martina heck

02.05.2016

Akteneinsichtsrecht eines Tierschutzvereins

Eine Aufgabe von Tierschutzvereinen ist es, gegenüber den zuständigen Behören Meldungen bzw. Anzeigen bei einem Verdacht auf Verstösse gegen das Tierschutzgesetz zu erstatten.

Hat in der Folge dann der Tierschutzverein einen Anspruch auf Akteneinsicht in das laufende Verwaltungsverfahren?

Über diese Frage hatte nun das Verwaltungsgericht Münster zu entscheiden.

In dem entschiedenen Fall hatte der klagende Tierschutzverein den Beklagten auf eine nach seiner Auffassung tierschutzwidrige Haltung von Sauen in einem Schweinezuchtbetrieb im Tecklenburger Land hingewiesen und um ein entsprechendes Tätigwerden des Veterinäramts gebeten. Später beantragte er beim Beklagten, ihn am betreffenden Verwaltungsverfahren zu beteiligen und ihm die Einsichtnahme in die Verfahrensakte zu gewähren. Dies lehnte der Beklagte im Wesentlichen mit der Begründung ab: Das Tierschutzrecht räume anerkannten Tierschutzverbänden lediglich ein Klagerecht ein. Ein Anspruch auf Akteneinsicht sei jedoch nicht vorgesehen. Ebenso wenig komme eine Beteiligung am Verwaltungsverfahren in Betracht.

Der Tierschutzverein hat hiergegen Klage erhoben mit der Argumentation, dass, sollte sich die Position des Beklagten durchsetzen, der Gesetzgeber ergänzend tätig werden müsse. Andernfalls würde den Tierschutzverbänden die Möglichkeit genommen, von ihrem Recht zur Erhebung einer Verbandsklage effektiv Gebrauch zu machen, weil sie nicht in der Lage wären, im Vorfeld eines Klageverfahrens an die notwendigen Informationen zu gelangen. Daher seien die maßgeblichen Vorschriften dementsprechend auszulegen.

Das Verwaltungsgericht Münster folgte der Auffassung der Behörde.

Ein Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht ergibt sich nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Münster nicht aus dem TierschutzVMG NRW (Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine).

Das Begehren des Klägers lässt sich weder unmittelbar noch im Wege ergänzender Auslegung noch aus einer analogen Anwendung der Vorschriften des TierschutzVMG NRW ableiten.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes besteht kein Anspruch auf Akteneinsicht oder Information. Nach § 1 TierschutzVMG NRW steht einem anerkannten Tierschutzverein in bestimmten tierschutzrelevanten Verwaltungsverfahren ein Verbandsklagerecht zu, ohne dass dieser eine Verletzung eigener Rechte geltend machen muss. In § 2 TierschutzVMG NRW sind Mitwirkungs- und Informationsrechte des anerkannten Vereins geregelt. Das Gesetz unterscheidet hier zwischen Verfahren, in denen Gelegenheit zur Äußerung sowie zur Einsicht in die tierschutzrelevanten Sachverständigengutachten zu geben ist (§ 2 Abs. 1 TierschutzVMG NRW) und solchen Verfahren, in denen auf Verlangen Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist und in denen auf Antrag über die Anzahl und den Gegenstand der laufenden Verwaltungsverfahren zu informieren ist (§ 2 Abs. 2 und Abs. 5 TierschutzVMG NRW). Die tierschutzrelevanten Verwaltungsverfahren sind hier im Einzelnen benannt, sind jedoch nicht mit der Aufzählung in § 1 Abs. 1 TierschutzVMG NRW identisch. Der Wortlaut des Gesetzes kennt somit Verfahren, in denen ein anerkannter Tierschutzverein klagen kann, aber keine Mitwirkungs- und Informationsrechte hat. Ein solcher Fall ist hier gegeben, da Verfahren nach § 16a TierSchG im Wortlaut des § 2 TierschutzVMG NRW nicht genannt sind.

Die systematische Auslegung bestätigt dies. Bei dem Informationsrecht nach § 2 Abs. 5 TierSchVMG handelt es sich um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung. Das mit dem TierschutzVMG NRW eingeführte Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine auf Landesebene ist eine Ausnahme von dem im deutschen Verwaltungsrozessrecht geltenden Grundsatz, wonach ein Tierschutzverein ohne diese Regelungen in einem Spezialgesetz mangels einer Betroffenheit in eigenen Rechten (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO) nicht klagen könnte.

Dieser prozessrechtlichen Rechtslage entspricht auf verwaltungsverfahrensrechtlicher Ebene, dass ein Tierschutzverein in einem gegen einen Tierhalter geführten Verwaltungsverfahren grundsätzlich nicht Beteiligter im Sinne des § 13 VwVfG NRW ist, sondern nicht beteiligter Dritter. Auf dieser Prämisse baut das TierschutzVMG NRW auf, da ansonsten die § 2 Abs. 1 und 2 TierschutzVMG NRW, die einem anerkannten Tierschutzverein bestimmte Mitwirkungs- und Informationsrechte im Verwaltungsverfahren einräumen, überflüssig wären. Auch der Verweis auf einzelne Regelungen der §§ 28, 29 VwVfG NRW wäre sonst nicht verständlich.

