“Der Schutzschirm des Insolvenzrechts oder die Entstigmatisierung des Scheiterns – ein erster Schritt zu einer Sanierungskultur in Deutschland?” war das Motto des diesjährigen Gläubigerkongresses am 12. Juni in Köln. Mit über 200 Teilnehmern war das Who’s Who der Restrukturierungs- und Sanierungszene vertreten. Von bisenius. manage-consult nahm Jean-Claude Bisenius teil.
Neben dem folgenden Schwerpunktthema “ESUG” waren weitere Themen des Kongresses: Entwicklung der Insolvenzfälle in Deutschland und in Europa, Chapter 11 als Vorlage für das deutsche Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung, Reform der verschiedenen Insolvenzrechtsgebiete mit Schwerpunkt Konzerninsolvenzrecht, arbeitsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten bei der Unternehmenssanierung, Forderungsmanagement bei nahender Krise sowie Sanierungskonzepte und ihre Umsetzung durch Interim Manager.
Prof. Dr. Hans Haarmeyer, Leitender Direktor des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht (DIAI), führt in das Thema des Kongresses ein.
ESUG bei Unternehmen noch weitgehend unbekannt
Die Erfahrungen mit dem ESUG, dem Gesetz zu weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, das nunmehr etwas länger als 2 Jahre in Kraft ist, nahmen während der Podiumsdiskussion einen breiten Raum ein. Robert Buchalik berichtete, dass aus Vorträgen bei den Industrie- und Handelskammern, an denen vor allem kleinere Unternehmen teilnähmen, ersichtlich sei, dass kaum ein Teilnehmer die Details der Eigenverwaltung oder des Schutzschirmverfahrens kenne. Vorträge bei Steuerberatungsverbänden zeigten, dass die Steuerberater in der Regel etwas aufgeklärter seien. Es gebe keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Verfahren nach § 270a InsO: Eröffnungsverfahren zur Eigenverwaltung und § 270b InsO: Vorbereitung einer Sanierung, besser als Schutzschirmverfahren bekannt. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet das Schutzschirmverfahren; es schließt sich eine Eigenverwaltung oder ein Regelinsolvenzverfahren an.
Dr. Frank Nikolaus bemerkte, dass aus Gründen der Haftung Zahlungen bei Antragsstellung eingestellt werde müssten – auch bei einem Schutzschirmverfahren nach § 270b – und damit der Insolvenzfall für alle Beteiligten offensichtlich würde. Klaus Siemon bestätigte, dass der Verlust des Vertrauens in das Unternehmen bei Antragsstellung die Sanierung schwierig mache. Die Etikette „Schutzschirm“ helfe, aber nicht wesentlich.
Hohe Anforderungen an die Vorbereitung der Eigenverwaltung und des Schutzschirmverfahrens
Die Notwendigkeit einer sehr guten Vorbereitung der Sanierung unter Insolvenzschutz, insbesondere in ESUG Verfahren, wurde in Referaten von Burkhard Jung und Robert Buchalik dargestellt. Die Anforderungen an einen Insolvenzantrag, die sich aus § 13 InsO ergeben, steigen, wenn die Eigenverwaltung oder die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beantragt wird, oder die Merkmale eines Pflichtausschusses nach § 22a Abs.1 InsO vorliegen.
Wichtig ist im Vorfeld die Abstimmung mit dem Gericht zur Erläuterung der Unternehmenssituation und der geplanten Sanierung sowie zur Klärung spezieller Anforderungen des Gerichts zum Insolvenzantrag, insbesondere zum Aussteller der Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO im Falle des Schutzschirmverfahrens. Die Abstimmung bei der der Auswahl des Sachwalters und die Kontaktaufnahme mit potentiellen Sachwaltern ist ebenfalls von maßgeblicher Bedeutung.
Die Podiumsdiskussion stand unter dem Motto: “Brauchen wir nach dem ESUG weiterhin auch noch ein außergerichtliches Sanierungsverfahren?”
