Stakeholderkrise, Strategiekrise, Produkt- und Absatzkrise, Erfolgs- und Ertragskrise, Liquiditätskrise und schließlich Insolvenz, so definieren sich die 6 Krisenstadien eines Unternehmens. Jedenfalls besagt dies der Standard 6 des Instituts der deutschen Wirtschaftsprüfer „Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten“ (IDW S 6). Insbesondere nach seiner Neufassung 2012, unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ist der IDW S 6 zum De-facto-Standard bei der Erstellung von Sanierungsgutachten geworden.
Im Fall der Restrukturierung in einem frühen Krisenstadium sind die Handlungsoptionen am vielfältigsten und die Erfolgswahrscheinlichkeit am höchsten. Folglich gilt es, eine Unternehmenskrise möglichst früh zu erkennen, um zeitig Maßnahmen für einen Turnaround zu ergreifen: Business Development, Change Management oder Transformation Management sind dann die Werkzeuge – nicht jedoch die Sanierung! Der Unternehmensberater wird die Krisenursachen im Detail analysieren und zusammen mit der Geschäftsleitung und den Gesellschaftern kreative und langfristige Maßnahmen konzipieren; unter Mitwirkung der Beteiligten werden diese dann im Unternehmen umgesetzt. Die Transformation ist als kontinuierlicher Prozess nachhaltig angelegt und weit weniger aufwendig und einschneidend als die Sanierung in einem späteren Krisenstadium.
Wer zu spät saniert, saniert bestenfalls durch Insolvenz in Eigenverwaltung
Wird die Schieflage hingegen zu spät erkannt, ist in vielen Fällen die Insolvenz nicht mehr abwendbar, da die finanziellen Reserven der Firma bereits zu sehr angegriffen sind. Die durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) eingeführte (vorläufige) Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren haben zwar der Insolvenz den Schrecken weitgehend genommen, steht doch die Sanierung des Unternehmens durch die Geschäftsleitung im Vordergrund und nicht die Zerschlagung. Allerdings sind beide Sanierungsverfahren nur für wohl vorbereitete Insolvenzen geeignet; bei zu tiefgreifenden Insolvenztatbeständen bleibt oft nur die Abwicklung des Unternehmens.
Fragt sich: Wer stellt möglichst frühzeitig die Krise fest? Interne Frühwarnsysteme gibt es als Teil des Controllings vor allem in Konzernen und bei größeren Unternehmen. Mittelständische Firmen verfügen meist nicht über solche Werkzeuge, auch deshalb nicht, da sie oft keine Controllingabteilung besitzen. Selbst wenn sich aus der internen Analyse von Jahresabschlüssen und unterjährigen betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) Erkenntnisse zum rückläufigen Geschäftsverlauf gewinnen lassen, werden vielfach keine Restrukturierungsentscheidungen gefällt. Der Unternehmer ist nämlich generell Optimist – sonst wäre er wahrscheinlich nicht Unternehmer – und beschönigt die Situation:„Es hat noch immer funktioniert, es wird auch dieses Mal gut gehen!“
Externe Krisenfrüherkennung bei mittelständischen Unternehmen notwendig
Externe Unterstützung mittelständischer Unternehmen zur Krisenerkennung tut also not. Werden jedoch Erfolge gerne nach außen kommuniziert, so wird eine Krise möglichst verschleiert. Als externe Stakeholder kennen am ehesten Steuerberater und Kreditinstitute die wahre Situation des Unternehmens, auch Wirtschaftsprüfer, soweit mandatiert.
Bereits beim Erstellen des Jahresabschlusses erfahren Steuerberater vom Zustand des Unternehmens. Fraglich ist jedoch, ob sie den auf Knopfdruck ausgeworfenen Jahresabschluss analysieren und interpretieren. Insbesondere bei bilanzieller Überschuldung dürfte der Mandant regelmäßig den Steuerberater von sich aus über die Folgen des negativen Eigenkapitals um Auskunft bitten. Gemäß jüngster höchstrichterlicher Rechtsprechung 1) darf der Steuerberater in diesem Moment nicht schweigen oder vom Thema ablenken. Wenn der Mandant ihn fragt, ob er verpflichtet sei, einen Insolvenzantrag zu stellen, kann der Steuerberater ihm eine Ausweitung seines Mandats zur Klärung dieses Sachverhalts anbieten. Sollte der Steuerberater zu diesem Thema nicht die notwendige spezielle Sachkunde besitzen, kann er alternativ einen versierten Insolvenzberater als Gutachter empfehlen.
