Die Berichterstattung über die Verhängung von Beugehaft gegen den Mitarbeiter eines Bewertungsportals hat viel Aufmerksamkeit erregt. Auf klinikbewertungen.de können Erfahrungsberichte für Krankenhäuser abgegeben werden. Um an die Daten eines registrierten Bewerters zu gelangen, verhörte das Amtsgericht Duisburg mehreren Internetberichten zu Folge zum wiederholten Male den Online-Redakteur Rasmus Meyer. Als dieser erneut die Aussage verweigerte, habe der zuständige Richter 5 Tage Beugehaft verhängt. Der Betreiber des Portals, das Unternehmen MedizInfo, stellte sich hinter seinen Mitarbeiter. In einer eigenen Darstellung schildert MedizInfo das Vorgehen der Behörden als unverhältnismäßig. Außerdem verwies das Unternehmen auf eine anhängige Verfassungsbeschwerde. Es möchte durch das Bundesverfassungsgericht klären lassen, ob einem Redakteur des Portals ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.
Den Auslöser der Vernehmung und Beugehaftanordnung soll die Strafanzeige einer Therapeutin gebildet haben. Im Jahr 2011 ging sie gegen eine Bewertung auf dem Portal vor. Die beanstandete Bewertung befasste sich mit ihrem Arbeitgeber, einer Rehaklinik in Bad Hamm. Laut Presseberichten wurde in dieser Bewertung auch kolportiert, die Therapeutin unterhalte sexuelle Beziehungen zu ihren Patienten. Diese Aussagen wurden nach Auskunft von Rasmus Meyer umgehend gelöscht, nachdem sie ihm bekannt wurden. Die Herausgabe der Nutzerdaten des Bewerters verweigerte er aber. Dabei beruft er sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht, wie es in Deutschland für Journalisten garantiert ist. Da das Amtsgericht ihm dieses Recht abspricht, verhängte es im Juli 2012 ein Bußgeld und ersatzweise Ordnungshaft. Dagegen legte der Anwalt von Meyer Beschwerde ein. Außerdem reichte er den Fall zur Prüfung beim Bundesverfassungsgericht ein. Das hat zwar formal keine aufschiebende Wirkung. Aber es schien durchaus angemessen, zunächst eine Klärung der widersprüchlichen Rechtslage abzuwarten. Denn in einem früheren Fall, verhandelt vor einem anderen Amtsgericht, wurde den Mitarbeitern des Portals ein Zeugnisverweigerungsrecht zugesprochen. Stattdessen erhielt Rasmus Meyer erneut eine Vorladung als Zeuge, wurde von uniformierter Polizei zur Aussage eskortiert und dort mit der Androhung von Beugehaft konfrontiert. Nach Aussage der Portalbetreiber verwies der zuständige Richter darauf, dass die Staatsanwaltschaft massiv auf die Zeugenaussage dränge.
Der Fall zeigt, dass sich der Online-Journalismus in Deutschland teilweise in einer rechtlichen Grauzone befindet. Es geht um die Frage, unter welchen Bedingungen Blogger, Redakteure von Bewertungsportalen oder Seitenbetreiber den Schutz als Journalisten in Anspruch nehmen dürfen. Denn nur dann können sie einen wirksamen Quellenschutz garantieren. Kritische oder kontroverse Äußerungen von Nutzern, die unter dem Schutz der Anonymität auf Portalen veröffentlicht werden, dürften es anderenfalls künftig sehr schwer haben. Ohne das Recht auf Quellenschutz müssen Nutzerdaten in jedem Fall an ermittelnde Behörden weitergeleitet werden. Meinungsäußerungen stünden so immer unter dem Risiko, wegen Beleidigung, übler Nachrede usw. belangt zu werden. Ein Risiko dem sich viele Menschen nicht aussetzen werden.
Das zweite Problem sind die unverhältnismäßigen Methoden, mit denen Gerichte und Staatsanwälte in Einzelfällen versuchen, die Daten von Nutzern zu ermitteln. Erst im Januar hatte ein Fall für Schlagzeilen gesorgt, bei dem das Amtsgericht Augsburg einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsbeschluss für die „Augsburger Allgemeine“ ausstellte. Auslöser waren Aussagen in einem Forum zu einem lokalpolitischen Thema. Ein Ordnungsreferent sah sich beleidigt und wollte Unterlassungsansprüche durchsetzen. Sein Anwalt forderte die Herausgabe von Nutzerdaten, was die Zeitung zunächst verweigerte. Letztlich lenkte die Redaktion ein. Durch die freiwillige Herausgabe der Nutzerdaten wurde eine Durchsuchung verhindert. Ein Hintertürchen, die das Gericht bereits in Form einer Abwendungsbefugnis in den Durchsuchungsbefehl geschrieben hatte. Mehrere Journalistenverbände bewerteten das Vorgehen der Behörden als völlig unverhältnismäßig.
Im Fall von klinikbewertungen.de hält das Amtsgericht Duisburg Rasmus Meyer nicht für einen Journalisten. Es macht diese Bewertung daran fest, dass das Einstellen von Texten allein keinen Journalisten ausmacht. Es fehle das Merkmal der redaktionell aufbereiten Information. Aus Sicht von MedizInfo dagegen ist klinikbewertungen.de mehr als ein einfaches Webforum. Gegenüber Spiegel Online macht Rasmus Meyer das daran fest, dass das Portal für die Aussagen seiner Nutzer verantwortlich sei. Daher dürften nur registrierte Bewerter Kommentare abgeben. Bei Beschwerden über falsche Tatsachenbehauptungen werde durch die Mitarbeiter recherchiert. Nicht belegbare Behauptungen werden gelöscht. Auch aus Sicht anderer Kommentatoren ist die Gewichtung von Texten Dritter und deren Veröffentlichung eine genuin journalistische Tätigkeit.
Die Dauer und Schärfe der juristischen Auseinandersetzung macht deutlich, dass die Bewertungen weit auseinandergehen. Nach den Vorgängen Anfang Februar hat der Anwalt von Rasmus Meyer, er vertritt gleichzeitig auch das Unternehmen MedizInfo, den Richter wegen Rechtsbeugung angezeigt. Gegen die Beugehaft wurde Beschwerde eingelegt. Bisher musste Rasmus Meyer nicht ins Gefängnis. Bewertungsportale, Blogs und Webseiten schaffen für viele Menschen eine unverzichtbare Öffentlichkeit, deren Meinungsvielfalt ein hohes Gut darstellt. Diese Vielfalt zeichnet sich gerade auch durch kontroverse Meinungen aus. Die rigide Anwendung polizeilicher und rechtlicher Mittel gegen Äußerungen in Bewertungsportalen bedroht diese Meinungsfreiheit. Die Unklarheit darüber, wann eine Seite ihren Nutzern Quellenschutz garantieren kann, fördert ein Klima der Unsicherheit. Ähnlich äußerten sich Journalistenverbände in Bezug auf den Augsburger Fall. Demnach seien Redaktionsdurchsuchungen vor allem geeignet, Informantenschutz und Pressefreiheit auszuhöhlen. Für die gerichtliche Verwertung von Meinungsäußerungen in Strafsachen eigneten sie sich dagegen nicht. Ebenso kann man argumentieren, dass eine sich seit 2011 hinziehende juristische Auseinandersetzung vor allem dazu führt, Nutzer und Betreiber zu verunsichern. Das gilt umso mehr, als eine grundsätzliche Klärung der Rolle von Online-Portalen durch das Bundesverfassungsgericht noch aussteht.
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17.02.2013