16.02.2018 | Die Bundessteuerberaterkammer wies bereits am 18. Februar 2016 auf die erheblichen Konsequenzen des Einsatzes von Freelancern in Steuerkanzleien hin.[1]
Fallstrick Freelancer in bayerischen Steuerkanzleien
1. LSWB unterstützt Verbandsmitglied bei Musterklage gegen die Clearingstelle
- Erster Teilsieg beim Sozialgericht Regensburg
- Statusfeststellungsverfahren sind kein Spaziergang
- Bösgläubigkeit des Kanzlei-Inhabers (KI) wurde verhindert
- Einleitung einer Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des bayerischen Landessozialgerichts?
Die Rechtsprechung des bayerischen Landessozialgerichts (LSG) beurteilte bislang die Tätigkeit von Freelancern in Steuerkanzleien eher negativ (Urteile vom 7. November 2006, AZ: L 5 KR 357/05, 13. November 2008, AZ: L 5 KR 50/07) und wurde durch das Bundessozialgericht (BSG) hierin gleichfalls bestätigt.
Keine guten Aussichten für Kanzlei-Inhaber.
Um eine Verböserung der Verbandsmitglieder als Arbeitgeber per se zu begegnen, reagierte das Präsidium des LSWB.
1.1 Spontane Erweiterung der Präsidiumssitzung
Anlässlich der Sitzung vom 22. November 2016 lotete das Präsidium bereits gemeinsam mit dem Autor Lösungsstrategien aus, um die Verbandsmitglieder zu unterstützen. Schnell wurde klar, dass die Tätigkeit von Freelancern in Steuerkanzleien mitunter über etwaige Nachforderungen hinaus auch weitere Konsequenzen nach sich ziehen kann.
Denn die fehlende Statusfeststellung kann bei Zweifeln neben der
- Anwendung der Nettolohnhochrechnung (§ 14 (2) S. 2 SGB IV)
- der 30-jährigen Verjährungsfrist (§ 25 SGB IV)
- unter Umständen auch strafrechtliche Konsequenzen entwickeln.
Der LSWB gab spontan ein Spezialseminar „Freie MA in Steuerkanzleien“ in Auftrag, um die Teilnehmer zu sensibilisieren und auf etwaige Risiken hinzuweisen.
2. Musterklage: Freelancer auf Stundenlohn
Wegen der erheblichen Bedeutung für Bayern unterstützt der LSWB derzeit ein Verbandsmitglied anlässlich seiner Musterklage für Existenzgründer gegen die Clearingstelle – wobei das Mitglied von einem Honorarnachlass von 60 Prozent profitierte.
2.1 Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens ist eine Kooperation einer bayerischen „alteingesessenen“ Steuerkanzlei mit einer Existenzgründerin nach erfolgreichem Abschluss des Steuerberaterexamens, welche sich auf die Heilberufe spezialisierte. Ihr Tätigkeitsspektrum ist die selbständige Erstellung von Jahresabschlüssen. Es wurde nach Stundenaufwand abgerechnet. Das vom Kanzlei-Inhaber zunächst ohne fachliche Begleitung eingeleitete Statusfeststellungsverfahren wurde abschlägig beschieden.
2.2 Entscheidungsgründe
Nach Auffassung der Clearingstelle sei für die Steuerberaterin
- eine Eingliederung in die Betriebsorganisation als Erfüllungsgehilfin erkennbar,
- die zur Aufgabenerfüllung notwendige Software zur Verfügung gestellt worden,
- die Tätigkeit vergleichbar der festangestellter Berufsträger,
- kein Einsatz umfangreichen Kapitals mit dem Risiko des Verlusts feststellbar,
- eine feste gewinnunabhängige Stundenvergütung gewährt worden,
- keine unternehmerischen Risiken oder Chancen hinsichtlich der Tätigkeit feststellbar.
2.2.1 Verböserung der Kanzlei
Letztendlich wurde dem Kanzlei-Inhaber als Leiter einer Abrechnungsstelle vorgeworfen, die eigenen Arbeitgeberpflichten nicht richtig beurteilt zu haben. Dies kann durchaus Rückschlüsse auf den eigenen Mandantenstamm entwickeln. Klar ist, dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV Bund) Freelancer in Steuerkanzleien als Prüfungsschwerpunkt festlegte.
