martina heck

25.09.2013

Der Schuß ins Knie: “Backanleitung” für die Behörde

Die Gefährlichkeit eines Hundes kann als solche nicht durch einen Verwaltungsakt festgestellt und ein Halter auch nicht gezwungen werden, die Erlaubnis zur Haltung eines gefährlichen Hundes zu beantragen, so das Verwaltungsgericht Potsdam.

In dem konkreten Fall ist der Kläger Halter einer Barsoi-Hündin (russischer Windhund).

Nach einem Vermerk der beklagten Kommune vom 30.03.2009 über ein Gespräch mit einem Jäger und dem Kläger im Ordnungsamt berichtete der Jäger, dass zwei Hunde am 29.03.2009 gegen 16.00 Uhr auf konkret benannten Feldern ein Reh gerissen hätten. Der Kläger gab an, dass seine Barsoi- Hündin und ein weiterer (Gast-)Hund beteiligt gewesen seien. Zum Tatzeitpunkt sei seine Frau mit den Hunden unterwegs gewesen. Das Polizeipräsidium Potsdam unterrichtete am 30.03.2009 ebenfalls den Beklagten über diesen Vorfall. Der Kläger habe mitgeteilt, dass seine Ehefrau am Vortag mit beiden Hunden spazieren gegangen sei. Sie sei aufgelöst nach Hause gekommen und habe ihm mitgeteilt, dass sich die Hunde losgerissen und ein Reh gerissen hätten. In den Verwaltungsvorgängen befinden sich Vermerke über (Telefon-)Gespräche mit Zeugen, die den Vorfall beobachtet hatten und dem Beklagten gegenüber bestätigten, dass zwei Hunde ein Reh gejagt und gerissen hätten. Demgegenüber gab die Ehefrau des Klägers an, sie habe keinen Vorfall bemerkt. Die Hunde hätten keine Blutspuren an den Lefzen gehabt. Laut Vermerk des Beklagten fand der Jäger, der von einem Zeugen gerufen worden war, vor Ort ein totes, frisch gerissenes Reh vor, welches er vergrub.

Mit Ordnungsverfügung vom 10.06.2009

  • stufte der Beklagte die Barsoihündin als gefährlich ein (Ziff. 1) und
  • gab dem Kläger auf, dem Ordnungsamt der Gemeinde bis zum 15.07.2009 den Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur Haltung eines gefährlichen Hundes sowie alle dazu notwendigen Unterlagen vorzulegen (Ziff. 2).

Zur Begründung der auf § 25 a Abs. 3 Nr. 3 OBG i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 HundehV gestützten Ordnungsverfügung wurde ausgeführt, die Hündin sei gefährlich, da sie ein Reh gerissen habe, der Vorfall sei hinreichend bewiesen. Es bestehe kein Ermessensspielraum hinsichtlich der Einstufung des Hundes als gefährlich. Die weitere Haltung des Hundes sei nach § 10 HundehV erlaubnispflichtig.

Mit seinem Widerspruch bestritt der Kläger, dass sein Hund ein Reh gerissen habe, dies habe der Beklagte mangels förmlicher zeugenschaftlicher Vernehmung unzureichend ermittelt. Die Wahrnehmungen der Zeugen zweifele er an. Die Sicht sei schlecht gewesen, Fotos fehlten, daher bestreite er, dass es überhaupt ein totes Reh gegeben habe. Die Hunde hätten sich nur kurzfristig losgerissen und seien alsbald zu seiner Frau zurückgekehrt.

Den Widerspruch wies der Landrat des Landkreises als unbegründet zurück.

Der Kläger hat hiergegen Klage erhoben und trägt vor, dass auch mit den vom Beklagten im Vorverfahren eingeholten schriftlichen Aussagen der Zeugen nicht bewiesen sei, dass seine Hündin den Tod des Rehs verursacht habe. Selbst wenn dies der Fall wäre, wäre sie nicht gefährlich, da es sich um ein einmaliges Verhalten gehandelt habe. Der Kläger hat einen Sachkundenachweis und ein Negativgutachten für die Hündin vorgelegt.

Die Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Potsdam Erfolg, da es an einer Rechtsgrundlage (Ermächtigungsgrundlage) fehlt, die nach dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes erforderlich ist, wenn die Behörde Verwaltungsakte erlässt, die in die Rechte des Bürgers eingreifen.

