Rechtsanwalt Frank Weiß

73728, Esslingen
Rechtsgebiete
IT-Recht Urheberrecht und Medienrecht Gewerblicher Rechtsschutz
16.11.2012

BGH elterliche Haftung für Filesharing durch minderjährige Kinder

In der Regel haften Eltern dafür, wenn ihre minderjährigen Kinder sich durch Filesharing im Internet strafbar machen. Dass dies nicht immer so ist, stellte der Bundesgerichtshof jetzt mit seiner Entscheidung im Falle eines 13-jährigen Kindes fest, das in einer Internettauschbörse über 1000 Audiodateien zum kostenlosen Download angeboten hatte.

In dem vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall hatte ein Tonträgerhersteller ein Unternehmen mit Ermittlungen zu Urheberrechtsverletzungen beauftragt. Die privaten Ermittler stießen dabei in einer Internettauschbörse auf zahlreiche Audiodateien, darunter auch etliche, für die ihr Auftraggeber die ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte besitzt. Insgesamt 1147 Audiodateien konnten einer einzelnen IP-Adresse zugeordnet werden. Die Staatsanwaltschaft konnte später im Zuge ihrer Ermittlungen feststellen, wem zum fraglichen Zeitpunkt diese IP-Adresse zugeordnet war.

Der Internetanschluss gehörte einem Ehepaar, das den Anschluss auch ihrem 13-jährigen Sohn zugänglich gemacht hatte und der von seinen Eltern zu seinem zwölften Geburtstag einen PC bekommen hatte. Bei der späteren Untersuchung des inzwischen beschlagnahmten Computers wurden darauf zwei Tauschbörsenprogramme namens „Morpheus“ und „Bearshare“ gefunden. Das „Bearshare“-Icon war auch auf der Desktop-Oberfläche des Computers sichtbar.

Der Tonträgerhersteller ließ daraufhin die Eltern des Kindes abmahnen und forderte sie zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf. Das taten sie auch, doch eine Schadensersatzzahlung lehnten sie ebenso ab wie eine Erstattung der Abmahnkosten. Daraufhin verklagte der Tonträgerhersteller das Ehepaar. Er argumentierte, die Eltern hätten ihre elterliche Aufsichtspflicht verletzt und hafteten daher für den entstandenen Schaden. Der Tonträgerhersteller forderte Schadensersatz in Höhe von insgesamt 3000 Euro. Zusätzlich sollten die Eltern des Kindes die Abmahnkosten in Höhe von 2380,80 € erstatten.

In der Vorinstanz hatte das Landgericht dem Kläger recht gegeben. Auch die von den Eltern des Kindes eingelegte Berufung wurde von der Berufungsinstanz zurückgewiesen. Das Gericht war davon ausgegangen, dass die Eltern des Kindes für den entstandenen Schaden haften müssen, da sie nicht kontrolliert hätten, ob ihr Sohn ihre Verhaltensregeln für die Internetnutzung befolgt. Damit hätten sie ihre elterliche Aufsichtspflicht verletzt. Auch hätten sie durch technische Maßnahmen die Installation der Filesharingprogramme verhindern können. Zudem hätten die Eltern bei einer regelmäßigen Kontrolle des Rechners die von ihrem Sohn installierten Programme entdecken müssen.

Der Bundesgerichtshof folgte dem Berufungsgericht nicht und kassierte dessen Entscheidung. Zu einer Kontrolle der Internetnutzung durch ihr Kind seien die Eltern ebenso wenig grundsätzlich verpflichtet wie zu einer – auch teilweisen – Sperrung des Internetzugangs oder einer Überprüfung des von dem Kind genutzten Computers. Erst wenn die Eltern „konkrete Anhaltspunkte“ dafür feststellten, dass ihr Kind den elterlichen Internetanschluss für rechtsverletzende Handlungen benutzt, müssten die Eltern zu solchen Mitteln greifen. Ohne derartige Anhaltspunkte reiche es dagegen bereits aus, wenn sie "das Kind über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehren", um ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen.

Für Rechteinhaber, die Urheberrechtsverletzungen verfolgen und Schadensersatz geltend machen wollen, bedeutet das höchstrichterliche Urteil ein nicht unerhebliches zusätzliches Risiko. Denn die Kosten für die Verfolgung solcher Delikte – ob nun von angestellten Mitarbeitern durchgeführt oder durch ein beauftragtes Unternehmen – fallen bereits weit im Vorfeld an, wenn noch überhaupt nicht beurteilt werden kann, ob sich hinter der festgestellten IP-Adresse ein minderjähriges Kind verbirgt – für dessen Verfehlungen die Eltern am Ende womöglich nicht haften müssen. Damit wächst für die Rechteinhaber die Gefahr, nicht nur durch kostenlose Downloadmöglichkeiten für ihre Werke einen finanziellen Schaden zu erleiden, sondern auch auf den Kosten für die Verfolgung und Geltendmachung des Schadens sitzen zu bleiben.

Allerdings kann das Urteil des Bundesgerichtshofs auch für Eltern zum Problem werden: Spätestens dann, wenn frühere rechtsverletzende Nutzungen des Internetanschlusses durch den Nachwuchs bereits aktenkundig geworden sind, folgt aus dem Urteil des BGH eine elterliche Verpflichtung zur Überwachung der Internetnutzung und zur Überprüfung des Computers des Kindes. Damit aber dürften viele Eltern hoffnungslos überfordert sein, da die Computerkenntnisse und -Fähigkeiten ihrer Kinder ihre eigenen um ein Vielfaches übersteigen. In einem solchen Fall können Eltern wohl nur eines tun, um sich auf die rechtlich sichere Seite zu begeben: ihren Sprösslingen in der elterlichen Wohnung den Zugang zum Internet unmöglich zu machen.

BGH, Urteil vom 15.11.2012 - Aktenzeichen I ZR 74/12 - Morpheus

LG Köln - Urteil vom 30. März 2011 - 28 O 716/10

CR 2011, 687

OLG Köln - Urteil vom 23. März 2012 - 6 U 67/11

WRP 2012, 1007