Das Oberlandesgericht Hamm hat in einer aktuellen Entscheidung noch einmal darauf hingewiesen, dass
- wenn ein Tierarzt bei einem wertvollen Dressurpferd eine komplizierte Operation durchführt, er dann grob fehlerhaft handelt, wenn die Erfolgsquote der Operation bei nur 50 % liegt und er den Eigentümer nicht auf dieses hohe Risiko hinweist und
- im Falle eines groben Behandlungsfehlers auch im Bereich der Tiermedizin eine Umkehr der Beweislast eintritt.
Mit dieser Berufungsentscheidung hat das Oberlandesgericht eine Entscheidung des Landgerichts Bochum teilweise abgeändert. In der Hauptsache wurde der Tierarzt zur Zahlung von 60.000 € verurteilt.
Was war passiert?
Die Parteien streiten um Schadensersatz aufgrund einer behaupteten tierärztlichen Fehlbehandlung des vom Oldenburger Verband gekörten Hengstes X.
Der beklagte Tierarzt, der in C eine Pferdeklinik betrieb, wurde mit der Behandlung des Hengstes beauftragt. Das Pferd befand sich seit 1997 bereits in der Behandlung des Beklagten. Bis zum Jahr 2003 war es zu insgesamt 22 tierärztlichen Konsultationen gekommen. Es wurde als Dressurpferd im Turniersport eingesetzt und hatte eine Ausbildung bis zur Grand Prix –Reife erlangt. Im Jahr 2004 wurden im hinteren Bereich des Fesselgelenks 2 Chips (kleine Knorpel-Knochenfragmente im Gelenk) festgestellt, welche der Beklagte zu entfernen empfahl. Bei einem Chip im hinteren Bereich handelte es sich um eine sog. Birkelandfraktur. Anlässlich der durchgeführten Operation am 07.10.2004 konnten jedoch die Chips nicht entfernt werden, weil der Chip bezüglich der Birkelandfraktur dem Beklagten entglitten war und wegen der Dauer der Narkose auf eine Entfernung des weiteren Chips verzichtet wurde. Aus diesem Grund kam es am 28.10.2004 zu einer erneuten Operation. Da der Hengst nach seiner am 19.11.2004 aus der Tierklinik erfolgten Entlassung lahmte, versorgte der Beklagte eine Krongelenkssubluxation operativ mit einer Platte. Das Pferd ist als Dressurpferd nunmehr unbrauchbar und dauerhaft lahm.
Mit der Begründung, dass der Beklagte den Hengst ohne ausreichende Indikation und darüber hinaus fehlerhaft operiert, zudem eine ausreichende Aufklärung über die Risiken einer Birkelandfraktur gefehlt habe, wurde Klage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 60.000 € erhoben. Diese wurde damit begründet, dass der Hengst lahmfrei gewesen und lediglich im Hinblick auf einen möglichen Verkauf eine Untersuchung durchgeführt worden sei. Es habe Interessenten mit einem Kaufangebot von über 250.000 € gegeben.
Das Landgericht hat sachverständig beraten durch Prof. Dr. Y die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass Behandlungsfehler nicht festzustellen seien. Die Entfernung der Chips sei zumindest relativ indiziert gewesen, und zwar unabhängig von einer vorhandenen Lahmheit, um das Pferd vor einer späteren Arthrose zu bewahren.
Soweit bei der Durchführung der Operation ein ungewöhnlicher Zugang gewählt worden sei, sei dies kein Fehler, weil man diese Möglichkeit habe wählen können, um beide Chips gleichzeitig zu entfernen. Im Übrigen sei auch ein Zusammenhang zwischen dieser Vorgehensweise und dem Schadenseintritt nicht feststellbar. Letztlich sei bei den Eingriffen der Bandapparat geschädigt worden, was aber unvermeidlich sei und zu einem schicksalhaften Geschehen geführt habe.
Die Aufklärung sei auch ausreichend gewesen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich hier nicht um eine Aufklärung im humanmedizinischen Bereich handle. Deswegen müsse auch klägerseits ein Aufklärungsmangel dargelegt und nachgewiesen werden, was aufgrund der vorliegenden Dokumentation und dem unterzeichneten Aufklärungsbogen nicht erfolgt sei.
Dagegen richtet sich die Berufung.
Sie macht im Rahmen der Berufung insbesondere eine Verletzung der Aufklärungspflicht geltend. Ihr sei die Entfernung der Chips als minimalinvasiver Routineeingriff mitgeteilt und empfohlen worden. Tatsächlich habe es sich aber wegen der Birkelandfraktur um einen komplizierten Eingriff gehandelt, der auch für einen erfahrenen Operateur nicht unproblematisch sei. Insoweit sei eine Aufklärung nicht erfolgt, insbesondere auch nicht im Hinblick darauf, dass es zu einer Traumatisierung der Gelenkweichteile nebst Bändern kommen könne. Der Beklagte habe offensichtlich gar nicht gesehen, dass es sich um eine solche Fraktur gehandelt habe. Bei derartigen Risiken wäre dem Eingriff nicht zugestimmt worden. Dem Beklagten sei bekannt gewesen, dass die Eheleute (die jetzige Klägerin und ihr verstorbener Ehemann) bei komplizierten Dingen immer noch eine zweite Meinung eingeholt hätten. So seien sie in der Vergangenheit schon nach Utrecht und Bern gefahren, um mit ihren Pferden Spezialisten aufzusuchen. Gerade in solch einem Fall hätte die Frage der Indikation umfassend erörtert werden müssen, weil zum damaligen Zeitpunkt das Pferd nicht lahm gewesen sei. Es habe lediglich auf die Beugeprobe entsprechend reagiert. Das Landgericht habe auch nicht richtig erfasst, dass die Operation von der völlig falschen Seite aus durchgeführt worden sei. Insoweit habe der Beklagte ein erhöhtes Risiko in Kauf genommen.
