Umsätze, die mit einer sog. “Coaster-Bahn” erbracht werden, sind umsatzsteuerrechtlich keine Beförderungsleistungen und unterliegen daher auch nicht dem ermäßigten Steuersatz, sondern dem allgemeinen Steuersatz.
Bei einer sog. “Coaster-Bahn” fahren die Kunden auf schienengebundenen Schlitten zu Tal, wobei diese in dem jetzt vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall eine Fahrstrecke von 2,9 km bei einem Höhenunterschied von ca. 400 m zurücklegten. Die Bergstation als Startpunkt der ganzjährig betriebenen “Coaster-Bahn” konnten die Kunden mit der ebenfalls von der Klägerin betriebenen Sesselbahn erreichen.
Die Klägerin war im Unterschied zum Finanzamt der Meinung, es handele sich bei dem Betrieb der “Coaster-Bahn” um eine schienengebundene Personenbeförderung nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr 2005 geltenden Fassung, für die anstelle des seinerzeit geltenden Regelsteuersatzes von 16 % der ermäßigte Steuersatz von 7 % anwendbar sei.
Der Bundesfinanzhof bestätigte demgegenüber die Vorentscheidung, wonach die Klägerin lediglich den Fahrgästen ein Beförderungsmittel überlassen, aber nicht selbst eine Personenbeförderungsleistung erbracht habe.
Nach § 12 Abs. 1 UStG betrug die Steuer für jeden steuerpflichtigen Umsatz 16 % der Bemessungsgrundlage (allgemeiner Steuersatz).
Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG ermäßigte sich die Steuer auf 7 % u.a. für “die Beförderungen von Personen im Schienenbahnverkehr mit Ausnahme der Bergbahnen, … wenn die Beförderungsstrecke nicht mehr als 50 km beträgt.”
§ 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG beruht auf Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern. Danach sind die Mitgliedstaaten ermächtigt, einen ermäßigten Steuersatz auf die “Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks” anzuwenden.
Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG gibt den Mitgliedstaaten lediglich einen Rahmen vor, den diese nicht überschreiten dürfen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist auch eine selektive Anwendung der Ermächtigung zur Einführung eines ermäßigten Steuersatzes erlaubt, wenn die nationale Regelung insoweit – wie hier mit der Beschränkung der Ermäßigung auf kurze Strecken der Personenbeförderung – den in der Richtlinie vorgegebenen Rahmen nicht überschreitet. Ferner ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu beachten, dass die Bestimmungen zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes als Ausnahmeregelung eng auszulegen sind.
Die vom Finanzgericht vorgenommene Würdigung, wonach die von der Klägerin mit der Sesselbahn und die mit der “Coaster-Bahn” erbrachten Leistungen umsatzsteuerrechtlich als jeweils eigenständige Leistungen anzusehen sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die erforderliche Gesamtbetrachtung aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers zu der Frage, ob mehrere zusammenhängende Leistungen als eine einheitliche Leistung zu behandeln sind, ist im Wesentlichen das Ergebnis der tatsächlichen Würdigung durch das Finanzgericht, die den Bundesfinanzhof grundsätzlich gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindet. Gründe gegen die insoweit vorgenommene Würdigung des Finanzgerichts sind von der Klägerin nicht vorgebracht worden; das vom Finanzgericht gefundene Ergebnis wird vielmehr von den Beteiligten geteilt.
Der Bundesfinanzhof ist in der vorliegenden Entscheidung auch der Auffassung des Finanzgerichts gefolgt, dass die Klägerin mit dem Betrieb ihrer “Coaster-Bahn” keine Beförderungsleistung i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG erbracht, sondern lediglich Schlitten als Beförderungsmittel überlassen hat, so dass für die entsprechenden Umsätze der allgemeine Steuersatz gilt.
§ 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG setzt eine auf die räumliche Fortbewegung von Personen gerichtete Leistung (Beförderungsleistung) voraus.
Der Begriff der Beförderung ist erfüllt, wenn eine der Raumüberwindung dienende Tätigkeit entfaltet wird. Die Art des Beförderungsmittels ist nicht von Belang.
Der Bundesfinanzhof hat in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass einer Beförderungsleistung seitens der Beförderten ein passives Element zugrunde liege. Besorge der Kunde die Beförderung hingegen selbst, spreche dies gegen eine Beförderungsleistung des Unternehmers. Ferner hat der Bundesfinanzhof erneut klargestellt, dass es der Beurteilung als Beförderungsleistung nicht entgegensteht, wenn das Motiv für die Inanspruchnahme der Leistung nicht in der wirtschaftlichen Nutzung einer Beförderung zu sehen ist, sondern in der sportlichen Betätigung oder in anderen Gründen der Freizeitgestaltung oder des Tourismus.
