Ist die Haltung von 9 Papageienvögeln in einem reinen Wohngebiet zulässig? Über diese Frage hatte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu entscheiden.
Das Verwaltungsgericht hatte den Antrag einer Tierhalterin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Hinblick auf eine Untersagung der Haltung von mehr als zwei Papageienvögeln zurückgewiesen, da die materielle Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin ausgehe. Die von der Antragstellerin ausgeübte Nutzung ihres Wohnhauses zur Haltung von neun Papageien (Kakadus) sei nicht mehr von der bauaufsichtlichen Genehmigung zur Wohnnutzung erfasst, weil sie bauplanungsrechtlich keine der Wohnnutzung zu- und untergeordnete Nebennutzung darstelle. Die Nutzung des Wohnhauses der Antragstellerin zur Kleintierhaltung sei materiell baurechtswidrig, da sie gegen Vorschriften des Bauplanungsrechts verstoße. Der Bebauungsplan weise den Bereich, in dem auch das Grundstück der Antragstellerin liege, als reines Wohngebiet im Sinne des § 3 BauNVO aus. Die Nutzung des Wohnhauses zur Haltung von neun Papageienvögeln in dem reinen Wohngebiet sei nicht gemäß § 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 BauNVO zulässig, weil sie nicht als üblich anzusehen sei. Die Ordnungsverfügung, mit der der Antragstellerin die Haltung von mehr als zwei Papageienvögeln untersagt werde, sei auch frei von Ermessensfehlern. Sie sei insbesondere verhältnismäßig. Die Zwangsgeldandrohung sei ebenfalls offensichtlich rechtmäßig. Hinsichtlich des angegriffenen Gebührenbescheids sei der Antrag schon deshalb erfolglos, weil kein vorheriger Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Antragsgegnerin gestellt worden sei.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das Land NRW zurückgewiesen.
Die Vorschrift des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW ermächtigt die Bauaufsichtsbehörde grundsätzlich dazu, die Nutzung von Anlagen und Einrichtungen zur Kleintierhaltung einzuschränken, wenn und soweit die untersagte Nutzung baurechtswidrig ist.
Es ist unstreitig, dass der Antragstellerin keine Baugenehmigung zur Nutzung (einzelner Räumlichkeiten) ihres Wohnhauses zur Haltung von mehr als zwei Papageienvögeln erteilt worden ist. Hiervon ausgehend ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, die von der Antragstellerin (in einem Zimmer im Erdgeschoss) ausgeübte Nutzung ihres Wohnhauses zur Kleintierhaltung sei auch nicht mehr von der bauaufsichtlichen Genehmigung zur Wohnnutzung umfasst, weil sie keine der Wohnnutzung zu- und untergeordnete Nebennutzung darstelle, ebenfalls nicht zu beanstanden. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, geht die von der Antragstellerin ausgeübte Nutzung eines Zimmers zur Haltung von neun Papageienvögeln ‑ unabhängig von dem Verhältnis der jeweiligen Flächenanteile an der Gesamtfläche des Hauses ‑ über eine als sozialadäquat und dem Wohnen untergeordnete Haustierhaltung im Sinne einer typischen Freizeitbetätigung hinaus. Die für eine annähernd artgerechte Haltung von Papageienvögeln dieser Art und in dieser Anzahl mindestens erforderliche Nutzung eines ganzen Raums zur Unterbringung der Tiere entziehe diesem Raum gänzlich den eigentlichen Wohnzweck und sei von diesem mithin nicht mehr erfasst. Die von der Antragstellerin angeführte Parallele zwischen der Nutzung eines Zimmers für ihre Vogelhaltung und der Nutzung eines Zimmers als Computerzimmer oder eines Zimmers für Sportgeräte, die ersichtlich keiner gesonderten Genehmigung bedürften, kann schon mangels Vergleichbarkeit der Nutzungen nicht gezogen werden. Während die von der Beschwerde angeführten Nutzungsarten ohne Weiteres innerhalb der Variationsbreite einer Baugenehmigung für eine Wohnnutzung liegen, geht die Haltung von neun Papageien über diese Limitierung typischerweise deutlich hinaus.