2.3 Gutachtenerstellung
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde ein Gutachten erstellt. Im Ergebnis bestätigte das Gutachten die Rechtsauffassung und sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Verbandmitglieds und zeigte erhebliche Mängel im Verfahrensablauf der Clearingstelle auf (Verletzung Amtsermittlungsgrundsatz § 20 (2) SGB X).
Hinweis: Ein Statusfeststellungsverfahren ist verfahrensrechtlich sehr anspruchsvoll und wird ohne fachliche Begleitung meist abschlägig beurteilt. Die Hintergründe zeigte bereits die Bundessteuerberaterkammer auf. In weiteren Kanzleien wurden bereits Nachforderungen bis zu 200.000 Euro erhoben. Durch eine fachrechtliche Begleitung konnten anlässlich der Prüfungen von bayerischen Steuerkanzleien bereits Nachforderungen im sechsstelligen Bereich verhindert werden.
Nach Auswertung des Gutachtens schlug der Widerspruchssachbearbeiter eine volle Abhilfe des Widerspruches vor. Hiergegen wandte sich sodann die Dezernatsleitung, da kein Unternehmerrisiko feststellbar sei und die Auftragnehmerin die Jahresabschlüsse (unterstellt) nicht selbst zeichnete (Betriebstechnischer Zweck, Bayerisches LSG, Urteil 13. November 2008, AZ: L 5 KR 50/07).
2.4 Klageverfahren
Sodann reichte der Autor Klage ein. Anlässlich des Kammertermins erfolgte eine mehrstündige, teilweise von beiden Seiten sehr engagiert geführte fachliche Auseinandersetzung. Nachdem der Terminvertreter der DRV mehrfach die „Unstimmigkeiten“ und „vermeintlichen“ Widersprüche der Angaben in den Formvordrucken seitens der Auftragsnehmerin und des Auftraggebers heraushob, durfte er nicht nur die Existenzgründerin als selbstbewusste Unternehmerin erleben, welche durchaus verstand, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Insoweit erhielt der Terminvertreter von der fachlich mehr als versierten jungen Existenzgründerin entsprechende Nachhilfe im betriebswirtschaftlichen Bereich. Auch der jahrzehntelang am Markt auftretende Kanzlei-Inhaber nahm die Gelegenheit wahr, den Terminvertreter in das echte Wirtschaftsleben einzuführen und gemeinsam mit dem Autor die dogmatische Anwendung der Formvordrucke kritisch zu diskutieren.
Fazit: Die Vordrucke der auf ein Massenverwaltungsverfahren ausgerichteten Clearingstelle sind oftmals mehr als ungeeignet, um die Vielfältigkeit der Sachverhalte zu erfassen und folgerichtig zu beurteilen.
In der abschließenden Begründung betonte der Vizepräsident des Sozialgerichts Regensburg, vor Verhandlungsbeginn noch unentschieden in den Kammertermin gegangen zu sein. Letztendlich habe jedoch die richterliche Vernehmung der jungen Kanzleigründerin und des Kooperationspartners den Ausschlag für die Entscheidung gegeben. Es konnte in dem Termin durchaus herausgestellt werden, dass Existenzgründersein eben nicht mit Unerfahrenheit gleichzusetzen ist. Ferner, dass Kanzlei-Inhaber mit jahrzehntelanger Erfahrung durchaus über genügend Einschätzungsvermögen und ausgeprägten Sachverstand verfügen und die selbstständige Erstellung von Jahresabschlüssen ihrer besten Mandate nicht unbedacht einer unerfahrenen Steuerberaterin in die Hände legen. Sie sind vielmehr in der Lage, ein derartiges hohes Fachwissen und Engagement einer jungen Steuerberaterin zu erkennen und zu fördern und wissen dies selbstverständlich auch für sich zu nutzen, denn guter Nachwuchs ist rar. Maßgeblich unterstützt hat die vom LSWB zur Verfügung gestellte Gehaltsumfrage 2014.
