martina heck

12.12.2013

Das leichtfertige Handeln des Steuerberaters

Was passiert, wenn ein Steuerberater bei der Erstellung einer Einkommensteuererklärung den Gewinn des Mandanten leichtfertig fehlerhaft ermittelt? Ist der Steuerberater Täter einer leichtfertigen Steuerverkürzung? Ist dies dem Mandanten zuzurechnen, so dass sich die Frist für die Festsetzungsverjährung auf fünf Jahre verlängert?

Über diese Fragen hatte der Bundesfinanzhof aktuell zu entscheiden und ist zu folgenden Ergebnissen gekommen:

  1. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO sind nicht erfüllt, wenn der Steuerberater bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung den Gewinn leichtfertig fehlerhaft ermittelt, da der Steuerberater mangels eigener Angaben gegenüber dem Finanzamt nicht Täter einer leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist.
  2. Der Steuerpflichtige darf im Regelfall darauf vertrauen, dass der Steuerberater die Steuererklärung richtig und vollständig vorbereitet, wenn er diesem die für die Erstellung der Steuererklärung erforderlichen Informationen vollständig verschafft hat. Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die vom Steuerberater vorbereitete Steuererklärung in allen Einzelheiten nachzuprüfen.
  3. Dem Steuerpflichtigen kann das leichtfertige Handeln des Steuerberaters weder nach straf- oder bußgeldrechtlichen noch nach steuerrechtlichen Grundsätzen zugerechnet werden.

Hintergrund dieser Entscheidung war folgendes:

In dem konkreten Fall war die Frage streitig, ob die Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1996 trotz Ablaufs der regulären Festsetzungsfrist noch zulässig war.

Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte im Streitjahr aus seiner Tätigkeit als Arzt Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Den Gewinn ermittelte er durch Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes. Im Zusammenhang mit seiner ärztlichen Tätigkeit war er an einer Laborgemeinschaft beteiligt. Für diese wurde eine gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen durchgeführt. Die Laborgemeinschaft bescheinigte dem Kläger für das Streitjahr 1996 einen Verlust aus seiner Beteiligung in Höhe von 12.451 DM. Die Laborgemeinschaft wies auf der Bescheinigung darauf hin, dass der Verlust in der Steuererklärung in der Anlage GSE einzutragen sei, alle Zahlungen an die Laborgemeinschaft erfolgsneutrale Zahlungen darstellten und das Schreiben an den Steuerberater weiterzuleiten sei.

Die Kläger machten in der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1996 den Verlust aus der Beteiligung an der Laborgemeinschaft in Höhe von 12.451 DM in der Anlage GSE steuerlich geltend. Zudem wurde dieser Betrag in der Gewinnermittlung des Klägers als Betriebsausgabe bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit berücksichtigt. Die Gewinnermittlung stammte von einem Steuerberater und dessen Steuerfachangestellter, die auch die Steuererklärung vorbereiteten.

Die Einkommensteuererklärung ging bei dem beklagten Finanzamt im Mai 1998 ein; die Einkommensteuer wurde erklärungsgemäß festgesetzt.

Das Finanzamt führte bei dem Kläger für die Jahre 1998 bis 2000 eine Außenprüfung durch. Am 08.05.2003 wurde die laufende Prüfung auf die Jahre 1996 und 1997 erweitert. Der Prüfer stellte fest, dass die Laborzahlungen des Klägers in den Jahren 1996 bis 1999 doppelt steuermindernd berücksichtigt worden waren. Das Finanzamt folgte den Feststellungen des Prüfungsberichts und erließ für das Streitjahr 1996 am 30.10.2006 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das Finanzgericht die Klage mit Urteil vom 10.12.2008 ab.

Auf die Revision des Klägers hat der Bundesfinanzhof diese Entscheidung aufgehoben, da nach Auffassung des Bundesfinanzhofs die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AO auf fünf Jahre nicht vorlagen, da weder der Kläger noch sein Steuerberater noch dessen Steuerfachangestellte eine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO i.V.m. § 370 AO begangen haben.

Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht wird. Die Festsetzungsfrist beträgt für die Einkommensteuer vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Bei Steuerhinterziehung verlängert sie sich auf zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO).