Von der Systematik her ist das TierschutzVMG NRW ein sehr kurzes Regelungswerk für einen klar umgrenzten Rechtsbereich, nämlich die Regelung von Klage- und Beteiligungsrechten von anerkannten Tierschutzverbänden. Es normiert drei Kategorien von Rechtsbehelfen, für die jeweils unterschiedlich abgestufte vorherige Mitwirkungsrechte eingeräumt werden. Diese lassen sich wie folgt darstellen:

  • Bau- und immissionsschutzrechtliche                                                     -> Genehmigungsverfahren Anhörung und Einsicht in Sachverständigengutachten, § 2 Abs. 1 Nr. 2 TierschutzVMG NRW
  • Tierschutzrechtliche Genehmigungs- und Erlaubnisverfahren            -> Information und Anhörung auf Verlangen, § 2 Abs. 2 u. 5 TierschutzVMG NRW
  • Tierschutzrechtliche Eingriffsverfahren i.S.d. § 16a TierSchG            -> kein Beteiligungsrecht geregelt.

Die Verfahren nach § 16a TierSchG stehen damit auf der dritten und untersten Stufe. Für sie ist weder ein Äußerungsrecht noch ein Akteneinsichtsrecht vorgesehen.

Auch ein Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Naturschutzrecht führt nicht weiter. Die einschlägige Vorschrift des § 63 BNatSchG regelt Mitwirkungsrechte von Naturschutzvereinen z.B. in Planfeststellungsverfahren, nämlich Gelegenheit zur Stellungnahme und Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten. Dies mag vergleichbar sein den Mitwirkungsrechten der Tierschutzvereine in bau- und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 TierschutzVMG NRW) nach § 2 Abs. 1 TierschutzVMG NRW. Bei dem hier in Rede stehenden Verfahren nach § 16a TierSchG bestehen diese weitgehenden Mitwirkungsrechte jedoch gerade nicht.

Dieses Verständnis bestätigt auch die teleologische Auslegung. Die vom Gesetzgeber gewählte Systematik, nämlich pauschales Klagerecht, aber abgestufte Informations- und Mitwirkungsrechte, ist sachlich-objektiv nachvollziehbar. Anders als die in § 2 Abs. 2 TierschutzVMG NRW genannten Verfahren haben die Verfahren nach § 16a TierSchG ganz regelmäßig auch Einzeltierhaltungen von Privatpersonen zum Gegenstand, denen keine Bedeutung für den landesweiten Tierschutz zukommt. Diese Verfahren treten zahlenmäßig weit häufiger auf, als die Verfahren nach § 2 Abs. 2 TierschutzVMG NRW. Für Verfahren nach § 16a TierSchG wollte der Gesetzgeber zwar ein Klagerecht statuieren, aber wegen des erheblichen Verwaltungsaufwands keine Beteiligungsrechte begründen, die über das ohnehin grundsätzlich bestehende Auskunftsrecht der einzelnen Vereinsmitglieder nach dem IFG NRW hinausgehen.

Die Gesetzgebungshistorie belegt schließlich, dass der Verzicht auf Beteiligungsrechte in Verfahren nach § 16a TierSchG bewusst vorgenommen wurde. Bereits im Gesetzgebungsverfahren wurden von verschiedenen Seiten Bedenken und Anregungen im Hinblick auf die fehlenden Mitwirkungsrechte der Tierschutzvereine in diesen Verfahren vorgebracht.

Diese Hinweise haben jedoch nicht zu einer Änderung des Gesetzesentwurfs geführt. Daher handelt es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers. Von einer unbeabsichtigten Regelungslücke kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein.

Entgegen der Auffassung des Klägers, der sich auf den Erlass des MKLUNV vom 12.12.2012 bezieht, kann sein Begehren auch weder auf eine ergänzende Auslegung noch auf eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 5 TierschutzVMG NRW gestützt werden. Denn beides scheitert am Fehlen einer unbeabsichtigten Regelungslücke.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung von Art. 20a GG, der als Staatszielbestimmung keine subjektiven Rechte vermittelt. Das Staatsziel des Tierschutzes findet seine einfachgesetzliche Ausgestaltung materiell-rechtlich in den Vorschriften des Tierschutzgesetzes. Die Vorschriften des TierSchVMG sind entsprechende Verfahrensvorschriften, die ebenfalls diesem Zweck dienen. Eine Verletzung von Art. 20a GG ist hier jedoch nicht gegeben, weil hier von Seiten des Beklagten genauso verfahren wurde, wie es das TierSchVMG vorsieht.