In einem ‑ wie hier ‑ reinen Wohngebiet im Sinne des § 3 BauNVO sind gemäß § 14 Abs. 1 BauNVO auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen allgemein zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Zu diesen untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen gehören auch solche für die Kleintierhaltung. Allerdings ermöglicht die letztgenannte Vorschrift als Annex zum Wohnen eine Kleintierhaltung nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich ist und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nach Art und Anzahl der Tiere nicht sprengt.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht korrekt angenommen, die von der Antragstellerin ausgeübte Haltung von neun Papageienvögeln überschreite nach Art und Umfang das Maß dessen, was in einem reinen Wohngebiet auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Eigenart des hier maßgeblichen Baugebiets üblich sei. Nach dem im Eilverfahren verfügbaren Erkenntnisstand sei eine Nutzung zur Haltung von Vögeln vergleichbarer Art in dem hier vorliegenden reinen Wohngebiet nicht vorhanden. Es existiere in diesem Gebiet auch keine Tierhaltung vergleichbaren Umfangs oder Störpotentials. Auf die von den Beigeladenen und der Antragstellerin jeweils durchgeführten privaten Lärmpegelmessungen komme es für die Beurteilung der Zulässigkeit dieser Tierhaltung im Wohngebiet nicht entscheidend an, weil die Vogelhaltung schon nach Art und Umfang nicht üblich sei und zudem das Störpotential durch die zahlreichen Beschwerden der Nachbarn dokumentiert sei.
Für die Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte Kleintierhaltung in einem reinen Wohngebiet im vorgenannten Sinne üblich ist, ist regelmäßig eine typisierende Betrachtung maßgeblich, die neben der Art der in den Nebenanlagen gehaltenen Tiere auch deren Zahl und das damit jeweils verbundene Störpotential berücksichtigt. Im Einzelfall kann unter Umständen die Üblichkeit der Kleintierhaltung abweichend von der typisierenden Betrachtung bejaht werden, wenn eine konkrete Betrachtung ergibt, dass in der Nachbarschaft vergleichbare Nutzungen vorhanden sind und sich die Bewohner des Baugebiets damit abgefunden haben.
Dass hier ein solcher Fall gegeben ist, hat die Antragstellerin mit ihrem Beschwerdevorbringen nicht dargelegt. Soweit sie vorträgt, die Haltung von Tieren in dem hier relevanten Wohngebiet stelle keine Besonderheit dar, vielmehr gehe auch von den Kleintieren in der Nachbarschaft ein erhöhtes Störpotential aus, ergibt sich aus diesem pauschalen Vortrag nicht, dass in der Umgebung des streitbefangenen Grundstücks üblicherweise mehr als zwei Papageienvögeln oder andere vergleichbare Kleintiere gehalten werden, deren Störpotential dem von mehreren Papageienvögeln entspricht. Das weitergehende Vorbringen, eine Vielzahl der Nachbarn halte Hunde, die von morgens 7.00 Uhr bis abends nach 22.00 Uhr zu unterschiedlichsten Zeiten bellten, erweist sich als pauschale Behauptung ohne konkreten Bezug zur Situation im Baugebiet „B. de I. “ und ist schon deshalb nicht geeignet, die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Darüber hinaus ist eine Hundehaltung, sofern sie nicht eine Vielzahl von Hunden umfasst, regelmäßig genauso als ortsüblich anzusehen wie eine entsprechend eingeschränkte Papageienhaltung.
Der Vortrag, es gebe in der näheren Umgebung eine Vielzahl von Wildgänsen, die frei lebten und auch nachts über das Wohngebiet flögen und erhebliche Geräusche verursachten, führt dann gleichfalls zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Geräusche „nicht domestizierter Vögel“ sind ebenso wie andere Lautäußerungen der Natur oder auch Verkehrslärm ortsüblich und schon deshalb nicht mit den Emissionen der Papageienvögel zu vergleichen.