Im Ergebnis ist das Gericht zur Überzeugung gekommen, eine Selbstständigkeit der Existenzgründerin zu bejahen (Sozialgericht Regensburg, Urteil vom 6. Juli 2017, AZ: S 2 R 8042/16).
2.5 Berufungsverfahren
Die DRV Bund legte nunmehr Berufung bei dem LSG München ein und begründete diese weiterhin mit dem fehlenden unternehmerischen Risiko.
Anmerkung:
Das Wirtschaftsleben ist bunter, als die DRV Bund dies mit ihrer stark strukturierten und in diesem Fall wohl fest eingemeißelten Betrachtungsweise beurteilen möchte. Derartig unterschiedliche und vielfältige Erscheinungsformen der Selbständigkeit bedürfen einer Einzelfallbetrachtung und einer Gesamtwürdigung des zu beurteilenden Lebenssachverhalts.
Folgt man der Denk- und Handlungsweise der Clearingstelle und ihrer dogmatischen Anforderung für ein erhebliches Unternehmerrisiko
- eigenes Kapital in erheblichem Umfang einzusetzen oder
- die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes einzusetzen,
so könnten unsere Existenzgründer in diesem Bereich wohl „überspitzt ausgedrückt“ nur mit einer
- Kanzlei in bester Lage und zehn Beschäftigten starten und
- möglicherweise sogleich „stranden“ oder
- ausschließlich als Beschäftigte beginnen.
Fazit des Kanzlei-Inhabers:
„Im Nachgang zu unserem Verfahren vor dem SG Regensburg möchte ich mich nochmal bei Ihnen bedanken. Es freut mich sehr, dass wir das Verfahren gewonnen haben. Die Erfahrung, die ich dadurch gesammelt habe war, dass man so ein Verfahren nicht auf die leichte Schulter nehmen darf und sich intensiv mit den Gegebenheiten beschäftigen muss.“
Im Berufungsverfahren vertritt der Autor weiterhin unser Verbandsmitglied und wird anlässlich der Fachseminare die Teilnehmer weiterhin auf dem Laufenden halten.
3. Weiteres Klageverfahren vor dem Sozialgericht München
Zwei sehr erfahrene Juristinnen aus München stolperten in eigener Sache selbst über die verfahrensrechtlichen Tücken des Statusfeststellungsverfahrens bei der Clearingstelle. Die DRV überging sämtliche von dem Gesetzgeber auferlegten Amtspflichten und stellte schlichtweg ohne Anhörung per Bescheid ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis der als freie Mitarbeiterin in der Steuerkanzlei beauftragten Juristin fest. Vergleichbar mit der Existenzgründerin im vorgenannten Sachverhalt lag hier ein Wiedereinstieg nach einer mehrjährigen Babypause vor.
Hilfesuchend baten die LSWB-Mitglieder den Autor ebenfalls um Unterstützung und Übernahme des Klageverfahrens. Die in diesem Verfahren mehr als dreiste Verfahrensweise der DRV, nämlich den Bestandsschutz für den späteren Eintritt der Versicherungspflicht schlichtweg zu übergehen, wurde mit aller gebotenen Schärfe vor dem Sozialgericht München gerügt. Der erste Teilsieg wurde bereits erzielt. Dennoch soll auch dieses Verfahren zum Anlass genommen werden, eine den tatsächlichen Verhältnissen geschuldete neue Rechtsprechung in Bayern herbeizuführen.
4. Freie Mitarbeiter in Steuerkanzleien
Wer als Leiter einer Abrechnungsstelle selbst freie Mitarbeiter in seinem Unternehmen „beauftragt“, sieht sich nun mit dem veröffentlichten Hinweis der Bundessteuerberaterkammer, der Rechtsänderung des § 611a BGB und dem Prüfungsschwerpunkt der DRV „Freelancer in Steuerkanzleien“ konfrontiert. Daher ist äußerste Vorsicht geboten.