Tatsächlich sei auch von einem Behandlungsfehler auszugehen, weil die Ursache der geringgradigen Lahmheit, die bei der Beugeprobe vom Tierarzt festgestellt worden sei, gar nicht ermittelt worden sei. Ohne eine entsprechende Lahmheitsdiagnostik hätte die Operation nicht durchgeführt werden dürfen.
Auch eine relative Indikation rechtfertige nicht das Risiko einer kompletten Bandzerstörung mit Totalverlust des Tieres.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm:
Das Oberlandesgericht Hamm hat den Sachverständigen Prof. Dr. Y erneut angehört sowie den Zeugen H zur Frage der Lahmheit vor dem Eingriff vernommen. Zudem ist die jetzige Klägerin zunächst noch als Zeugin zur Frage des Umfangs der Aufklärung vor dem durchgeführten Eingriff vernommen worden. Außerdem hat das Oberlandesgericht Hamm ein Gutachten durch den Dipl.-Ing. F2 zur Frage des Wertes des Hengstes als Sportpferd und als reiner Deckhengst eingeholt.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm besteht ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1 BGB.
Die Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten liegen vor; denn der Beklagte hat zum einen in grob fehlerhafter Weise eine Operation ohne ausreichende Notwendigkeit durchgeführt und zum anderen den verstorbenen Kläger bzw. dessen Ehefrau als seine Vertreterin anlässlich der durchgeführten Behandlungen über die Risiken dieser Operation nicht in der notwendigen Weise aufgeklärt.
Der Sachverständige Prof. Dr. Y hat aufgrund der schriftlichen Angaben des beim Beklagten damals angestellten Tierarztes Dr. M an den Nachbehandler vom 06.05.2005 – die unverständlicherweise den Krankenunterlagen nicht beilagen und aus denen sich ergab, dass tatsächlich eine Schwellung im Bereich des Fesselgelenks vorlag – darauf verwiesen, dass diese Schwellung auch die Ursache für die positive Beugeprobe gewesen sein kann. Vor diesem Hintergrund, so der Sachverständige, hätte zu diesem Zeitpunkt keinesfalls eine Operation vorgenommen werden dürfen, da zum einen die Ursache der positiven Beugeprobe nicht festgestanden und zum anderen nach den Angaben des Tierarztes Dr. M auch am 14.09.2004 nach einer erheblichen Reduktion der Schwellung keine Lahmheit mehr vorgelegen hat. Das deckt sich mit den Angaben des Zeugen H, der das Pferd regelmäßig geritten hat und unter der Arbeit keine Lahmheit festgestellt haben will, was aber sonst bei einem Pferdewirtschaftsmeister, der Pferde bis zur höchsten Dressurklasse ausbildet, zu erwarten gewesen wäre. Wegen des wirtschaftlichen Wertes des Pferdes und des bestehende Verkaufsinteresses wäre ein Zuwarten mit der riskanten Operation zwingend notwendig gewesen. Dies schon deshalb, weil ein Erfolg der Operation bei einem Risiko von etwa 50% vollkommen offen war. Das Risiko war insbesondere deshalb so hoch, weil der Beklagte einen suboptimalen Zugangsweg zum Entfernen der Birkelandfraktur gewählt hat, der zu einer weiteren Traumatisierung des Bandapparates führte. Nach den Ausführungen des Sachverständigen war dies Verhalten unverständlich und hätte bei einem seiner Mitarbeiter zu einem sehr ernsten Gespräch geführt. Zudem wäre ein Tierarzt im Rahmen einer entsprechenden Prüfung durchgefallen. Vor diesem Hintergrund war die Durchführung der Operation durch den Beklagten zumindest zu diesem Zeitpunkt grob fehlerhaft und hat dazu geführt, dass der Hengst nunmehr als Dressurpferd unbrauchbar ist. Insoweit hat der Sachverständige nämlich ausgeführt, dass seines Erachtens das Trauma des Bandapparates für die spätere Krongelenkssubluxation verantwortlich ist. Dafür spricht bereits der zeitliche Zusammenhang. Eine fehlende Ruhigstellung des Hengstes hat der Sachverständige als Ursache für sehr unwahrscheinlich gehalten, weil dann das andere Bein infolge Überbelastung und nicht das geschonte Bein hätte betroffen sein müssen. Er hat es zudem für durchaus möglich gehalten, den Hengst bei einer optimal durchgeführten Operation, bei der ein Zugangsweg mit geringeren traumatischen Beeinträchtigungen des Bandapparates gewählt worden wäre, wieder in den Zustand zu versetzen, den er vor der Operation hatte.