Im Streitfall begann die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1996 mit Ablauf des Jahres 1998, da die Kläger in diesem Jahr die Steuererklärung für 1996 abgegeben haben (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Die reguläre Festsetzungsfrist endete am 31.12.2002, sodass durch die erweiterte Prüfungsanordnung vom 8. Mai 2003 der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt werden konnte. Die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids hängt somit davon ab, ob zumindest eine leichtfertige Steuerverkürzung gemäß § 378 AO vorlag, da nur in diesem Fall die Prüfungsanordnung vor Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen wäre.

1. Zu Unrecht ist das Finanzgericht davon ausgegangen, so der Bundesfinanzhof, dass der Steuerberater und seine Steuerfachgehilfin den objektiven Tatbestand des § 378 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 370 Abs. 1 AO erfüllt haben.

Ob eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, bestimmt sich nach §§ 370, 378 AO, da § 169 AO diesbezüglich keine Legaldefinition enthält. Wie sich aus der Gesetzesüberschrift ergibt, handelt es sich bei § 370 AO um eine Strafvorschrift und bei § 378 AO um eine Bußgeldvorschrift. Hängt die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids von der Verlängerung der Festsetzungsfrist auf fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) und somit vom Vorliegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung ab, müssen zur Rechtmäßigkeit des Bescheids die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 378 AO erfüllt sein.

Danach sind die im Steuerrecht vorkommenden Begriffe des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts materiell-rechtlich wie im Strafrecht zu beurteilen. Dagegen ist die Frage, ob diese Tatbestandsmerkmale tatsächlich erfüllt sind, nicht nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, sondern nach den Verfahrensvorschriften der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung zu prüfen, da es sich lediglich um eine strafrechtliche Vorfrage im Rahmen einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids handelt.

Nach § 378 Abs. 1 Satz 1 AO handelt ordnungswidrig, wer als Steuerpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht. Danach kann der Steuerberater nur dann eine Ordnungswidrigkeit begehen, wenn er den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllt.

Die Regelung des § 370 AO hat einen gegenüber der Vorgängerregelung des § 359 der Reichsabgabenordnung engeren Anwendungsbereich. Nach deren Wortlaut (“bewirkt”) genügte zur Tatbestandserfüllung die ursächliche Herbeiführung des Erfolgs der Steuerverkürzung. Die Unbestimmtheit des Tatbestands führte zu erheblichen Auslegungsproblemen und rechtsstaatlichen Bedenken. Um dem Verfassungsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG besser zu genügen, hat der Gesetzgeber die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Steuerhinterziehung in der Neufassung des § 370 AO eindeutig umschrieben und das weiter gehende Tatbestandsmerkmal der vorherigen Fassung (“bewirkt”) fallengelassen. Die Neuregelung weicht von der Reichsabgabenordnung in der Umschreibung des Tatbestands der Steuerhinterziehung vor allem dadurch ab, dass sie eindeutig festlegt, welche Handlung oder Unterlassung vorliegen muss, damit der Erfolg der Tat, die Verkürzung von Steuern oder die Erlangung von Steuervorteilen, tatbestandsmäßig verwirklicht wird. Nach dem Willen des Gesetzgebers besteht die Tathandlung darin, dass den zuständigen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden oder dass diese Behörden pflichtwidrig über derartige Tatsachen in Unkenntnis gelassen werden. Der Entwurf ersetzte die bisher vier Tathandlungen (Erschleichen nicht gerechtfertigter Steuervorteile; Bewirken der Verkürzung von Steuereinnahmen; zweckwidrige Verwendung von Sachen, für die dem Täter Steuerbefreiung oder Steuervorteile gewährt sind; Unterlassen der rechtzeitigen Anzeige der Zweckentfremdung) durch zwei präzisere Umschreibungen, nämlich gegenüber den Finanzbehörden unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen zu machen oder diese über steuerlich erhebliche Tatsachen pflichtwidrig in Unkenntnis zu lassen. Als dritte Tathandlung wurde die pflichtwidrige Verwendung von Steuerzeichen normiert. Der Finanzausschuss stellte durch die Formulierung “für sich oder einen anderen” klar, dass die Steuerhinterziehung auch von einem anderen als dem Steuerpflichtigen begangen werden kann.

Der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt voraus, dass der Täter den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben macht. Bei der von dem Gesetzgeber intendierten engen Auslegung des Tatbestands begeht der Steuerberater keine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO, wenn er die Steuererklärung seines Mandanten lediglich vorbereitet und diese vom Steuerpflichtigen unterzeichnet und eingereicht wird, weil es an eigenen Angaben des Steuerberaters gegenüber dem Finanzamt fehlt.