In dem Spezialseminar „Freelancer in Steuerkanzleien“ am werden die Hintergründe übermittelt.
5. Ausweitung des Schönwetterurteils des BSG auf Einzelfirmen
Wir berichteten bereits anlässlich der vergangenen Spezialseminare „Statusfeststellungsverfahren“ über die existenziellen Nachforderungen für die Mandantschaft. Zwischenzeitlich drohten bereits Insolvenzen für die Mandanten, anlässlich derer der Autor Vergleichsverfahren durchführt. In diesen Fällen berücksichtigen Sie bitte Ihre Hinweispflicht aufgrund der neuen BGH-Rechtsprechung vom 26. Januar 2017 des XI. Senats, um nicht selbst Gegenstand eines Haftungsverfahrens zu werden.
5.1 Angriff auf die Einzelfirmen
Die DRV weitet nunmehr die „Rechtsmachtsfrage“ auf andere Unternehmensformen als die GmbH aus und darf sich auf eine BSG-Entscheidung vom 30. April 2013 berufen.
Daher gilt: Wer nunmehr weiterhin ohne Nachweis der Sozialversicherung Familienangehörige und/oder Minderheitsgesellschafter abrechnet, verletzt die Aufzeichnungs- und Nachweispflichten der Beitragsverfahrensordnung und handelt unter Umständen grob fahrlässig, riskiert somit seinen Haftpflichtversicherungsschutz. Zwischenzeitlich fordert die DRV bereits für Minderheitsgesellschafter einer GbR Beiträge im sechsstelligen Bereich nach.
Es gibt zahlreiche Erfolge bei der Abwehr von Beitragsnachforderungen hinsichtlich der Anwendung von „Vertrauensschutzregelungen“.
5.1.1 Vertrauensschutz
Der Autor ist geprüfter Rechtsexperte für den Bereich Statusfeststellung und Scheinselbstständigkeit. Mittels einer Checkliste werden Vertrauensschutztatbestände in der Vergangenheit aufgespürt und sodann gegenüber der DRV vertreten. Rund 95 Prozent der Verfahren wurden gemeinsam mit den Steuerberatern erfolgreich abgewehrt und/oder abgemildert. Erforderlichenfalls wird über ein spezielles, wenn auch schwieriges Vergleichsverfahren nach Lösungen gesucht.
Auszug: Bei einem Logistikunternehmen für Schifffahrt konnten 230.000 Euro abgewandt werden, nachdem für jeden einzelnen Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer ein Vertrauensschutz bewiesen werden konnte. Ebenso signalisierte die DRV Bayern Süd, bei einem Handwerksbetrieb (Heizungsbau) rund 75.000 Euro nicht mehr fordern zu wollen. Die Aussetzung der Vollziehung wurde erfolgreich bei einem Kopf-und-Seele-Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer einer Hausverwaltungs-GmbH durchgesetzt. Hier wird derzeitig ein neuer Vertrauensschutzbereich beim Sozialgericht München aufgebaut.
Von Klaus Peter Reidt, Rentenberater und Sachverständiger, jusmeum-Experte
Originalartikel: https://www.lswb-magazin.bayern/hp28199/Fallstrick-Freelancer-in-bayerischen-Steuerkanzleien.htm
[1] Weiterführende Informationen
Seminare des Autors
Haftungsfalle Statusfeststellungsverfahren 2018
Referent: Klaus Peter Reidt
05.03.2018, 09:00–17:00 Uhr, München, LSWB-Akademie, Hansastraße 32
06.03.2018, 09:00–17:00 Uhr, Nürnberg, Hotel Maritim, Frauentorgraben 11
07.03.2018, 09:00–17:00 Uhr, Coburg, Romantik Hotel Goldene Traube, Am Viktoriabrunnen 2
Spezialseminar Freelancer in Steuerkanzleien
Referent: Klaus Peter Reidt
05.06.2018 in Aschaffenburg,
09.06.2018 München,
10.06.2018 Günzburg und
11.06.2018 Nürnberg
Ort und Uhrzeit der Seminare werden in Kürze auf www.lswb-akademie.bayern bekannt gegeben.