Strafanzeige und Vorwurf der Rechtsbeugung gegenüber den Richtern des Landgerichts in der Sache Künast.
Das Urteil des Berliner Landgerichts im Fall Künast vergangenen Monat hat eine Protestwelle in der Gesellschaft hervorgerufen und stößt auch bei Juristen auf Kritik. Die Themen sind essentiell: Wieviel Hass muss ein Politiker aushalten? Welche Regeln gelten auf Facebook & Co? Nun müssen sich die Richter bald selbst verteidigen. Denn es wurde Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gegen die Richter des umstrittenen Urteils eingereicht.
Beleidigung oder sachliche Kritik?
Erst letzten Monat scheiterte die „Bündnis 90/ Die Grünen“-Politikerin Renate Künast vor Gericht mit einer Klage gegen Facebook auf Auskunft über die Daten verschiedener Facebook-Nutzer, die sie mit diversen Beschimpfungen überschüttet hatten. Nun zieht das stark umstrittene Urteil weitere Kreise.
Hintergrund der Klage war folgender: In der Kommentarspalte eines rechten Netzaktivisten, der einen Artikel der WELT über einen Vorfall mit Künast im Jahr 1986 teilte, wurde die Politikerin von zahlreichen Nutzern als „Drecks-Fotze“ bezeichnet, als „Stück Scheisse“ und „Pädophilen-Trulla“. Künast klagte gegen auf Auskunft der Benutzerdaten, um rechtliche Schritte einleiten zu können. Die Richter lehnten ihre Klage aber ab.
Grenze der Meinungsfreiheit
Die Kammer gelangte in ihrem Beschluss zu dem Ergebnis, dass die Kommentare allesamt von der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt und daher nicht rechtswidrig seien. Es handele sich um Reaktionen mit Sachzusammenhang, die zwar zum Teil polemisch und überspitzt seien. Künast habe dies aber provoziert. Dabei berufen sie sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Facebook aber ist nach dem Medienstrafrecht nur dann zur Herausgabe der Daten verpflichtet, wenn dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung der Ehre aufgrund rechtswidriger Inhalte (zum Beispiel durch Beleidigung oder üble Nachrede) erforderlich ist. Bei rechtmäßigen Meinungsäußerungen besteht ein Anspruch gerade nicht.
Medienrechtler kritisieren
Das Urteil wurde von Juristen zu Recht stark kritisiert. Zu Unrecht zitieren die Richter andere Entscheidungen, um ihr Urteil zu stützen – unter anderem eine Entscheidung des Landgerichts Hamburg aus dem Jahr 2017, das eine ähnliche Klage der AfD-Politikerin Alice Weidel ablehnte. Hintergrund war die Bezeichnung im NDR-Satiremagazin extra3 als „Nazi-Schlampe“, nachdem Weidel ein Pladoyer gegen politische Korrektheit gehalten hatte. Die Hamburger Richter hatten hier eine klar erkennbare satirische Auseinandersetzung mit Sachzusammenhang bejaht. Der Fall Künast liegt indes anders.
Insbesondere übersehen die Richter in ihrer Entscheidung, dass selbst bei einer Provokation durch das Opfer irgendwann ein Filter eingreifen muss. Sie kann überspitzte Auseinandersetzungen rechtfertigen – aber nur bis zu einem gewissen Grad. Wo bei der Bezeichnung „Drecks-Fotze“ der sachliche Zusammenhang zur Diskussion um Pädophilie gegeben ist, erschließt sich nicht. Auch liegt der Zwischenruf über dreißig Jahre zurück. Nach einer so langen Zeit kann kaum noch eine provozierende Wirkung vorliegen, die derart harsche Äußerungen rechtfertigt.
Strafanzeige der Anwälte
Vor diesem Hintergrund versteht sich auch die Klage gegen die beteiligten Richter – auch wenn der Vorwurf der Rechtsbeugung harsch erscheint. Auf der Webseite der Kanzlei heißt es, im Berliner Verfahren sei es um private Äußerungen bei Facebook gegangen, die weit überwiegend keine Auseinandersetzung mit der Sache darstellten, sondern schlicht Formalbeleidigungen seien. Der Berliner Beschluss würde in der Konsequenz die Beleidigung faktisch abschaffen, so die Anwälte.
Ob man eine Rechtsbeugung annehmen kann, bleibt höchst fraglich. Dass das Urteil in der nächsten Instanz abgeändert wird, erscheint dagegen sehr wahrscheinlich.