Rechtsanwalt Dipl.-Ing. Jean-Claude Bisenius

75245, Neulingen
Rechtsgebiete
Insolvenzrecht Handelsrecht und Gesellschaftsrecht Internationales Wirtschaftsrecht
06.11.2017

IDW S 6 Neufassung – Wir haben verstanden

Zur Vermeidung von Haftungsrisiken und – im ungünstigen Fall einer späteren Insolvenz des Unternehmens – auch von Insolvenzanfechtungen dürfen Finanzgläubiger weitere Mittel für die Unternehmenssanierung erst dann bereitstellen, wenn ein neutraler und mit der Branche vertrauter Gutachter ein Sanierungskonzept mit einer positiven Fortbestehungsprognose erstellt hat.

Der Standard 6 des Instituts der Wirtschaftsprüfer – der IDW S 6 – hat sich seit 2009 in der Tat als Standard bei Sanierungsgutachten in Deutschland etabliert. Allerdings gibt es eine Reihe von Kritikpunkten: In einer Untersuchung im Jahr 2015 der SRH Hochschule Heidelberg in Zusammenarbeit mit dem IfUS bei den 10 größten Finanzgläubigern von Unternehmen und den 5 größten Kreditversicherern wurde u.a. bemängelt, dass der umfangreiche Standard auch eine hohe Anzahl an Anforderungen enthalte. Dies führe zum Teil zu überflüssigen Analysen -„weil der IDW S 6 das vorsieht, man will die Punkte zumindest »mal erwähnen«“ -; der Fokus auf die wesentlichen Treiber gehe verloren. Der IDW S 6 sei, gemessen am eigentlichen Ziel, zu lang, zu teuer, zu komplex und eigne sich daher nicht für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU).

Diesen Kritikpunkten begegnete das IDW im Jahr 2016 und veröffentlichte ein Fragen-und-Antworten-Papier (F & A zu IDW S 6), das auch die Anwendbarkeit des Standards für KMU beleuchtet. Bei kleineren Unternehmen sind das Ausmaß der Untersuchung und die Berichterstattung an die geringere Komplexität anzupassen. Da KMU wenige oder nur ein Geschäftsfeld und eine überschaubare Anzahl von Produktgruppen und Produkten haben, fällt die Analyse einfacher aus als bei größeren Unternehmen.

Kürzlich hat das IDW Nägel mit Köpfen gemacht und eine Neufassung des Standards vorgeschlagen, die den IDW S 6 i.d.F. vom 20.08.2012 ersetzen wird. Ergänzungs- oder Änderungsvorschläge zum vorgelegten Entwurf können noch bis zum 31.01.2018 eingereicht werden.

Deutlich schlankere Fassung des IDW S 6   für schlankere Gutachten

Die Entwurfsfassung ist um ein Drittel schlanker als der derzeit gültige Standard. Sie legt nur noch den Rahmen für Sanierungsgutachten fest und beinhaltet somit vor allem allgemeine Grundsätze. Die Ausführungen zu Krisenstadien und Maßnahmen zu deren Überwindung sowie zum Leitbild des sanierten Unternehmens wurden stark gekürzt oder ganz gestrichen. Deutlicher als bisher wird zudem erläutert, dass bei einem Sanierungskonzept für wenig komplexe Unternehmen zwar alle Anforderungen erfüllt sein müssen; auf Basis des Grundsatzes der Wesentlichkeit kann die Detailtiefe der Beschreibungen aber entsprechend reduziert werden. Ein Sanierungsgutachten für kleine Unternehmen, das diese Forderungen berücksichtigt, ist also kein „IDW S 6 light“ oder „an IDW S 6 angelehnt“ sondern ein vollwertiges Gutachten nach dem Standard.

Mit dem deutlich schlankeren Entwurf verbindet sich die Hoffnung, dass auch die Sanierungskonzepte selbst schlanker werden. Die Qualität eines Gutachtens steigt nämlich nicht unbedingt mit seinem Umfang. „Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich für einen kurzen keine Zeit habe“, wurde u.a. auch schon Goethe zugeschrieben. Trotzdem: Nur auf der Grundlage aller Kernbestandteile eines Sanierungskonzepts kann eine Aussage zur Sanierungsfähigkeit des Unternehmens abgeleitet werden. Bei der Konzeption der Maßnahmen zur Überwindung der identifizierten Krisenursachen sind sowohl die Chancen und Risiken des Markts als auch die Stärken und Schwächen des Unternehmens selbst zu berücksichtigen. Ein gutes Sanierungskonzept kommt dabei schnell auf den Punkt.