Durch die Einreichung der vom Steuerpflichtigen unterzeichneten Steuererklärung hat nicht der Steuerberater, sondern der Steuerpflichtige entsprechend seiner steuerrechtlichen Verpflichtung Angaben gegenüber dem Finanzamt gemacht. Es ist seine Erklärung, für die er mit seiner Unterschrift die Verantwortung übernommen hat, nicht die des Steuerberaters. Dies gilt selbst im Falle eines sog. Mitwirkungsvermerks des Steuerberaters, weil sich die Mitwirkung bei der Anfertigung der Steuererklärung auf die Vorbereitung der Steuererklärung des Steuerpflichtigen beschränkt und eine vom Steuerberater gegenüber seinem Mandanten geschuldete und erbrachte Leistung darstellt.

Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs, der in seinem Urteil in BStBl. II 2003, 385 die Auffassung vertreten hat, dass der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auch dann erfüllt sei, wenn der Steuerberater selbst keine Angaben gegenüber der Finanzbehörde macht, hat auf Anfrage des hier nun entscheidenden Senats nach § 11 Abs. 3 Sätze 1 und 3 FGO der Abweichung von seiner Rechtsprechung zugestimmt.

Der Steuerberater der Kläger hat das FA auch nicht i.S. von § 378 AO i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen, da er nicht erkannt hat, dass die Laboraufwendungen doppelt steuerlich geltend gemacht wurden. Die umstrittene Frage, ob der Steuerberater überhaupt nach § 153 AO zur Berichtigung einer Erklärung verpflichtet ist und den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllen kann, kann daher offenbleiben, so der Bundesfinanzhof.

Der Steuerberater hat eine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auch nicht in mittelbarer Täterschaft begangen. Bei Ordnungswidrigkeiten gilt – anders als im Strafrecht – der Einheitstäterbegriff nach § 14 OWiG. Beteiligen sich mehrere an einer Ordnungswidrigkeit, so handelt jeder von ihnen ordnungswidrig. Eine Beteiligung an der Ordnungswidrigkeit eines anderen setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der andere vorsätzlich handelt. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da für ein vorsätzliches Handeln des Klägers, der selbst dem Finanzamt unrichtige Angaben gemacht und dadurch Steuern verkürzt hat, keine Anhaltspunkte bestehen. Eine mittelbare Täterschaft des Steuerberaters scheidet danach aus.

Eine bußgeldrechtliche Verantwortung des Steuerberaters ergibt sich auch nicht aus § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG. Nach dieser Vorschrift ist unter der Voraussetzung, dass jemand von dem Inhaber eines Betriebs oder einem sonst dazu Befugten ausdrücklich beauftragt wird, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebs obliegen und er aufgrund dieses Auftrags handelt, ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Merkmale die Möglichkeit der Ahndung begründen, auch auf den Beauftragten anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Inhaber des Betriebs vorliegen. Dem Betrieb steht das Unternehmen gleich (§ 9 Abs. 2 Satz 2 OWiG).

Danach setzt der Anwendungsbereich der Vorschrift ein, wenn der Normadressat, dem die Bußgelddrohung ursprünglich gilt, durch besondere persönliche Merkmale gekennzeichnet ist. Nach der Legaldefinition des § 9 Abs. 1 OWiG sind persönliche Merkmale persönliche Eigenschaften (körperliche, physische oder rechtliche Wesensmerkmale), Verhältnisse oder Umstände (z.B. die Gewerbsmäßigkeit). Sie beziehen sich auf einen objektiven Umstand einer Person. Im vorliegenden Fall ist der Umstand, dass der Kläger als Steuerpflichtiger die Steuererklärung unterschreibt und beim Finanzamt einreicht, kein persönliches Merkmal, sondern eine die Ordnungswidrigkeit begründende Handlung, nämlich die unrichtige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen gegenüber dem Finanzamt, sodass der Tatbestand des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG nicht erfüllt ist. Zudem setzt § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 OWiG eine ausdrückliche Beauftragung durch den Betriebsinhaber zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung der Steuerangelegenheiten voraus, woran es fehlt, wenn der Steuerberater, wie im vorliegenden Fall, lediglich mit der Gewinnermittlung und Vorbereitung der Steuererklärung beauftragt ist und lediglich im Innenverhältnis tätig wird.