Der Insolvenzantrag selbst muss von einer Vielzahl von Unterlagen gestützt sein – u.a. Handelsregisterauszug, Anhörungsfragebogen nebst Gläubigerverzeichnis, rezente Jahresabschlüsse, Organigramm, Bankenspiegel, betriebswirtschaftliche Anlagen, Unabhängigkeitsfragebogen des (vorläufigen) Sachwalters, Einverständniserklärungen zur Mitwirkung in einem vorläufigen Gläubigerausschuss sowie Auflistung der Einzelermächtigungen – und kann bereits bei mittelständischen Unternehmen den Umfang eines breiten Aktenordners ausmachen. Es gilt, frühzeitig mögliche Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses zu identifizieren und mit ihnen Kontakt aufzunehmen und unmittelbar vor Einreichung des Insolvenzantrags den Betriebsrat in Kenntnis zu setzen. Schließlich sind die „Dramaturgie D-Day”, d.h. die Ablauffolge am Tag der Insolvenzantragsstellung, sowie der Ablauf der folgenden Tage nach Antragsstellung detailliert zu planen.
Zahlreiche Entscheidungen belegen, dass eine unzureichende Antragsvorbereitung zur Ablehnung des Insolvenzantrages führt. So ist gemäß Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 19.12.2013 (ZInsO 2014, 363) das Eigenverwaltungsverfahren nur für wohl vorbereitete Insolvenzanträge geeignet, bei welchen die Geschäftsführung deutlich machen kann, den speziellen rechtlichen Anforderungen an eine Eigenverwaltung, die sich im Insolvenzverfahren stellen, gewachsen zu sein.
Das Gericht hat die Eigenverwaltung abzulehnen, wenn bereits eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ für den Eintritt von Nachteilen spricht. Konkrete Umstände, die für solche Nachteilsprognosen geeignet sind, bestehen in einer unvollständigen Insolvenzantragstellung nach den Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 InsO. Die erfolgreiche Durchführung einer Planinsolvenz in Eigenverwaltung, insbesondere unter einem Schutzschirm (§ 270b InsO) setzt viel Erfahrung, professionelle Vorbereitung und Durchführung voraus.
Missbrauchsmöglichkeiten des Insolvenzrechts, insbesondere bei ESUG Verfahren
Klaus Siemon zeigte auch einige Fehlentwicklungen der Eigenverwaltung auf, die sich in der zweijährigen Praxis gezeigt haben. Laut Siemon sind zentrales Strukturelement des deutschen Rechts die Insolvenzgründe und die Insolvenzantragspflicht. Bei Eigenverwaltungsverfahren und dem Debt-Equity-Swap gemäß § 225a InsO seien Insolvenzgründe und eine Insolvenzantragspflicht zum Schutz von Gläubigerinteressen nicht die richtigen Strukturelemente. Das geltende Recht belohne den Schuldner, der einen Insolvenzgrund und die Insolvenzantragspflicht treuwidrig herbeiführe, damit, dass er mittels des von ihm gelenkten Eigenverwaltungsverfahrens in Rechte von Gläubigern und Gesellschaftern eingreifen könne.
Gesellschafter werden durch den Debt-Equity-Swap zu „Gläubigern“ mit Nachrang. Da die Gesellschaftsanteile ohne verfahrensrechtliche Mitwirkungs- und Beteiligungsmöglichkeit des Gesellschafters weggenommen werden können, wird die Herbeiführung der Insolvenz zum Übernahmeinstrument. Weder der betroffene Gesellschafter noch die Gläubiger haben gemäß § 34 InsO ein Beschwerderecht. Auch §§ 250, 251 InsO regeln diese Situation nicht mehr, da sie die „korrekte“ Eröffnung voraussetzen. Als Beispiel einer vom Schuldner herbeigeführten Insolvenz zur Erzielung individueller Vorteile wurde der Fall der Suhrkamp GmbH & Co KG dargestellt.
Distressed Debt Trader dienten als Beispiel von Gläubigern, die in Insolvenz nahen Situationen in Unternehmensanleihen investieren, um sodann als Gläubiger die Insolvenz herbeizuführen und das Unternehmen mittels Debt-Equity-Swap zu übernehmen. Die Gewinne, die den Distressed Debt Tradern dabei zufallen, resultieren aus der Eliminierung von Positionen, die hinter denen der betreibenden Gläubigern stehen, insbesondere von Nachranggläubigern und Aktionären. Als Beispiel eines Distressed Debt Investings wurde die IVG Immobilien AG, ein Immobilienunternehmen mit 250 Tochtergesellschaften und mehr als 100 Immobilien genannt.