Steuerberater: Haftungsrisiko als Chance zur stärkeren Mandantenbindung verstehen
Möglicherweise fürchtet der Steuerberater jedoch, sein Steuerberatungsmandat zu verlieren, sollte der Mandant einen Insolvenzantrag stellen. Dass ein wohl vorbereiteter Insolvenzantrag mit Zusatzantrag auf Eigenverwaltung in der Regel nicht das Ende eines Unternehmens bedeutet, hat sich offensichtlich noch nicht bei allen Steuerberatern herumgesprochen. Die Rechtsprechung bestätigt hingegen, dass bei einer Falschauskunft oder fehlerhaften Testierung zur Insolvenzreife der Steuerberater haftet. Von einem Vertreter der Kreditwirtschaft kommt der sehr hilfreiche Vorschlag 2), der Steuerberater möge seine Chance wahrnehmen und unter Einbindung fachkundiger Hilfe seinen Mandaten in ein ordentliches Sanierungsverfahrung begleiten.
Dieser Vorschlag wird hier aufgenommen und erweitert: Der Steuerberater soll seinem Mandaten ungefragt die Situation des Unternehmens erklären, so wie sich aus der Analyse der Jahresabschlüsse der letzten Jahre darstellt. Bei sich verschlechterndem Geschäftsverlauf soll der Steuerberater einen spezialisierten Unternehmensberater empfehlen, bei negativem Eigenkapital ein Gutachten zur Klärung der insolvenzrechtlichen Überschuldung anregen.
MaRisk: Forderung nach Risikofrüherkennungsverfahren in Kreditinstituten
Kreditinstitute betreiben Frühwarnsysteme, um das Risiko ihrer ausgegebenen Kredite laufend zu überwachen und die Konditionen an das sich möglicherweise verändernde Rating ihrer Kunden anzupassen. In Deutschland schreiben die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) 3) dies vor. Die eingesetzten Risikofrüherkennungsverfahren der Kreditinstitute haben die Aufgabe, bei einer Vielzahl von Engagements ein möglichst frühes Krisenstadium zu identifizieren.
Eine Untersuchung in 185 deutschen Kreditinstituten zeigt 4), dass Banken und Sparkassen vorwiegend quantitative Analyseverfahren zur Risikofrüherkennung einsetzen: 95 % der befragten Kreditinstitute untersuchen betriebswirtschaftliche Auswertungen (BWA) und Jahresabschlüsse. Auch Ratingverfahren und Kontoführungsanalysen haben mit 93 % bzw. 90,6 % der Nennungen eine hohe Bedeutung. Allerdings lässt die Aktualität der Daten vielfach zu wünschen übrig: Jahresabschlüsse beschreiben naturgemäß die Vergangenheit; zudem stehen sie insbesondere bei einer Verschlechterung der Situation im Unternehmen dem Kreditinstitut vielfach erst Monate nach ihrer Erstellung zur Verfügung. Andererseits fließen in die Frühwarnsysteme der Kreditinstitute auch Informationen im Zusammenhang mit dem Zahlungsverhalten und der Kontoentwicklung in Echtzeit ein: Grad der Inanspruchnahme des Kontokorrentkredits, Versteifung der Kreditlinie, nicht ausgeführte Lastschriften, Kontopfändungen, usw. An dieser Stelle ist die Aktualität der Daten exzellent!
Unterschiedliche Betreuung von Problemkrediten bei Banken und Sparkassen
Auf eine „gelbe Ampel“ des Frühwarnsystems reagieren Banken und Sparkassen allerdings unterschiedlich. So gibt es Institute, die sofort eine tiefgehende Analyse des Kundenunternehmens und seines Umfelds initiieren. Bei anderen muss sich der Alarm in drei aufeinanderfolgenden Quartalen bestätigen, bis der Fall näher betrachtet und der Problemkredit möglicherweise einer Intensivbetreuung zugeführt oder an die Sanierungsabteilung übertragen wird. Bei der Betreuung durch die Sanierungsspezialisten des Kreditinstituts steckt das Unternehmen dann oft bereits tief in der Liquiditätskrise; die Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit steht möglicherweise kurz bevor.
