Das Finanzgericht Köln hatte über die Frage zu entscheiden, ob eine einem Arbeitnehmer zugeflossene Zahlung als Arbeitslohn steuerbar ist respektive inwieweit die in Folgejahren erfolgte Erstattung sich einkommensmindernd auswirkt.
Der Kläger war bis zum 30.10.2004 bei der H-Q NV & Co. KG (KG) angestellt. Den Teilbetrieb, in dem der Kläger beschäftigt war, übertrug die KG auf die H … GmbH (GmbH). Das gemäß § 613a BGB auf die GmbH übergehende Arbeitsverhältnis wurde zunächst zwischen dem Kläger und der GmbH fortgesetzt.
Mit Schreiben vom 17.11.2004 kündigte die GmbH das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Wirkung zum 30.6.2005 und sagte dem Kläger eine Abfindung zu. Als die GmbH jedoch am ….2005 einen Insolvenzantrag stellte, widersprach der Kläger mit Schreiben vom 14.06.2005 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die GmbH.
Im weiteren Verlauf stritt der Kläger mit der KG über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 01.11.2004 hinaus und verlangte Zahlung von Lohn für die Monate ab Juli 2005. Das Landesarbeitsgericht verurteilte unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Arbeitsgerichts die KG mit Teilurteil vom 01.08.2007 zur Zahlung von Lohn für die Monate Juli 2005 bis November 2006 zuzüglich einer Sondervergütung für 2005.
Für die Folgemonate (Dezember 2006 bis August 2007 sowie Sondervergütung 2006) folgte das Arbeitsgericht mit Urteil vom 19.10.2007 dem Landesarbeitsgericht und verurteilte die KG entsprechend zur Zahlung rückständigen Gehalts.
Entsprechende Auszahlungen und Lohnabrechnungen wurden in 2007 durchgeführt. Im Rahmen ihrer Einkommensteuerveranlagung erklärten die Kläger daher Einnahmen i.H.v. 144.741,80 €, wovon ein Betrag i.H.v. 104.347,40 € auf Vorjahre (2005 und 2006) entfiel. Mit Bescheid vom 21.02.2008 und nach § 165 Abs. 2 AO geändertem Bescheid vom 29.01.2009 wurden die Kläger insoweit erklärungsgemäß veranlagt.
Auf die Revision der KG hob aber das Bundesarbeitsgericht durch Teilurteil vom 22.04.2010 das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts vom 01.08.2007 auf. Der Kläger habe das ihm grundsätzlich gemäß § 613a Abs. 6 BGB zustehende Widerspruchsrecht verwirkt. Das Arbeitsverhältnis sei mithin wirksam auf die GmbH übergegangen. Der Kläger zahlte daraufhin den im Jahr 2007 erhaltenen Lohn i.H.v. 144.741,80 € an die KG zurück.
Daraufhin beantragten die Kläger mit Schreiben vom 02.07.2010 die Änderung des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2007 unter Reduktion der dort besteuerten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um den zurückgezahlten Betrag i.H.v. 144.741,80 €. Der Beklagte lehnte die Änderung ab und verwies darauf, dass die Rückzahlung von Arbeitslohn im Jahr der Rückzahlung als negative Einnahmen zu berücksichtigen sei.
Nach erfolglosem Vorverfahren verfolgen die Kläger ihr Begehr im Klagewege weiter. Sie meinen, eine Versteuerung in 2007 könne nicht erfolgen. Die von der KG geleisteten Zahlungen seien in Ermangelung eines Dienstverhältnisses kein Arbeitslohn i.S. des § 19 EStG. Der Umstand, dass kein Arbeitsverhältnis vorgelegen habe, sei erst im Jahr des Urteils des Bundesarbeitesgerichts (2010) bekannt geworden, sodass eine Änderung aufgrund von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht komme.
Das Finanzgericht Köln indes erachtete die Klage als unbegründet.
