martina heck

30.10.2013

Der Totenschädel im Zollrecht

Nachdem der Bundesfinanzhof im Rahmen der zolltariflichen Einreihung neulich noch über Körperöle und Liebesspiel zu entscheiden hatte, ging es nun um die eher dunkle Seite, nämlich Totenschädel.

Die Klägerin (und Revisionsbeklagte) führte im April 2008 und November 2009 verschiedene Gebrauchs- und Ziergegenstände (u.a. nachgebildete Totenschädel)) ein. Die Einfuhrsendung vom April 2008 wurde als Waren aus Kunststoff der Unterpos. 3926 40 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zur Überführung in den freien Verkehr angemeldet und antragsgemäß abgefertigt. Der Beklagte (und Revisionskläger), das Hauptzollamt, erhob Einfuhrabgaben nach dem für Waren dieser Art vorgeschriebenen Zollsatz von 6,5 %. Im Juni 2008 beantragte die Klägerin die teilweise Erstattung der Einfuhrabgaben mit der Begründung, bei den eingeführten Waren handele es sich um solche aus Kunststein der Unterpos. 6810 99 00 KN (Zollsatz 1,7 %). Das Hauptzollamt lehnte die Erstattung ab.

Auch für die als Waren der Unterpos. 6810 99 00 KN angemeldete Einfuhrsendung vom November 2009 erhob das Hauptzollamt Einfuhrabgaben nach dem für Waren der Unterpos. 3926 40 00 KN vorgeschriebenen Zollsatz. Die gegen diesen Abgabenbescheid sowie gegen die Versagung der beantragten Erstattung eingelegten Einsprüche wies das Hauptzollamt zurück.

Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht urteilte, es handele sich um Waren der Unterpos. 6810 99 00 KN, hob den Einfuhrabgabenbescheid für die Einfuhrsendung vom November 2009 teilweise auf und verpflichtete das Hauptzollamt, die für die Einfuhrsendung vom April 2008 erhobenen Abgaben teilweise zu erstatten. Die Unterpos. 6810 99 00 KN enthalte die für die Einfuhrwaren genauere Warenbezeichnung i.S. der Allgemeinen Vorschrift (AV) 3 Buchst. a für die Auslegung der KN, weil es sich um Waren aus Kunststein handele. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) zur Pos. 6810 werde Kunststein als Nachahmungen von Natursteinen beschrieben, die durch Verbindung von Bruchstücken, Körnern oder Pulvern von Naturstein mit Zement, Kalk oder anderen Bindemitteln (z.B. Kunststoff) hergestellt werden. Dem entsprächen die streitigen Waren, weil sie aus ca. 60 GHT Steinpulver und ca. 40 GHT Kunststoff bestünden. Zum gleichen Einreihungsergebnis gelange man unter Anwendung der AV 3 Buchst. b, weil der Steinpulveranteil der Ware überwiege und deshalb als charakterverleihend anzusehen sei.

Hiergegen wandte sich das Hauptzollamt mit der Revision und machte geltend, Kunststein der Pos. 6810 KN sei eine Nachahmung von Natursteinen, während das Material, aus denen die streitigen Waren bestünden, keine Ähnlichkeit mit einem Naturstein habe. Das in dem Material vorhandene Steinpulver diene lediglich als Füllstoff und sei nicht der Stoff, welcher den streitigen Waren ihren wesentlichen Charakter verleihe. Es handele sich um Ziergegenstände, deren Charakter maßgeblich durch ihr Erscheinungsbild geprägt werde. Das verwendete Kunstharz gebe dem Steinpulver erst seine für den jeweiligen Ziergegenstand vorgesehene Form, während das Steinpulver keine erkennbare Bedeutung für die optische Zierwirkung besitze. Bei der Tarifierung sei die in der 187. Sitzung des Zollkodex-Ausschusses getroffene Entscheidung zu berücksichtigen, der zufolge Figuren oder Statuetten aus Polymerharz, gemischt mit mineralischen Stoffen der Pos. 3926 KN zuzuweisen seien. Diese Tarifauffassung werde zudem durch 1984 und 1989 erlassene Einreihungsverordnungen der Kommission für aus 30 GHT Kunststoff und 70 GHT Silikaten als Füllstoffe gefertigte Waschbecken gestützt.

Der Bundesfinanzhof hat der Revision stattgegeben.

