Beurteilung ist die Verordnung über Beihilfen in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen (Beihilfeverordnung NRW – BVO NRW) vom 05.11.2009. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO NRW sind beihilfefähig die notwenigen Aufwendungen in angemessenem Umfange in Krankheitsfällen zur Wiedererlangung der Gesundheit, zur Besserung oder Linderung von Leiden, zur Beseitigung oder zum Ausgleich angeborener oder erworbener Körperschäden nach Maßgabe der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (§ 91 SGB-V). Die beihilfefähigen Aufwendungen umfassen nach § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW auch die Kosten für vom Arzt schriftlich verordnete Heilmittel.

Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Zum einen fehlt es an der gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 BVO NRW erforderlichen schriftlichen ärztlichen Verordnung. Zum anderen fehlt es an einer vorherigen Anerkennung der Beihilfefähigkeit durch die Festsetzungsstelle (§ 4 Abs. 1 Nr. 10 S. 11 BVO NRW).

Voraussetzung für den Anspruch auf Beihilfe für die Aufwendungen zum Erwerb eines Hilfsmittels ist, dass im Zeitpunkt der Anschaffung des Hilfsmittels eine schriftliche ärztliche Verordnung vorliegen muss.

Der Verordnungszwang soll die Notwendigkeit der Anschaffung eines fachgerechten Hilfsmittels sicherstellen. Diesen Zweck kann die schriftliche ärztliche Verordnung jedoch nur erfüllen, wenn sie vor Anschaffung des Hilfsmittels erfolgt und wenn sich aus der ärztlichen Verordnung die Notwendigkeit der Anschaffung dem Grunde nach sowie nach Art und Umfang der Ausstattung des Hilfsmittels ergibt. Eine solche schriftliche ärztliche Verordnung im Sinne der Beihilfevorschriften erfordert die Aussage eines niedergelassenen Arztes, dass die Anschaffung des Hilfsmittels angesichts des Krankheitszustandes des jeweiligen Antragstellers aus ärztlicher Sicht notwendig ist.

Hierzu muss die ärztliche Verordnung einen besonderen Anweisungscharakter aufweisen und darf nicht in einem der angeführten Punkte in der Unverbindlichkeit oder reinen Empfehlung verbleiben.

Die von der Klägerin vorgelegte ärztliche Verordnung von Frau Dr. med. U. erfüllt diese Anforderungen nicht. Das Rezept ist erst zwei Tage nach dem Kauf des Pudelrüden von der Ärztin ausgestellt worden. Eine nachträgliche ärztliche Verordnung zur Anschaffung eines Hilfsmittels reicht aber nicht aus.

Sinn und Zweck der Verordnung ist es, dass das Hilfsmittel gerade entsprechend der Verordnung – also auf dieser basierend – beschafft wird. Dieses ist indes nicht gewährleistet, wenn sich der Antragsteller erst im Nachhinein für das von ihm beschaffte Hilfsmittel um eine ärztliche Verordnung bemüht. Dass im vorliegenden Fall auf Grund besonderer Umstände eine andere Bewertung angezeigt wäre, ist weder hinreichend dargetan noch sonst ersichtlich. Das Vorbringen der Klägerin, sie habe bereits vor dem Hundekauf in telefonischem Kontakt mit der Ärztin gestanden, die den Hundekauf befürwortet habe, so dass die Ausstellung der ärztlichen Verordnung zwei Tage später nur „Zufall“ gewesen sei, vermag nicht zu überzeugen. Abgesehen davon, dass die bloße Befürwortung dem Anweisungscharakter einer ärztlichen Verordnung widerspricht, wäre zu erwarten gewesen, dass die Klägerin von der behandelnden Ärztin, gerade wenn sie mit ihr über die Anschaffung eines solchen „Hilfsmittels“ im Vorfeld gesprochen hat, bereits vor der Anschaffung einen „Diabetikerwarnhund“ verordnet bekommen hätte. Von Frau Dr. med. U. wurde aber gerade der gekaufte „Pudelwelpe zur Ausbildung zum Diabetikerwarnhund“ nachträglich verschrieben, ohne dass in irgendeiner Form erkennbar gewesen wäre, dass sich der angeschaffte konkrete Hund für eine solche Ausbildung überhaupt eignete.