Ein Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Zwar mögen insoweit durch Vorlage des bundesarbeitsgerichtlichen Urteils neue Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO vorliegen, da der Beklagte bis dahin keine Kenntnis von den im Urteil genannten Tatsachen hatte; allerdings führt diese neue Erkenntnis nicht zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung.
Die im Jahr 2007 zugeflossenen Gelder sind als Arbeitslohn gemäß § 19 EStG steuerbar und steuerpflichtig. Entgegen der Auffassung der Kläger setzt § 19 EStG nicht zwingend das zivilrechtlich wirksame Bestehen eines Dienstverhältnisses zwischen dem Zahlenden und dem Zahlungsempfänger voraus.
Als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sind gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG insbesondere Gehälter und Löhne für eine Beschäftigung im privaten Dienst steuerbar. Nach teilweise vertretener Auffassung setzt die Steuerbarkeit eines Zuflusses aufgrund dieser Vorschrift mithin schon nach dem Wortlaut der Norm das Bestehen eines Dienstverhältnisses voraus. Der Zufluss muss nämlich, um als Gehalt oder Lohn qualifiziert zu werden, „für eine Beschäftigung im … privaten Dienst“ gewährt werden. Indessen kann aus diesem Wortlaut nicht geschlossen werden, dass hiermit zwangsläufig ein zivilrechtlich wirksames Beschäftigungsverhältnis Tatbestandsmerkmal ist.
Das Ertragsteuerrecht als eigenständige und gleichrangige Regelungsmaterie bedient sich vielfach der aus anderen Rechtsgebieten – insbesondere dem Zivilrecht – entlehnten Rechtsbegriffe und -terminologien. Aus dieser Verwendung gleicher Begriffe kann indessen nicht ohne Weiteres abgeleitet werden, dass die Wertungen und Voraussetzungen einer anderen Regelungsmaterie zwingende Tatbestandsmerkmale der steuerlichen Eingriffsnorm sein sollen.
Zur Erlangung der durch Art. 3 Abs. 1 GG gebotenen Gleichmäßigkeit der Besteuerung sind steuerliche Tatbestandsmerkmale – auch wenn sie anderen Teilrechtsordnungen entlehnt sind – nach dem steuerlichen Bedeutungszusammenhang und dem jeweiligen Gesetzeszweck auszulegen. Steuergesetze bestimmen nämlich den Steuergegenstand häufig durch Bezeichnung der zivilrechtlichen Rechtsformen und -gestaltungen. Gleichwohl knüpft der steuerliche Tatbestand an wirtschaftliche Vorgänge, Zustände und Veranstaltungen an und beschreibt diese lediglich mit den zivilrechtlichen Begriffen. Unter Anwendung der sogenannten wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist zu ergründen, ob der verwirklichte Lebenssachverhalt zu einem (wirtschaftlichen) Erfolg führt, der nach der steuerrechtlichen Vorschrift eine Belastung rechtfertigt.
Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ist § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG dahingehend auszulegen, dass ein Dienstverhältnis i.S. des § 611 BGB nicht zwingende Voraussetzung der Steuerbarkeit eines als Arbeitslohn gewollten Zuflusses ist. Gegenstand der Steuerbarkeit nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist der – regelmäßig durch ein normativ bestehendes Dienstverhältnis i.S. des § 611 BGB geprägte – Austausch einer Dienstleistung und dem hierfür geschuldeten Entgelt. Keineswegs verweist aber § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG explizit auf §§ 611 ff. BGB. Der Wortlaut stellt lediglich ein wechselbezügliches Verhältnis zwischen der Zahlung und einer Beschäftigung im Dienst her. Insoweit legt § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG den Arbeitsvertrag i.S. des BGB als Idealtypus einer Beschäftigung im privaten Dienst nahe. Nach dem Sinn und Zweck des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG müssen aber alle auf Leistungsaustausch gerichteten Beziehungen – ungeachtet der Wirksamkeit des Vertrages oder des Vertragstypus – hierunter fallen, die einen gleichgelagerten wirtschaftlichen Erfolg zeitigen wie ein Arbeitsverhältnis. Für die Anwendbarkeit des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG genügt daher ein sogenanntes faktisches Dienstverhältnis.