Die streitigen Einfuhrwaren erfüllen die Voraussetzungen für die zolltarifliche Einreihung in die Pos. 3926 KN (“Andere Waren aus Kunststoffen und Waren aus anderen Stoffen der Positionen 3901 bis 3914″). Sie bestehen zum Teil aus Kunstharz (Alkydharz), also einem Kunststoff der Pos. 3907 des Teilkap. I des Kap. 39 KN. Als Waren aus Kunststoff, die von keiner der Pos. 3915 bis 3925 des Teilkap. II des Kap. 39 KN erfasst werden, gehören sie zur Pos. 3926 KN. Dem steht nicht entgegen, dass sie nach den Feststellungen des Finanzgerichts nur mit einem Gewichtsanteil von 40 % aus Kunstharz und im Übrigen aus Steinpulver (Calciumcarbonat) bestehen. Nach den ErlHS, die nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bei der Auslegung der Tarifpositionen zu berücksichtigen sind, gehören zu den Primärformen von Kunststoffen auch solche, die Füllstoffe (u.a. mineralische Stoffe) enthalten, die dazu bestimmt sind, dem Enderzeugnis bestimmte Eigenschaften zu verleihen (ErlHS zu Kap. 39, Rz 32.0, 38.0, 39.0). Gleiches gilt für die Kunststofferzeugnisse des Teilkap. II des Kap. 39 KN (ErlHS zu Teilkap. II, Pos. 3920, Rz 02.3). Eine Höchstgrenze für derartige Füllstoffe nennen die ErlHS nicht (vgl. Avise zum Harmonisierten System zur Pos. 3920, Rz 02.1: danach wird sog. “Künstlicher Marmor” mit einem Kunststoffanteil von nur 33 GHT von der Unterpos. 3920 51 erfasst). Zu den Waren aus Kunststoffen der Pos. 3926 KN gehören u.a. auch Statuetten und Ziergegenstände (Unterpos. 3926 40 00 KN).

Die streitigen Waren erfüllen allerdings auch die Voraussetzungen für die Einreihung in die Pos. 6810 KN (“Waren aus Zement, Beton oder Kunststein, auch bewehrt”). Kunststein sind nach den ErlHS 6810, Rz 03.0 Nachahmungen von Natursteinen, die durch Verbindung von Bruchstücken, Körnern oder Pulvern von Natursteinen mit Bindemitteln wie z.B. Kunststoff hergestellt werden. Das Material, aus dem die Waren des Streitfalls hergestellt sind, erfüllt nach seinen objektiven Beschaffenheitsmerkmalen diese Voraussetzungen, da es aus mittels Kunstharz gebundenem Steinpulver besteht. Für den im Kunststein enthaltenen Anteil an Bindemitteln nennen die ErlHS ebenfalls keine Höchstgrenze. Zu den Waren der Pos. 6810 KN gehören u.a. auch Ziergegenstände (ErlHS 6810, Rz 05.0).

Waren, die aus mehr als einem Stoff bestehen, werden nach der AV 2 Buchst. b Satz 3 nach den Grundsätzen der AV 3 eingereiht. Diese Grundsätze hat das Finanzgericht nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht zutreffend angewandt.

Soweit das Finanzgericht meint, i.S. der AV 3 Buchst. a Satz 1 sei die Warenbezeichnung der Unterpos. 6810 99 00 KN gegenüber derjenigen der Unterpos. 3926 40 00 KN die genauere, ist dies zum einen nicht nachvollziehbar, zum anderen verkennt das Finanzgericht, dass die AV 3 Buchst. a Satz 1 den Vergleich der Warenbezeichnungen der in Betracht kommenden Positionen, nicht jedoch der Warenbezeichnungen von Unterpositionen fordert. Die Warenbezeichnung der Pos. 6810 KN “Waren aus Zement, Beton oder Kunststein …” ist aber nicht genauer als die Warenbezeichnung der Pos. 3926 KN “Andere Waren aus Kunststoffen und Waren aus anderen Stoffen der Positionen 3901 bis 3914″. Darüber hinaus werden nach der AV 3 Buchst. a Satz 2 zwei oder mehr Positionen, von denen sich jede nur auf einen Teil der in einer gemischten oder zusammengesetzten Ware enthaltenen Stoffe bezieht, im Hinblick auf diese Ware als gleich genau betrachtet, selbst wenn eine von ihnen eine genauere oder vollständigere Warenbezeichnung enthält.

Da somit die tarifliche Einreihung der streitigen Waren nach der AV 3 Buchst. a nicht möglich ist, sind sie gemäß der AV 3 Buchst. b nach dem Stoff oder Bestandteil einzureihen, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht. Danach sind die Waren der Pos. 3926 KN zuzuweisen.

Die insoweit erforderliche Gewichtung der festgestellten objektiven Merkmale der zu vergleichenden Warenbestandteile ist zwar grundsätzlich eine dem Tatsachengericht vorzubehaltende Würdigung, die auf tatsächlichem Gebiet liegt und daher einer revisionsrechtlichen Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich ist. Soweit das Finanzgericht im Streitfall das in den Waren enthaltene Steinpulver für den charakterbestimmenden Bestandteil gehalten hat, sind allerdings die vom Finanzgericht herangezogenen Kriterien rechtlich zu beanstanden, welche die Art und den Verwendungszweck der streitigen Waren unberücksichtigt lassen.