Einbezug der jüngsten Urteile des BGH

Dabei muss das Konzept die sich laufend weiter entwickelnde höchstrichterliche Rechtsprechung unbedingt beachten. Ein Gutachten, das alle Anforderungen des IDW S 6 erfüllt, sorgt bisher schon dafür, dass man juristisch auf der sicheren Seite ist. Die novellierte Entwurfsfassung berücksichtigt nun auch die jüngsten Urteile und Beschlüsse des Bundesgerichtshofs (BGH), die oft die Insolvenzanfechtung (§ 129 ff. InsO) als Gegenstand haben. Ganz besonders sticht hier das Urteil des BGH vom 12.05.2016 – IX ZR 65/14 hervor.

Bei Vorliegen einer Ertrags- oder Liquiditätskrise ist eine Aussage zu treffen, ob die Fortführung des Unternehmens nach Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen sichergestellt werden kann. Insbesondere bei einer drohenden Insolvenz ist darzulegen, auch ob diese lediglich aus Problemen auf der Finanzierungsseite resultiert, oder ob der Betrieb unwirtschaftlich arbeitet. Die Neufassung des IDW S 6 hält fest, dass die beschriebenen Anforderungen auch für Sanierungen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens gelten (Insolvenzplanverfahren oder übertragende Sanierungen).

Integrierte Finanzplanung notwendig aber nicht ausreichend

Eine integrierte Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ist obligatorisch und wird von der Rechtsprechung vorausgesetzt. Allzu häufig zeigt die geforderte integrierte Finanzplanung zwar ein in sich schlüssiges Zahlenwerk auf. Die vorgeschlagenen Sanierungsmaßnahmen offenbaren jedoch vielfach ein geringes leistungswirtschaftliches Know-how des Gutachters sowie seine fehlende Industrie- und Branchenerfahrung. Resultat: Die konzipierten Maßnahmen sind schlichtweg nicht umsetzbar oder führen nicht zu den gewünschten Ergebnissen.

Der IDW S 6 sieht weiterhin die Unternehmenssanierung in zwei Stufen vor: Sanierungsfähig ist ein Unternehmen nur dann, wenn in Stufe 1 eine positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose vorliegt und darüber hinaus in Stufe 2 – in einem verlängerten Prognosezeitraum – sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Renditefähigkeit nachhaltig wiedererlangt werden kann.

In der eingangs erwähnten Studie der SRH Hochschule wurde auch als Kritikpunkt festgehalten, dass die Erreichung der branchenüblichen Rendite differenziert betrachtet werden sollte. Oder wie der Leiter der Sanierungsabteilung einer württembergischen Sparkasse es auf den Punkt brachte: „Die Rendite der Branche unseres Kunden ist so hoch, dass er diese gar nicht erreichen muss. Uns reicht es, wenn der Kunde seinen Kapitaldienst leisten kann.“ Der Entwurf des Standards geht darauf ein: „Ist der Turnaround im Sanierungskonzept aufgezeigt, erscheint es ausreichend, dass sich die Renditefähigkeit und die Eigenkapitalausstattung im letzten Planjahr am unteren Ende der branchenüblichen Bandbreite orientiert.“

Erstellung und Umsetzung des Sanierungskonzepts aus einer Hand

Die Forderung nach einer expliziten Umsetzungsbegleitung und eines Controlling-Managements während der Implementierung der Sanierungsmaßnahmen, wie sie in der SRH-Studie enthalten ist, sucht man im Neuentwurf des IDW S 6 allerdings weiterhin vergeblich. 85 Prozent der Sanierungsabteilungen hatten bei der Untersuchung bekundet, dass die Erstellung des Sanierungskonzepts und die Umsetzung der Maßnahmen aus einer Hand für sie wichtig oder sehr wichtig sind. Die Sanierung endet also nicht mit Verabschiedung eines gutachterlich festgestellten Sanierungsplans; die Umsetzung der konzipierten Maßnahmen – idealerweise aus einer Hand – beginnt danach. Die Optimierung von Leistungswirtschaft und Finanzstruktur des Unternehmens soll dabei ein langfristiges und nachhaltig profitables Geschäftsmodell gewährleisten.