Das Vorbringen der Antragstellerin, in der unmittelbaren Umgebung ihres Wohnhauses (ca. 200 m) werde zudem eine Gänsezucht betrieben, von der ebenfalls erhebliche Lärmbelästigungen ausgingen, vermag schon angesichts der Lage der Gänsezucht außerhalb des hier maßgeblichen Plangebiets eine Üblichkeit der Haltung von neun Papageienvögeln in dem reinen Wohngebiet nicht zu begründen.
Der Einwand der Antragstellerin, die Lautäußerungen der Papageien wiesen weder ein erhöhtes Störpotential auf noch sei mit ihnen ein erhebliches, überdurchschnittlich hohes Geräuschverhalten verbunden, überzeugt angesichts des nachgewiesenermaßen allgemein überdurchschnittlich hohen Geräuschpotentials von Kakadus mit ihrem spezifischen (Ruf-)Verhalten („Sie haben eine sehr laute Stimme, mit der sie sehr unterschiedliche Geräusche (z.B. Pfeifen, Kreischen und Krächzen) erzeugen können. Ebenso können sie mit ihrer Stimme Geräusche imitieren (…)“ sowie mit Blick auf die in den Verwaltungsvorgängen sowie der Gerichtsakte dokumentierten Nachbarbeschwerden nicht. Die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Rüge, das Verwaltungsgericht habe lediglich die von den Beigeladenen im Rahmen eines „Störungsprotokolls“ subjektiv angefertigten Aufzeichnungen berücksichtigt und nicht etwa neutral angefertigte Messungen des Lärmpegels berücksichtigt, führt schon vor diesem Hintergrund zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Soweit sich die Antragstellerin in diesem Zusammenhang auf eine von ihr in Auftrag gegebene Schallpegelmessung vom 31.01.2006 (19.20 Uhr bis 20.00 Uhr) beruft, vermag dies die Rechtmäßigkeit der verfügten Nutzungsuntersagung ebenfalls nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Zwar gelangt diese Messung zu dem Ergebnis, dass durch die Laute der Vögel „der Grundgeräuschpegel eines normal geführten Gesprächs nicht erreicht wurde“ und zwischen „leiser Radiomusik“ und „normalem Gespräch“ (maximaler Pegel: 53 dB) einzuordnen sei. Jedoch ist nicht ansatzweise erkennbar und auch nicht von der Antragstellerin substantiiert dargelegt, ob und inwieweit eine Schallpegelmessung aus dem Jahr 2006 Aussagekraft für das Störpotential der von der Antragstellerin aktuell gehaltenen neun Kakadus besitzen kann, zumal insbesondere weder Anzahl noch Art der von der Schallpegelmessung damals betroffenen Vögel aus der diesbezüglichen Aufzeichnung ersichtlich sind. Zweifel an der Validität der Schallpegelmessung ergeben sich zudem mit Blick auf das begrenzte Zeitfenster von 40 Minuten (zwischen 19.20 Uhr bis 20.00 Uhr an einem einzigen Tag) und die Umstände der Messung (bei geschlossenem Fenster und Jalousie bzw. bei geöffnetem Fenster und leicht geöffneter Jalousie „auf Ritze“). Anhaltspunkte für das Geräuschverhalten der Papageienvögel über einen längeren Zeitraum und bei geöffnetem Fenster und Jalousie – wie auf den Lichtbildern dokumentiert – lassen sich hieraus nicht im Ansatz gewinnen. Vor diesem Hintergrund sind auch die weiteren Ausführungen der Antragstellerin zum Zustandekommen und zur Höhe der Messwerte ersichtlich zu unsubstantiiert, um eine Änderung der angefochtenen Entscheidung begründen zu können.
Der Einwand der Antragstellerin, sie habe die Aussagen mehrerer Bauämter eingeholt, in denen ihr bestätigt werde, dass gegen die Haltung von mehr als zwei Papageien in einem Wohngebiet keine Bedenken bestünden, ist rechtlich schon deshalb nicht erheblich, weil es – wie dargelegt – im Wesentlichen auf die Ortsüblichkeit in dem jeweiligen konkreten Gebiet und den Einzelfall ankommt, und nicht auf die abstrakte Rechtsmeinung am Verfahren nicht beteiligter Bauämter. Gleiches gilt, soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, „Papageienbesitzer aus verschiedenen Städten, welche allesamt in reinen Wohngebieten lebten, (hätten) niemals Probleme wegen der Haltung der Vögel (…)“.