Davon abgesehen handelte es sich im Zeitpunkt des Kaufes bei dem Pudelrüden auch nicht um ein einem in § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW gennannten beihilfefähigen Blindenführhund vergleichbares Hilfsmittel. Der Pudelwelpe sollte erst noch zu einem Diabetikerwarnhund ausgebildet werden. Beihilfefähige Hilfsmittel sind aber Gegenstände, die – ohne Heilmittel zu sein – zu Ausgleich, Besserung, Behebung oder Beseitigung der Folgen eines regelwidrigen Körperzustandes geeignet sind, sofern sie nicht im Rahmen der allgemeinen Lebenshaltung benutzt werden können.

Im Zeitpunkt der Anschaffung war der Pudelrüde fachlich noch nicht geeignet, der Tochter der Klägerin bei der Beseitigung oder Behebung ihrer Unterzuckerung bzw. der Wahrnehmung derselben zu helfen. Der Verordnungsgeber stellt in § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW beispielhaft auf einige fachgerechte Hilfsmittel ab, so u.a. auf den Blindenführhund. Fachgerecht ist ein solcher Hund als Hilfsmittel aber erst dann, wenn dieser – nach entsprechender Ausbildung – einen blinden Menschen führt und begleitet. Ob die Anschaffung eines unausgebildeten Blindenführhundes, der seine Ausbildung bei oder mit der erkrankten Person absolviert, der er nach erfolgreicher Ausbildung zugeordnet wird, ebenso beihilfefähig ist wie die Anschaffung eines bereits (anderweitig) ausgebildeten Blindenführhundes, bedarf hier keiner näheren Betrachtung, da es sich vorliegend gerade nicht um einen solchen Hund handelt.

Zudem ist die medizinische Notwendigkeit für die Anschaffung eines noch auszubildenden „Pudelwelpen“ auf der ärztlichen Verordnung der behandelnden Ärztin nicht nachvollziehbar. Die Diagnose („Dg.: Diabetes mell. Typ Ia“) besagt für sich nichts über die medizinische Notwendigkeit der Anschaffung eines Diabetikerwarnhundes für die Tochter der Klägerin. Mit der gleichen Diagnose hätte die Ärztin ein Insulinpräparat oder eine Insulinpumpe verschreiben können. Die bloße Diagnose erfüllt nicht die medizinische Notwendigkeit der Anschaffung eines Diabetikerwarnhundes dem Grunde nach. Hier wäre – das Vorbringen der Klägerin unterstellt – zu erwarten gewesen, dass sich die Ärztin im Rahmen der medizinischen Notwendigkeit mit der Wahrnehmungsstörung der Tochter im Falle von Unterzuckerungen auseinandergesetzt hätte, namentlich zur Eignung eines Diabetikerwarnhundes im Verhältnis zu den bisher verwandten herkömmlichen Prüf- und Messmethoden Stellung bezogen hätte.

Die ärztliche Verordnung kann auch nach absolvierter Ausbildung und Prüfung des Hundes als Diabetikerwarnhund nicht mehr nachgeholt werden. Eine nachträgliche ärztliche Verordnung erfüllt gerade nicht Sinn und Zweck der vorherigen ärztlichen Beurteilung.

Die Klägerin kann die Gewährung einer Beihilfe für den Pudelrüden als auszubildenden bzw. ausgebildeten Diabetikerwarnhund auch deshalb nicht beanspruchen, weil sie die Anschaffung und Ausbildung desselben begonnen hat, ohne das Voranerkennungsverfahren nach § 4 Abs. 1 Nr. 10 Satz 11 BVO NRW abzuwarten.

Ein Diabetikerwarnhund ist in dem Katalog des § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW nicht explizit aufgeführt. Für nicht aufgeführte bzw. benannte Hilfsmittel von mehr als 1000,- Euro sind diese gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 10 S. 11 BVO NRW nur beihilfefähig, wenn die Festsetzungsstelle die Beihilfefähigkeit vorher anerkennt. Zwar hat der Prudelrüde bei seiner Anschaffung unter 1000,- Euro gekostet, doch handelte es sich – wie zuvor ausgeführt – im Zeitpunkt der Anschaffung noch nicht um einen ausgebildeten Diabetikerwarnhund und damit um ein fachgerechtes Hilfsmittel im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW. Vielmehr sollte er erst im Verlauf der nächsten Jahre eine entsprechende Ausbildung durchlaufen. Sofern die Anschaffung eines zur Ausbildung als Diabetikerwarnhund geeigneten Hundes beihilfefähig sein sollte – was das Gericht hier ausdrücklich offenlässt –, ist ein solcher Hund jedenfalls nicht mit den reinen Anschaffungskosten zu veranschlagen. Vielmehr sind die Aufwendungen für Ausbildung und Training zum Diabetikerhund in Höhe von ca. 8.000,- bis 20.000,- Euro hinzurechnen.