Michael Pluta und Prof. Hans Haarmeyer tauschen sich über strukturelle Verbesserungen der Eigenverwaltung aus.
Ein ganz wesentlicher “Erfolgsfaktor” liegt in der Übernahme der Kontrolle der Geschäftsführung durch Einsetzung eines Restrukturierungsgeschäftsführers, um die „Sanierung“ zu lenken und die Renditeerzielung abzusichern. Für den Restrukturierungsgeschäftsführer gibt es allerdings keine gesetzlichen Regelungen, insbesondere nicht in Bezug auf seine Honorierung. Kaum jemand könne ein viel zu hohes Honorar sowie die zusätzliche Beschäftigung von Mitarbeitern des Restrukturierungsgeschäftsführers unterbinden, bemängelte Siemon.
Michael Pluta, der ESUG-Verfahren nur in bestimmten Fällen befürwortet, stieß ins gleiche Horn. Er bekräftigte, dass es sich beim ESUG um das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – und nicht zur Erleichterung der Unternehmen durch Sanierer – handele. Hätten bisher die Gläubiger wenig Ahnung über die Details des laufenden Insolvenzverfahrens gehabt, gelte es jetzt, divergierende Interessen der verschiedenen Gläubigergruppen unter einen Hut zu bringen. Pluta nannte 3 Kategorien von Verwaltern: erstens die Abwickler, zweitens die Schnellverkäufer und drittens die Sanierer und Restrukturierer, wobei letztere Gruppe lediglich 5% der Verwalter ausmache. Die Eigenverwaltung als Verfahren, um die Fortführung des Unternehmens zu gewährleisten, sei ein Insolvenzverfahren ohne Insolvenzverwalter. In der Eigenverwaltung degradiere der Sachwalter zum “teuren Notar”. Pluta plädierte dafür, dass der Insolvenzverwalter als Sachwalter unabhängig von allen Stakeholdern sein müsse und die Rechte des Gerichts gestärkt werden. Um an Aufträge zu kommen, bräuchten sich Sachwalter heute nicht mehr bei Gericht vorzustellen, sondern bei den Gläubigergruppen. “Aber was sollen sie den Gläubigern sagen? Doch nicht das, was im Gesetz steht!“ beendete er seinen Vortrag.
Novellierung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung und vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren
Es bestand beim den Teilnehmern weitgehend Übereinkunft darüber, dass die Sanierung unter Insolvenzschutz umbenannt werden sollte. Laut Burkhard Jung könne ein Unternehmer zwar heute behaupten: „Ich bin nicht pleite, sondern mache ein Schutzschirmverfahren.“ Spätestens aber, wenn das Verfahren eröffnet wird – als Insolvenzverfahren – wird ersichtlich, dass das Schutzschirmverfahren Teil der Insolvenzordnung ist. Das “Insolvenzverfahren” müsse deshalb in “Sanierungsverfahren” umbenannt werden. Das Gleiche gelte für das “Insolvenzgeld”, das ebenfalls einen neuen Namen bräuchte.
Da andererseits die Eigenverwaltung mit den unverzichtbaren Bestandteilen deutscher Insolvenzkultur, nämlich Insolvenzgründen und Insolvenzantragspflicht, nicht kompatibel sei, sollte die Eigenverwaltung nur in gesetzlich definierten Fällen möglich sein. Werde die Insolvenz treuwidrig herbeigeführt, müsse die Eigenverwaltung ausgeschlossen sein. Ein für Leveraged Buyout (LBO) Sanierungsfälle geltendes vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren müsse dazu dienen, den Eintritt von Insolvenzgründen zu vermeiden. Soweit die Eigenverwaltung möglich sei, seien analog zum US-Insolvenzrecht (mindestens) eine “good faith” Kontrolle, also eine Kontrolle auf Treu und Glauben in Bezug auf den Insolvenzantrag sowie eine “equitable subordination”, also ein Schutz vor vorinsolvenzlichen Einflussnahmen notwendig. Zudem seien die Pflichten und die Honorierung des Restrukturierungsgeschäftsführers gesetzlich zu regeln.
Die Vorträge der meisten Referenten sind als Download auf der Website des Gläubigerkongresses verfügbar.