Für die Beantwortung der Frage, welcher Bestandteil einer aus verschiedenen Stoffen bestehenden Ware charakterbestimmend ist, geben die ErlHS zur AV 3 Buchst. b Rz 19.1 zu beachtende Hinweise. Das entscheidende Merkmal kann sich z.B. aus der Art und Beschaffenheit des Stoffes oder der Bestandteile, aus dem Umfang, der Menge, dem Gewicht, dem Wert oder der Bedeutung in Bezug auf die Verwendung der Ware und auch aus ihrem Erscheinungsbild ergeben. Welches dieser nicht abschließend aufgezählten Merkmale im Einzelfall zu berücksichtigen ist, hängt in erster Linie von der Art und dem Verwendungszweck der Ware ab.

Obwohl es sich bei den streitigen Waren zum Teil um Gebrauchsgegenstände handelt (Aschenbecher und Buchstützen), steht nach den Feststellungen des Finanzgerichts, das die Waren in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommenen hat, auch bei diesen ihr dekoratives Erscheinungsbild und ihre Eigenschaft als Ziergegenstand im Vordergrund. Bei Ziergegenständen dieser Art kommt es aber im Wesentlichen auf ihr Aussehen an, während ihr Gewicht im Allgemeinen ohne Bedeutung sein dürfte. Deshalb ist dem Finanzgericht nicht zu folgen, soweit es gemeint hat, aus dem überwiegenden Gewichtsanteil des Steinpulvers von 60 GHT auf dessen charakterbestimmende Eigenschaft schließen zu können. Dabei ist zudem das gegenüber Kunstharz deutlich höhere spezifische Gewicht des Steinpulvers unberücksichtigt geblieben. So ist davon auszugehen, dass im Volumen-Verhältnis der Bestandteile Steinpulver und Kunstharz dasjenige des Kunstharzes überwiegt.

Berücksichtigt man Art und Verwendungszweck der streitigen Waren als Ziergegenstände und stellt man deshalb in erster Linie auf ihr Erscheinungsbild ab, spricht nichts für die Annahme, das Aussehen der Ziergegenstände werde in optisch erkennbarer Weise durch das in den Waren enthaltene Steinpulver geprägt, das den optischen Eindruck einer mineralischen Beschaffenheit der Ware vermittele. Es dürfte für das Aussehen der streitigen Waren ohne Bedeutung sein, ob Steinpulver mit 60 GHT, mit einem wesentlich geringeren Gewichtsanteil oder ggf. auch gar nicht enthalten ist. Für die detailliert ausgeformten Ornamente der Ziergegenstände bzw. die naturgetreue plastische Imitation des Totenschädels ist vielmehr der Kunststoffanteil der Waren bestimmend, der im Herstellungsprozess das Gießen der flüssigen Mischung in fein ausgeprägte Ornament-Formen ermöglicht, die der fertigen Ware ihren dekorativen Charakter verleihen.

Da es bei der tariflichen Einreihung einer aus einer Mischung aus Steinpulver und Kunststoff gefertigten Ware auf den Bestandteil ankommt, der dieser ihren wesentlichen Charakter verleiht, und sich die insoweit heranzuziehenden Kriterien nach Art und Verwendungszweck der jeweiligen Ware bestimmen, lassen sich aus für andere Waren erteilten verbindlichen Tarifauskünften oder Einreihungsverordnungen kaum Folgerungen herleiten. Denn die Frage, welcher Bestandteil charakterbestimmend ist, ist stets eine Frage der im Einzelfall jeweils zu tarifierenden Ware und ihres Verwendungszwecks. Dementsprechend nehmen auch die Einreihungsverordnungen der Kommission betreffend aus Kunststoff und Silikaten bestehende Waschbecken bzw. aus Naturstein und Polyester bestehende Endstücke für Gardinenstangen, mit denen die Beteiligten ihre Tarifauffassung jeweils begründen, ausdrücklich auf die AV 3 Buchst. b Bezug. Jedenfalls erlauben die aus solchen Tarifierungen für andere Waren zu entnehmenden Gewichtsanteile der enthaltenen Stoffe nicht den Schluss, diese hätten den Ausschlag bei der Entscheidung für die charakterbestimmende Eigenschaft gegeben, zumal sich den Tarifvorschriften der Pos. 3926 und 6810 KN keine Anhaltspunkte für Höchstgrenzen für enthaltene Füllstoffe bzw. Bindemittel entnehmen lassen.

Deshalb ist auch die im Jahr 1999 in der 187. Sitzung des Zollkodex-Ausschusses getroffene Entscheidung für den Streitfall nur beschränkt aufschlussreich, da sie zwar zu der Entscheidung der Kommission vom 12.07.1999 führte, mit der die britische Zollverwaltung aufgefordert wurde, eine große Anzahl erteilter verbindlicher Zolltarifauskünfte für aus mineralischen Stoffen und Kunstharz bestehende Waren für ungültig zu erklären, jedoch nicht erkennen lässt, auf welchen Erwägungen diese Entscheidung beruht.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.08.2013 – VII R 32/12