Angesichts der aufgrund des groben Fehlers bestehenden Beweislastumkehr für die Kausalität des aufgetretenen Schadens reichen die Ausführungen des Sachverständigen aus, um den Beklagten zum Ersatz des eingetretenen Schadens heranzuziehen; denn er kann nicht nachweisen, dass seine Operation erfolgreich war und der Schaden erst durch das spätere hengsthafte Verhalten des Pferdes eingetreten ist. Dabei geht der Senat davon aus, dass auch im Bereich der Tiermedizin im Falle eines groben Behandlungsfehlers eine Umkehr der Beweislast eintritt.
Es kommt hinzu, dass der Beklagte auch keine ausreichende Aufklärung durchgeführt hat. Der Vortrag diesbezüglich ist auch nicht neu; denn schon erstinstanzlich hatte der verstorbene Ehemann der Klägerin die mangelnde Aufklärung gerügt und das Landgericht hätte sich angesichts der Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. Y zu der besonderen Problematik der Birkelandfraktur damit weiter auseinandersetzen müssen. Es ist zwar richtig, dass die von einem Tierarzt zu fordernde Aufklärung nicht mit der Humanmedizin zu vergleichen ist, weil es nicht um das schützenswerte Selbstbestimmungsrecht eines Patienten geht. Es handelt sich aber um eine normale vertragliche Aufklärungs- und Beratungspflicht, wenn die Behandlung des Tieres besonders risikoreich ist, möglicherweise kaum Erfolg verspricht und andererseits hohe finanzielle Interessen eine Rolle spielen. Hier ging es um ein hochwertiges Dressurpferd, das gut ausgebildet war und möglichst gut vermarktet werden sollte. Vor diesem Hintergrund wäre es erforderlich gewesen, darauf hinzuweisen, dass es sich um eine sehr komplizierte Operation mit einem doch ungewissen Ausgang und der Möglichkeit eines Totalverlustes handelte. Dies gilt umso mehr, als das Pferd nach den Angaben des Zeugen H durchgängig geritten wurde und keine besonderen Erkrankungen hatte. Eine solche Aufklärung hat der Beklagte aber nach dem wenig aussagekräftigen Aufklärungsbogen nicht geleistet, insbesondere auch nicht darüber aufgeklärt, dass er einen suboptimalen Zugangsweg wählen würde, der eine zusätzliche Belastung für den Bandapparat darstellte, nur um beide Chips gleichzeitig zu entfernen, was aber auch bei einer sehr kurzen zweiten Operation zur Entfernung des dorsalen Chips möglich gewesen wäre und weniger Risiko bedeutet hätte.
Angesichts des drohenden Totalverlustes und der lediglich zu 50% bis 60% vorhandenen Chance, die Birkelandfraktur ohne Beschädigung des Bewegungsapparates des Pferdes zu entfernen, ist es durchaus nachvollziehbar, wenn sowohl der verstorbene Kläger als auch die jetzige Klägerin angeben, sich gegen die Durchführung einer solchen Operation entschieden zu haben. In diesem Fall wäre mangels Durchführung der Operation lediglich der Verbleib der Chips als Kaufpreis reduzierendes Element verblieben.
Das Oberlandesgericht Hamm legt die Ausführungen des Sachverständigen F2 für den Wert des Hengstes zugrunde; denn der Sachverständige ist aufgrund seiner Pferdeerfahrung und als langjähriger Vorsitzender des Bereichs Zucht der Deutschen Reiterlichen Vereinigung und des Rheinischen Stammbuchs bestens geeignet, sich zu den hier interessierenden Fragen zu äußern. Insoweit hat er nachvollziehbar aufgrund der Abstammung des Hengstes, seines Exterieurs und seiner erfolgreichen Ausbildung nebst Turnierlaufbahn zunächst einen Wert von etwa 150.000 € angesetzt und diesen wegen der vorhandenen Chips, die einen Käufer zunächst einmal abschrecken können, auf 75.000 € reduziert. Dieser Wert liegt höher als die Klageforderung, die dementsprechend der Höhe nach berechtigt ist. Dieser Wert war auch nicht im Hinblick auf den weiteren Zustand des Tieres zu reduzieren; denn die regelmäßigen Behandlungen über den jahrelangen Zeitraum hat auch der Sachverständige F2 für ein Turnierpferd nicht für außergewöhnlich gehalten und der Zeuge H hat ausgesagt, dass während der Dauer seines Beritts im Hinblick auf den vom Beklagten behaupteten „Ton“ auch keine Endoskopie durchgeführt worden ist. Zudem kann nach den Angaben des Zeugen H und auch denen des Tierarztes Dr. M in der Information an den Nachbehandler nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Hengst aufgrund einer vor der Operation bestehenden Lahmheit keinen Wert mehr hatte.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 21.02.2014 – 26 U 3/11