Bei Ziff. 1 der angegriffenen Ordnungsverfügung handelt es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG, mit dem der Beklagte die Gefährlichkeit der Hündin verbindlich festgestellt hat, um aus dieser Feststellung weitere Rechtsfolgen abzuleiten. Der Beklagte selbst hält die Feststellung für zwingend erforderlich, um die Erlaubnispflicht nach Ziff. 2 der Ordnungsverfügung durchzusetzen. Hieraus ergibt sich zugleich die den Kläger beschwerende Wirkung der Feststellung unter Ziff. 1. Der Beklagte hat darüber hinaus die Rechtsfolgen, die sich aus der Feststellung der Gefährlichkeit ergeben, auf S. 4 und 5 der angegriffenen Ordnungsverfügung aufgelistet. Eine Rechtsgrundlage für die getroffene Feststellung ist aber nicht ersichtlich, sie ergibt sich insbesondere nicht aus § 25 a Abs. 3 Nr. 3 OBG i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 HundeHV. Dort ist die (unwiderlegliche) Fiktion der Gefährlichkeit eines Hundes geregelt, der durch sein Verhalten gezeigt hat, dass er unkontrolliert Wild oder andere Tiere hetzt oder reißt, nicht aber die Befugnis der Behörde, die Gefährlichkeit durch Verwaltungsakt gegenüber dem Hundehalter festzustellen. Im Übrigen bedarf es für den Fall der Gefährlichkeit eines Hundes keiner gesonderten Feststellung der Gefährlichkeit, diese wird vielmehr inzident überprüft im Zusammenhang mit gegebenenfalls von der Behörde gegenüber dem Halter eines gefährlichen Hundes angeordneten Maßnahmen.

Auch für Ziff. 2 der angegriffenen Ordnungsverfügung fehlt es an einer Rechtsgrundlage, die den Beklagten zum Erlass einer derartigen Maßnahme berechtigt. Es trifft zwar zu, dass die Haltung eines gefährlichen Hundes erlaubnispflichtig ist, vgl. § 10 Abs. 1 HundeHV. Aber auch diese Vorschrift ermächtigt die Behörde nicht dazu, vom Hundehalter durch – vollstreckbaren – Verwaltungsakt zu verlangen, dass er einen Antrag auf Erlaubniserteilung stellt. Die Abgabe eines Antrags zum Erlass eines den Hundehalter begünstigenden Verwaltungsakts – die Erlaubnis – kann nicht auf diese Weise erzwungen werden. Vielmehr kann die Behörde nur gegen den Hundehalter einschreiten, wenn er ohne die erforderliche Erlaubnis einen gefährlichen Hund hält. Dies ergibt sich aus einer Auslegung des Zusammenspiels der Vorschriften in §§ 5 und 8 HundehV. Danach hat die Ordnungsbehörde das Halten eines (gefährlichen) Hundes zu untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Erlaubnisvoraussetzungen des § 10 Abs. 2 HundehV nicht erfüllt werden. D. h., sie muss materiell prüfen, ob die Erlaubnisvoraussetzungen erfüllt sind, kann dem Hundehalter aber nicht die Stellung eines Antrages auf Erlaubnis aufgeben. Es ist vielmehr Sache des Halters eines gefährlichen Hundes und obliegt seiner freien Entscheidung, eine Erlaubnis zu beantragen und die hierfür nach § 10 Abs. 2 HundeHV erforderlichen Unterlagen beizubringen. Beantragt der Hundehalter nicht die erforderliche Erlaubnis zur Hundehaltung, kann die Behörde bei Nichterfüllung der Erlaubnisvoraussetzungen negative Konsequenzen ziehen.

Aus den dargelegten Gründen ermächtigt auch § 13 Abs. 1 OBG, den die Widerspruchsbehörde als Rechtsgrundlage angeführt hat, den Beklagten nicht, vom Kläger die Antragstellung zu verlangen. Im Übrigen ist die Verpflichtung zur Stellung eines Antrags kein geeignetes Mittel, den Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit zu ahnden, da durch die geforderte Antragstellung die nach § 10 Abs. 1 HundeHV erforderliche Erlaubnis nicht ersetzt wird. Insoweit bedarf es neben der erforderlichen Mitwirkung des Halters in Form der Antragstellung der Erfüllung der weiteren in § 10 Abs. 2 HundeHV geregelten Erlaubnisvoraussetzungen, die aus Sicht des Beklagten hier nicht vorliegen.

Verwaltungsgericht Potsdam, Urteil vom 20.08.2013 – 3 K 134/10

Anmerkung:

Dass die Ordnungsverfügung hier nicht gehalten hat, ist die eine Sache. Dass dem Kläger das gegebenenfalls aber nicht weiterhilft, eine andere, da die Behörde nicht gehindert ist, eine neue Ordnungsverfügung zu erlassen, bei der es sich – je nach dem – auch um eine Wegnahmeverfügung handeln könnte, wenn der Halter nicht seine Berechtigung zur Haltung eines gefährlichen Hundes darlegt und es sich in einem Rechtsstreit dann herausstellt, dass die Hündin als gefährlicher Hund einzustufen ist – gegebenenfalls eben ein klassischer “Schuß ins Knie”.