Da sich das Vorliegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nach dieser materiell-rechtlichen Beurteilung des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts richtet, hat sich die reguläre Festsetzungsfrist aufgrund des Handelns des Steuerberaters und seiner Steuerfachgehilfin nicht verlängert. Zwar greift die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auch dann ein, wenn nicht der Steuerschuldner selbst, sondern ein Dritter die Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt hat, da sie die Erschwernis ausgleichen soll, die im Falle der Steuerhinterziehung bei der Festsetzung entsteht, und zwar unabhängig davon, “wer jeweils der Täter ist”. Auch muss die Person des Täters nicht feststehen; ausreichend ist, dass von mehreren in Betracht kommenden Personen jedenfalls eine die Steuerhinterziehung zum Vorteil des Steuerschuldners begangen hat.

Aus dem Wortlaut des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO “Steuer hinterzogen”, § 169 Abs. 2 Satz 3 AO “begangen” und § 378 Abs. 1 AO “begeht” ergibt sich jedoch, dass eine Verlängerung der Festsetzungsfrist nur eintritt, wenn die dritte Person den objektiven und subjektiven Tatbestand einer der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten erfüllt. Da im vorliegenden Fall weder der Steuerberater noch dessen Steuerfachangestellte den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt haben, sind die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Festsetzungsfrist insoweit nicht erfüllt.

Da die Vorentscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, hat der Bundesfinanzhof sie aufgehoben.

2. Auch das Handeln des Klägers selbst führt nicht zu einer Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO. Zwar hat er den objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt, da er dem Finanzamt in Bezug auf seine Laboraufwendungen falsche Angaben gemacht und dadurch Steuern verkürzt hat. Jedoch ist die vom Finanzgericht offengelassene Frage, ob er auch leichtfertig gehandelt hat, aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts zu verneinen.

Leichtfertigkeit i.S. des § 378 Abs. 1 Satz 1 AO bedeutet einen erheblichen Grad an Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht, aber im Gegensatz hierzu auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abstellt. Ein derartiges Verschulden liegt danach vor, wenn ein Steuerpflichtiger nach den Gegebenheiten des Einzelfalls und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sich im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen. Hierzu ist eine Gesamtbewertung des Verhaltens des Steuerpflichtigen erforderlich.

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger nicht leichtfertig gehandelt, als er unrichtige Angaben in seiner Steuererklärung gemacht und durch die doppelte Berücksichtigung der durch seine Beteiligung an der Laborgemeinschaft veranlassten Ausgaben Einkommensteuer verkürzt hat.

Zwar hat der Bundesfinanzhof in Zusammenhang mit der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wiederholt hervorgehoben, dass der Steuerpflichtige verpflichtet ist, die von seinem steuerlichen Berater vorbereitete Erklärung darauf zu überprüfen, ob sie alle Angaben tatsächlicher Art enthält und diesen Verschuldensmaßstab auch auf das Vorliegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO übertragen. Jedoch darf der Steuerpflichtige im Regelfall darauf vertrauen, dass der Steuerberater die Steuererklärung richtig und vollständig vorbereitet, wenn er diesem die für die Erstellung der Steuerklärung erforderlichen Informationen vollständig verschafft hat. Danach ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, die vom Steuerberater vorbereitete Steuererklärung in allen Einzelheiten nachzuprüfen.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger seinen Steuerberater mit der Gewinnermittlung und der Erstellung der Einkommensteuererklärung beauftragt. Er hat ihm die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig überlassen. Hierzu gehörte auch das Schreiben der Laborgemeinschaft, in dem darauf hingewiesen wurde, dass der Verlust in der Steuererklärung in der Anlage GSE einzutragen sei, alle Zahlungen an die Laborgemeinschaft im Jahr 1996 aber erfolgsneutral zu behandeln seien. Der Umstand, dass die Zahlungen auch in der Einnahmenüberschussrechnung erfasst waren, war auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Der Kläger hätte auch bei gewissenhafter und ihm zumutbarer Prüfung nicht erkennen müssen, dass die von ihm unterschriebene Einkommensteuererklärung unrichtig war. Denn hierzu hätte er die Erfassung der Einnahmen und Ausgaben im Einzelnen nachprüfen müssen. Dies konnte jedoch von dem Kläger, der als selbständiger Arzt eine Praxis betreibt, nicht erwartet werden. Der Kläger handelte danach nicht leichtfertig.