Das Finanzgericht hat im Streitfall ausgehend von diesen Grundsätzen zutreffend maßgeblich darauf abgestellt, dass die Klägerin bzw. ihr Personal den Fahrtkunden die Schlitten jeweils zur Nutzung überlassen hat. Denn die Klägerin hat – vergleichbar dem Sachverhalt, der dem Bundesfinanzhof bei seiner Entscheidung zur Nutzung der Draisinen zugrunde lag – im Streitfall lediglich die schienengebundenen Schlitten zur Verfügung gestellt. Die Fahrtkunden haben diese anschließend jeweils mittels ihres eigenen Körpergewichts zu Tal gebracht und konnten dabei die Fahrgeschwindigkeit selbst bestimmen.
Der Bundesfinanzhof folgte bei deiner Entscheidung nicht der Ansicht der Klägerin, im Streitfall sei ein Beförderungsvertrag in Form eines Werkvertrags vereinbart worden, weil sie verpflichtet gewesen sei, den Fahrgast körperlich unversehrt den Berg hinab an den Bestimmungsort zu bringen. Denn die Kunden haben die Schlitten selbst den Berg hinab befördert. Dass die Klägerin dabei die körperliche Unversehrtheit der Fahrgäste zu gewährleisten hatte, ist lediglich eine vertragliche Nebenpflicht und gibt ihrer Leistung nicht das Gepräge.
Auch das Vorbringen der Klägerin, wonach die Bezeichnung “Coasterbeförderung” in ihren dem Finanzgericht vorgelegten “Beförderungsbestimmungen” vom 24. November 2005 indiziere, dass der Kunde keinen Schlitten miete, sondern eine Beförderung erwarte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass im Streitjahr 2005 auch vor November 2005 von der Klägerin erbrachte Leistungen zu beurteilen sind, hängt die umsatzsteuerrechtliche Qualifikation ihrer Leistungen nicht davon ab, wie die Klägerin diese einseitig selbst bezeichnet hat.
Soweit die Klägerin einen Verstoß des Finanzgerichts gegen Naturgesetze rügt, weil die Schlitten sich lediglich aufgrund der Ausnutzung des Gefälles und der Erdanziehungskraft bewegt hätten, lässt sie außer Betracht, dass das entscheidende Element für die Fortbewegung der Schlitten zu Tal das Körpergewicht der Fahrtkunden selbst darstellt.
Der Hinweis der Klägerin auf den Umstand, die Fahrtkunden seien nicht in der Lage gewesen, die Schlitten selbst von den Schienen zu entfernen, führt gleichfalls zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Bundesfinanzhof hat eine entsprechende Schienenbindung bei einer Draisine zutreffend ebenfalls nicht für entscheidungserheblich erachtet.
Auch der Einwand der Klägerin, wonach heutzutage aufgrund der technologischen Entwicklung auch mittels unbemannter U-Bahnen, Flughafenshuttle und Straßenbahnen Beförderungsleistungen erbracht werden, ist im Streitfall unbeachtlich. Denn entscheidend ist, dass die Schlitten den Fahrtkunden zur Nutzung überlassen wurden.
Ferner kommt es auch nicht darauf an, ob im Streitfall ein “Schienenbahnverkehr” i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG vorliegt, da es sich – wie dargestellt – schon nicht um eine Beförderungsleistung im Sinne dieser Vorschrift handelt.
Soweit die Klägerin schließlich beanstandet, das Finanzgericht habe unter Bezugnahme auf den von der Klägerin erstellten Werbeflyer auch den besonderen Erlebniswert einer Schlittenfahrt im Vergleich zu einer Talfahrt mit der Sesselbahn in die Gesamtwürdigung einbezogen, fällt dies im Hinblick auf die zutreffende Abgrenzung einer Beförderung zu einer Gebrauchsüberlassung durch das Finanzgericht nicht entscheidend ins Gewicht.
Aus den Beschlüssen des Bundesfinanzhofs vom 10.07.2012 (BFH, Beschlüsse vom 10.07.2012 – XI R 22/10 und XI R 39/10)), mit denen der Bundesfinanzhof dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, ob Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang H Kategorie 5 der Richtlinie 77/388/EWG und Art. 98 Abs. 1 i.V.m. Anhang III Kategorie 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem unter Beachtung des Neutralitätsprinzips einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für die Beförderung von Personen im Verkehr mit Taxen im Nahverkehr den ermäßigten Umsatzsteuersatz vorsieht, wohingegen für die Beförderung von Personen mit sog. Mietwagen im Nahverkehr der Regelsteuersatz gilt, ergeben sich für die Begünstigung im Streitfall keine anderen Gesichtspunkte.
Demnach konnte im Ergebnis offenbleiben, ob es sich bei der von der Klägerin betriebenen “Coaster-Bahn” außerdem um eine Bergbahn handelt, die kraft Gesetzes im Streitjahr 2005 vom Anwendungsbereich des ermäßigten Steuersatzes ausgeschlossen war.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.02.2013 – XI R 12/11