Ausgebildete Diabetikerbegleithunde kosten je nach Ausbildungsdauer und Unterhaltskosten deutlich mehr als 1000,- Euro, so dass für die Beantwortung der Beihilfefähigkeit eines „Diabetikerwarnhundes“ von der Summe auszugehen ist, die für einen ausgebildeten „Diabetikerwarnhund“ marktüblich zu zahlen ist.

Entgegen der Auffassung der Klägerin konnte die Voranerkennung der Beihilfefähigkeit als Diabetikerwarnhund auch nicht unterbleiben. Die Voranerkennung der Beihilfefähigkeit von nicht in § 4 Abs. 1 Nr. 10 BVO NRW genannten Hilfsmitteln ist nicht nur ein Ordnungserfordernis, dessen Nichtbeachtung unschädlich ist, sofern die übrigen Voraussetzungen der Gewährung einer Beihilfe gegeben sind, sondern anspruchbegründendes Tatbestandsmerkmal. Sie ist sachlich-rechtliche Voraussetzung für die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen. Die vorherige Anerkennung soll sicherstellen, dass die Notwendigkeit von teuren nicht benannten Hilfsmitteln und die Notwendigkeit und Angemessenheit der durch sie bedingten Aufwendungen bereits vor ihrer Anschaffung und Durchführung eingehend geprüft und die erforderlichen Feststellungen rechtzeitig getroffen werden können.

Das unstreitig fehlende Voranerkennungsverfahren war hier auch nicht nach § 13 Abs. 9 S. 1 BVO NRW entbehrlich. Nach dieser Vorschrift wird die Beihilfe dennoch gewährt, wenn eine nach dieser Verordnung erforderliche vorherige Anerkennung der Beihilfefähigkeit ohne Verschulden des Antragstellers unterblieben ist. Aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift und nach dem Ausnahmecharakter dieser Regelung kommt die Annahme einer Entschuldbarkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht.

Ein Verschulden in diesem Sinne liegt immer dann vor, wenn sich der Beihilfeberechtigte über das Erfordernis der vorherigen Anerkennung vorsätzlich oder fahrlässig hinwegsetzt, obwohl ihm die Einhaltung des Verfahrens zugemutet werden konnte. Eine Ausnahme gilt dann, wenn in besonders gelagerten Einzelfällen eine Behandlung aus medizinischen Gründen keinen Aufschub duldete. Allein die für die Beihilfefähigkeit erforderliche Notwendigkeit einer (alsbaldigen) Behandlung reicht dafür nicht aus.

Soweit die Klägerin der Auffassung ist, dass es ihr aufgrund der potentiell lebensbedrohlichen Situation für ihre Tochter unzumutbar gewesen sei, das Voranerkennungsverfahren abzuwarten, vermag das Gericht diesem Vorbringen nicht zu folgen. Unterzuckerungen bei der Tochter der Klägerin konnten mit den bisher eingesetzten Hilfsmitteln erkannt und begegnet werden. Warum und weshalb dies für die Dauer des Voranerkennungsverfahrens nicht mehr möglich sein sollte, ist von der Klägerseite weder dargelegt worden noch ersichtlich.

Dass die Festsetzungsstelle und Beihilfebehörde die Klägerin nicht im Vorhinein auf das Voranerkennungsverfahren hingewiesen hat, begründet nicht die Entschuldbarkeit für dessen fehlende Durchführung. Aus der dem Dienstherrn obliegenden beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht (§ 85 Landesbeamtengesetz) folgt keine abzuleitende allgemeine Pflicht zur Belehrung seiner Bediensteten über alle für sie einschlägigen Vorschriften. Dies gilt vor allem dann, wenn es sich um rechtliche Kenntnisse handelt, die zumutbar bei den Beamten vorausgesetzt werden können oder die sie sich unschwer verschaffen können.

Mangelnde Rechtskenntnis geht aus diesem Grunde in der Regel zu Lasten des Beamten, weil das geltende Recht allgemein als bekannt anzusehen ist.

Lediglich in besonderen Ausnahmefällen, etwa bei Bestehen einer entsprechenden Verwaltungspraxis – die mittelbar über Art. 3 Abs. 1 GG Außenwirkung entfaltet -, kann eine Hinweispflicht für den Dienstherrn zu bejahen sein.

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor.

Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 29.08.2013 – 5 K 1319/12