Dem Kläger kann auch das leichtfertige Handeln des Steuerberaters und dessen Fachangestellter weder nach straf- oder bußgeldrechtlichen noch nach steuerrechtlichen Grundsätzen zugerechnet werden.

Die Feststellung des Finanzgerichts, dass der Steuerberater und seine Steuerfachgehilfin bei der Erstellung der Steuererklärung der Kläger leichtfertig gehandelt haben, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ob eine Leichtfertigkeit i.S. des § 378 AO vorliegt, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die hierzu getroffenen Feststellungen des FG hinsichtlich des subjektiven Tatbestands können in der Revisionsinstanz grundsätzlich nur darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff des leichtfertigen Handelns richtig erkannt wurde und ob die Würdigung der Verhältnisse hinsichtlich dieses individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht.

Das Finanzgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es für ein leichtfertiges Handeln eines Steuerberaters ausreicht, wenn dieser aufgrund der von seinem Mandanten überlassenen Unterlagen – im vorliegenden Fall durch den Zusatz auf der Verlustbescheinigung der Laborgemeinschaft – ausdrücklich auf eine mögliche Fehlerquelle bei der Gewinnermittlung hingewiesen wird und trotz dieses Hinweises die Arbeit seiner noch relativ jungen Buchhaltungskraft in diesem Punkt nicht überprüft. Auf dieser Grundlage konnte das Finanzgericht die festgestellten Tatsachen dahin würdigen, dass ein die Leichtfertigkeit begründender Sorgfaltspflichtverstoß gegeben war. An diese Feststellungen ist der Bundesfinanzhof gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Gleiches gilt für die Feststellung des FG, dass auch die Steuerfachangestellte des Steuerberaters leichtfertig gehandelt habe, da sie aufgrund der bestehenden Unklarheiten bei dem Steuerberater hätte nachfragen müssen, ob der auf dem Schreiben der Laborgemeinschaft ausgewiesene Verlust bei der Gewinnermittlung des Klägers zu berücksichtigen ist.

Das leichtfertige Handeln des Steuerberaters und dessen Steuerfachgehilfin ist dem Kläger weder nach strafrechtlichen noch nach steuerrechtlichen Grundsätzen zuzurechnen.

Die Frage, ob eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, beantwortet sich allein nach den persönlichen Fähigkeiten des Täters. Der Schuldvorwurf ist danach rein subjektiv geprägt und nicht übertragbar. Folglich scheidet eine Zurechnung des Verschuldens des Steuerberaters nach dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht aus.

Das leichtfertige Handeln des Steuerberaters kann dem Kläger auch nicht nach steuerrechtlichen Grundsätzen zugerechnet werden, da bei der Anwendung des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO die Frage, ob der subjektive Tatbestand des § 378 AO erfüllt ist, allein nach den materiell-rechtlichen Bestimmungen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts zu entscheiden ist, die eine Zurechnung ausschließen.

Steuerrechtlich zugerechnet werden kann ein Verschulden nur dann, wenn es sich auf eine Norm des Steuerrechts, wie z.B. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO und – ausdrücklich geregelt in – § 110 Abs. 1 Satz 2 AO, § 152 Abs. 1 Satz 3 AO bezieht, nicht jedoch, wenn das Verschulden Voraussetzung für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit ist.

Die gegenteilige Auffassung, nach der dem Steuerpflichtigen bei der Anwendung des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO das Verschulden seines Steuerberaters jedenfalls nach steuerrechtlichen Grundsätzen zugerechnet werden soll, findet im Gesetzeswortlaut keine Stütze und ist mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Anforderungen an die Bestimmtheit von Eingriffsrecht nicht zu vereinbaren.

Dies hat aufgrund der grundsätzlichen Bindung des Richters an das Gesetz zur Konsequenz, dass die bei der Erstellung der Steuererklärungen häufig zwangsläufig notwendige Aufgabenteilung zwischen Steuerpflichtigem und steuerlichem Berater dazu führen kann, dass die Festsetzungsfrist bei objektiv eindeutig unrichtigen Angaben wie üblich abläuft, selbst wenn sich auch in diesem Fall der Ermittlungsaufwand der Finanzbehörden erhöht.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.10.2013 – VIII R 27/10