Der Hinweis der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe sich bei seiner Entscheidung auf Urteile gestützt, die die Außenhaltung von Tieren beträfen, und schlichtweg nicht berücksichtigt, dass sie ihre Papageien überwiegend im Haus halte, ist angesichts der dezidierten Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit der Frage der materiellen Baurechtswidrigkeit der Nutzung des Wohnhauses der Antragstellerin zur Papageienhaltung nicht zielführend. Dass das Verwaltungsgericht durch die von ihm angeführten Urteile, die überwiegend die Außenhaltung von Tieren betreffen mögen, den Prüfungsmaßstab verfehlt haben könnte, ist weder ersichtlich noch substantiiert dargetan. Auch insoweit gilt, dass das Verwaltungsgericht das Störpotential der Tiere im vorliegenden Einzelfall hinreichend gewürdigt hat. Zudem wird ein einer Außenhaltung vergleichbares Störpotential erreicht, sobald die Antragstellerin die Fenster des Papageienzimmers öffnet.
Schließlich vermag das Beschwerdevorbringen keine Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Nutzungsuntersagung zu begründen. Der Einwand der Antragstellerin, der Antragsgegnerin sei seit Jahren bekannt, dass die Antragstellerin mehr als zwei Papageienvögel in ihrem Haus halte und habe dies nicht untersagt, sondern lediglich mit Bescheid vom 20.10.2004 eine Auflage erteilt, zu welchen Zeiten die Vögel im Sommer im Garten gehalten bzw. die Fenster des Vogelzimmers geöffnet werden dürften, ist mit Blick auf die mit Ordnungsverfügung vom 27. Oktober 2005 ausgesprochene und zwischenzeitlich bestandskräftig gewordene Nutzungsuntersagung hinsichtlich der Haltung exotischer Vögel (Papageien, Kakadus und/oder Sittiche) widerlegt. Zudem hat die Antragstellerin nach ihrem Wegzug im Jahr 2006/2007 erst im Jahre 2012 (wieder) das betreffende Haus bezogen und die Vogelhaltung auf dem streitgegenständlichen Grundstück (wieder) aufgenommen. Hierauf hat die Antragsgegnerin unmittelbar nach Kenntnisnahme von der Nutzung reagiert.
Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Nutzungsuntersagung besteht – wie auch vom Verwaltungsgericht angenommen ‑ in der andernfalls drohenden weiteren Verfestigung einer ungenehmigten (und auch nicht genehmigungsfähigen) Nutzung zu Zwecken einer gebietsuntypischen Tierhaltung in einem von Wohnnutzung geprägten und im Bebauungsplan als reines Wohngebiet festgesetzten Gebiet. Eine Fortsetzung dieser Nutzung bis zum Eintritt der Bestandskraft der Nutzungsuntersagungsverfügung, ist geeignet, eine negative Vorbildwirkung für andere auszuüben, die es zu unterbinden gilt. Bereits vor diesem Hintergrund geht der Einwand der Antragstellerin ins Leere, ein sofortiger Vollzug der Nutzungsuntersagung sei derzeit aus öffentlich-rechtlicher Sicht nicht notwendig, da die Vögel aufgrund der Witterung in den nächsten sechs Monaten nur noch im Hause gehalten würden. Soweit die Antragstellerin hiermit auf ein von ihren Papageienvögeln in dieser Zeit ausgehendes vermindertes Störpotential abzielt, ist das Vorbringen unerheblich, weil die materiell baurechtswidrige Nutzung des Zimmers hierdurch nicht beendet wird, zumal das Fenster des Vogelzimmers – wie auf den in der Gerichtsakte enthaltenen Lichtbildern dokumentiert – auch bei der derzeitigen Witterung geöffnet werden kann (und muss), so dass für die Nachbarn (störende) Lärmemissionen auch in diesem Fall entstehen.
OVG NRW, Beschluss vom 08.01.2014 – 2 B 1196/13