Vor diesem Hintergrund sind die im Jahr 2007 von der KG erhaltenen Zahlungen als Gehalt für eine Beschäftigung im privaten Dienst i.S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG anzusehen. Der Kläger wollte das Arbeitsverhältnis mit der KG über den Zeitpunkt des Betriebsübergangs hinaus fortsetzen. Zu diesem Zweck hat er dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die GmbH widersprochen und seine Arbeitskraft angedient. Die KG hielt sich – infolge des landesarbeitsgerichtlichen Teilurteils vom 1.8.2007 – für verpflichtet, eine entsprechende Vergütung zu zahlen. Dieser funktional synallagmatische Leistungsaustausch zwischen dem Kläger und der KG als vermeintlicher Arbeitgeberin und der dadurch in Person des Klägers realisierte Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ist Inbegriff dessen, was der Gesetzgeber mit der § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG der sachlichen Steuerpflicht unterwerfen wollte.
Darüber hinaus ergibt sich die Steuerbarkeit der bezogenen Zahlung auch aus der Anwendung des § 41 Abs. 1 Satz 1 AO. Als besondere Ausprägung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise regelt § 41 Abs. 1 Satz 1 AO explizit, dass steuerliche Rechtsfolgen ungeachtet der zivilrechtlichen Wirksamkeit der zugrundeliegenden Rechtsgeschäfte eintreten, soweit und solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis eintreten lassen. Als unwirksame Rechtsgeschäfte sind von § 41 Abs. 1 Satz 1 AO nichtige Geschäfte, relative unwirksame Geschäfte, schwebend unwirksame Geschäfte und sonstige unwirksame Geschäfte umfasst, wobei sich die Unwirksamkeit stets durch das Fehlen von zivilrechtlichen Rechtsfolgen beschreiben lässt.
Die von dem Kläger in seinem Schreiben vom 25.06.2005 abgegebene Widerspruchserklärung gemäß § 613a Abs. 6 BGB hat – ihre Wirksamkeit unterstellt – zur Folge, dass das ursprünglich zwischen dem Kläger und der KG bestehende Arbeitsverhältnis nicht infolge des Betriebsübergangs mit der GmbH fortgesetzt worden wäre. In diesem Fall hätte zwischen der KG und dem Kläger auch im Streitjahr ein zivilrechtlich wirksamer Arbeitsvertrag bestanden, der auch nach Auffassung der Kläger Lohnzufluss zur Folge gehabt hätte; widrigenfalls hätten sie keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erklärt.
Die vom Kläger abgegebene Widerspruchserklärung zeitigte aber – so die Erkenntnis des Bundesarbeitsgerichts im Teilurteil vom 22.04.2010 – keinerlei Rechtsfolgen, da der Kläger das ihm in § 613a Abs. 6 BGB eingeräumte Widerspruchsrecht verwirkt hatte. Diese Willenserklärung war mithin rechtsfolgenlos, was den Anwendungsbereich des § 41 Abs. 1 Satz 1 AO eröffnet. Soweit und solange die Beteiligten die Rechtsfolgen – namentlich den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zwischen der KG und dem Kläger – zwischen sich bestehen ließen, ist die Unwirksamkeit des Widerspruchs unbeachtlich; der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses wird für Zwecke des Steuerrechts insoweit unterstellt.
Auch eine Änderung des Einkommensteuerbescheides aufgrund von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kommt nicht in Betracht. Entgegen der anfänglich vom Kläger vertretenen Auffassung ist die Rückgewähr erhaltener Lohnzahlung kein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift. Vielmehr ist die Rückzahlung im Jahr des Abflusses als negative Einnahme in der entsprechenden Einkunftsart zu berücksichtigen.
Finanzgericht Köln, Urteil vom 13.02.2014 – 6 K 2745/10