Der Europäische Gerichtshof (EuGH) beschäftigt sich passend zum guten Wetter mal wieder mit Fragen rund um das Thema Urlaub im Erbrecht. Heute auf dem Programm: Kann Urlaub vererbt werden? Der Generalstaatsanwalt des EuGH sagt: Ja!
Arbeitnehmer werden gestärkt
Gemeint ist natürlich nicht der Urlaub selbst. Obwohl die Vorstellung ja verführerisch ist, man könnte den geerbten Urlaub selbst gegen seinen eigenen Arbeitgeber geltend machen. Aber hören wir auf zu träumen. Es geht selbstverständlich um den Abgeltungsanspruch für nicht genommenen Urlaub.
Man ist ja immer versucht zu sagen: Selber Schuld, wer seinen Urlaub nicht rechtzeitig nimmt! Nun, der EuGH sieht das in der Regel anders. In den durchweg arbeitnehmerfreundlichen Entscheidungen der letzten Jahre hat er die Position vertreten, dass es sich beim Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß der Richtlinie 2003/88/EG um einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Europarechts handelt.
So verneinten die Richter in roten Roben bereits den automatischen Verfall von Urlaubsansprüchen im Krankheitsfall und entschieden weiter, dass ein in den Ruhestand tretender Arbeitnehmer seine bisher wegen Krankheit nicht gewährten Urlaubstage ausgezahlt verlangen kann.
Wo entsteht der Anspruch?
Im konkreten Fall waren es zwei Witwen, deren Ehemänner noch im laufenden Arbeitsverhältnis verstorben waren und beide noch offenen Urlaub hatten. Einer der beiden war bei einem öffentlichen Arbeitgeber, der andere bei einem privaten beschäftigt. Die Frauen behaupteten, der Urlaubsanspruch habe sich mit Ableben der Männer in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt, welcher direkt bei den Ehefrauen entstanden sei.
Völlig aus der Luft gegriffen hatte die Frauen diese Idee nicht. Denn der EuGH hatte schon 2014 entschieden, dass ein Urlaubsanspruch beim Tod des Arbeitnehmers sich in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umwandelt, der dann auch von den Erben gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden könne.
Ds deutsche Arbeitsrecht ist kritisch
Die deutschen Gerichte taten sich mit diesem Urteil des EuGH aber augenscheinlich schwer. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) verstand den Urlaubsanspruch bisher als persönlichen Anspruch des Arbeitnehmers, der der Erholung diene. Eine Vererbbarkeit von Urlaubsansprüchen hatte das BAG bisher nur anerkannt, wenn diese Ansprüche bereits beim Arbeitnehmer entstanden waren — wenn er also die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor seinem Tod noch "miterlebt" hatte.
Darauf beriefen sich die Richter des BAG trotz der recht eindeutigen Entscheidung des EuGH nun erneut und legten die Frage erneut zur Entscheidung vor. Die Argumentation der Richter: Das deutsche Erbrecht stehe entgegen. Außerdem gäbe es auch im Urlaubsrecht eine entgegenstehende Vorschrift, den § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (BurlG). Dieser müsse unangemeldet bleiben, wenn man die Vorgaben des EuGH befolgen wolle.
Die deutschen Gerichte stimmen zu
Mit seiner Weigerungshaltung steht das BAG zugegebenermaßen ziemlich alleine dar. Nicht nur die überwiegende Meinung in der Literatur hatte bereits eine unionsrechtliche Auslegung der entsprechenden Vorschriften im Lichte der Entscheidung des EuGH befürwortet, sondern auch verschiedene Landesarbeitsgerichte hielten dies für möglich. Sie hatten seit 2014 in diversen Fällen Erben von Arbeitnehmern einen solchen Zahlungsanspruch bereits zugesprochen.
Entsprechend verwundert scheint auch der Generalanwalt Bot des EuGH. Der hat nun seinen Antrag beim EuGH gehalten und die Entscheidung von 2014 bestätigt. Er halte, so Bot, den Urlaubsanspruch für ein vollwertiges soziales Grundrecht der Union. Stehe das nationale Erbrecht dem entgegen, so müsse eine Auslegung oder eine Nichtanwendung folgen. Für welchen Weg sich das BAG entscheidet, bleibt bis zur Entscheidung des EuGH offen.