Gemäß den Vorgaben des Bundesgerichtshofs muss in diesem Stadium ein Sanierungsgutachten eingeholt werden, wenn das Institut einen Sanierungskredit vergeben oder einen auslaufenden Kredit prolongieren will. Ansonsten sieht sich im Fall der Insolvenz die Bank oder Sparkasse mit zivilrechtlichen Haftungsrisiken aus Insolvenzverschleppung und insolvenzrechtlichen Anfechtungsrisiken konfrontiert. Auch strafrechtliche Tatbestände kommen in Betracht. Die Erstellung dieses Sanierungsgutachtens erfolgt oft unter erheblichem Zeitdruck, unter Umständen fällt sie bereits in die Dreiwochenfrist zur Stellung eines Insolvenzantrags. Hektik und Fokussierung auf kurzfristige Maßnahmen, die das Überleben des Unternehmens sichern sollen, dominieren dann oft das Geschehen.
Der Firmenkundenberater als “humanes” Frühwarnsystem
Den Firmenkundenberatern des Kreditinstituts kommt daher bei der Frühwarnung eine entscheidende Bedeutung zu. Vielfach kennen sie „ihre“ Kunden bereits viele Jahre, unter Umständen bereits Jahrzehnte, und sind über die Vorgänge im Unternehmen gut informiert. Als „humanes Frühwarnsystem“ merkt der Kundenberater in der Regel also weit vor der Liquiditätskrise, dass etwas mit dem Unternehmen nicht stimmt. Für eine Bestätigung seines Bauchgefühls kann er zudem auf das IT-basierte Frühwarnsystem seines Hauses zurückgreifen.
An dieser Stelle wird angeregt, dass bei Erkennung des sich verschlechternden Geschäftsverlaufs Firmenkundenbetreuer der Kreditinstitute ihren Kunden eine Vorschlagsliste mit 2-3 spezialisierten Unternehmensberatern überreichen und den Unternehmen empfehlen, sich mit diesen Beratern zu einem Erstgespräch zusammenzusetzen. Diese Empfehlung in einem frühen Krisenstadium ist nicht zu vergleichen mit der oben beschriebenen Forderung des BGH, in einer Liquiditätskrise ein Sanierungsgutachten einzuholen, wenn das Unternehmen dringend frisches Geld braucht. Im frühen Krisenstadium wird das Frühwarnsystem des Firmenkundeberaters somit der mehrfachen Bedeutung des Begriffs „human“ sehr gerecht.
Fazit: Steuerberater und Firmenkundenberater der Kreditinstitute gehören zu den externen Akteuren, die eine beginnende Schieflage eines Unternehmens als Erste feststellen. Beide Gruppen sollen die Chance ergreifen, frühzeitig dem Unternehmen spezialisierte Unternehmensberater zu empfehlen, die in Abhängigkeit des vorgefundenen Krisenstadiums Maßnahmen zum Turnaround entwickeln und umsetzen. Zwischen Unternehmen, Steuerberater, Kreditinstitut und Unternehmensberater kann sich hieraus eine für alle Seiten vorteilhafte und gewinnbringende Symbiose ergeben.
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1) BGH, Beschluss v. 6.2.2014, IX ZR 53/13
2) Dr. Paul Fischer: Gefährden finanzielle Interessen Beteiligter die Zielsetzung des ESUG? – Der Steuerberater als (potenzieller) Weichensteller für eine Sanierung, ZInsO 2013, 2348
3) Rundschreiben 10/2012 (BA) vom 14.12.2012: Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk, BTO 1.3 Verfahren zur Früherkennung von Risiken
4) Prof. Dr. Wolfgang Portisch: Risikoerkennung und Sanierungswürdigkeitsprüfung durch Kreditinstitute, KSI 04/2013