Der Kläger kann die von ihm begehrte Akteneinsicht auch nicht aufgrund des Erlasses des MKULNV vom 12.12.2014 erreichen. An ihn ist das Gericht nicht gebunden. Unabhängig von der Rechtsnatur der Weisung handelt es sich um eine Maßnahme, die nur das Verhältnis zwischen Ministerium und nachgeordneten Behörden betrifft. Der Kläger kann sich hierauf nicht berufen. Für die vom Kläger begehrte Akteneinsicht auf der Grundlage des TierschutzVMG wäre eine Änderung dieses Gesetzes nötig, was aber Aufgabe des (Landes-) Gesetzgebers wäre. Das Gericht ist hierzu nicht berufen.

Ein Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht ergibt sich auch nicht aus § 29 VwVfG NRW. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Kläger Beteiligter im Sinne des § 13 VwVfG NRW ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Der Kläger ist nicht Beteiligter im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG NRW. Nach dieser Vorschrift sind Beteiligte Antragsteller und Antragsgegner. Der Kläger ist kein Antragsteller in diesem Sinne. Nach Auffassung des Gerichts spricht Einiges dafür, in dem Schreiben des Klägers vom 27. September 2014 einen materiellen Antrag nach § 16a TierSchG zu sehen. Dennoch vermag dies die Beteiligteneigenschaft des Klägers nicht zu begründen. Denn Antragsteller eines Verwaltungsverfahrens im Sinne des § 13 VwVfG NRW kann nur derjenige sein, der bei einer Behörde in eigener Sache, d.h. unter Berufung auf ihm zustehende Rechte oder rechtlich geschützte Interessen, den Erlass eines Verwaltungsaktes begehrt. Wer im Interesse der Allgemeinheit (sog. „Popularantrag“) den Erlass begehrt, ist – sofern gesetzlich nichts anderes geregelt ist – kein Antragsteller in diesem Sinne.

Hier begehrt der Kläger ein Tätigwerden des Beklagten im Sinne des Tierschutzes und damit im Allgemeininteresse. Ein rechtlich geschütztes Interesse des Klägers ergibt sich weder aus § 16a TierSchG, weil diese Norm ihren ausschließlichen Zweck im Wohlbefinden der Tiere hat und damit nicht drittschützend ist noch aus dem TierschutzVMG NRW. Das vorgenannte Gesetz räumt den Tierschutzvereinen in Verfahren nach § 16a TierSchG lediglich ein Klagerecht ein (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 TierschutzVMG NRW). Ein Antragsverfahren ist dort nicht vorgesehen.

Der Kläger ist auch nicht durch Hinzuziehung zum Verfahren Beteiligter geworden (§ 13 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 VwVfG NRW). Der Beklagte hat es durch Bescheid abgelehnt, den Kläger als Beteiligten zum Verfahren hinzuzuziehen. Diese Entscheidung war rechtmäßig.

Ein Anspruch des Klägers ergibt sich ferner nicht aus dem Informationsfreiheitsgesetz NRW (IFG NRW). Nach § 4 Abs. 1 IFG NRW steht das Informationsrecht nur natürlichen Personen zu. Der Kläger als eingetragener Verein unterfällt somit nicht dem persönlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes.

Schließlich ergibt sich ein Anspruch auf Akteneinsicht auch nicht unmittelbar aus dem Verfassungsrecht, namentlich Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Diese Vorschrift garantiert den Rechtsweg, wenn jemand behauptet, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Dabei gewährleistet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht selbst den sachlichen Bestand oder den Inhalt einer als verletzt behaupteten Rechtsstellung; diese richtet sich vielmehr nach der Rechtsordnung im Übrigen. Von den Fällen der Grundrechte und sonstiger verfassungsmäßiger Rechte abgesehen, bestimmt der Gesetzgeber, unter welchen Voraussetzungen dem Einzelnen ein Recht zusteht und welchen Inhalt es hat.

Der Kläger hat insbesondere nach dem TierSchVMG, aber auch aus allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht gerade kein subjektives Recht auf Akteneinsicht. Ein allgemeines Akteneinsichtsrecht für alle Verwaltungsverfahren lässt sich aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht ableiten.

Das Verwaltungsgericht Münster hat dabei nicht verkannt, dass für den Kläger Informationen über den Ausgang des beim Beklagten geführten Verwaltungsverfahrens betreffend die beanstandete Schweinezucht förderlich sind, um gegebenenfalls eine Verbandsklage nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 TierschutzVMG i.V.m. § 16a TierSchG vorbereiten zu können. Diese Informationen kann sich aber ein Mitglied des Klägers als natürliche Person (vgl. § 4 IFG NRW) mittels eines Antrages nach dem IFG NRW beschaffen, so dass es nach Auffassung des Gerichts keines Rückgriffs auf Art. 19 Abs. 4 GG bedarf.

Das Verwaltungsgericht Münster hat die Berufung nicht zugelassen, da nach seiner Auffassung die Rechtssache insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung hat, weil sich die hier stellende Rechtsfrage des Akteneinsichtsrechts eines anerkannten Tierschutzvereins im Vorfeld eines Klageverfahrens nach § 16a TierSchG eindeutig anhand der geltenden Gesetze, namentlich des TierSchVMG beantworten lässt.

Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 19.04.2016 – 1 K 2781/14