Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
20.11.2013

Zwei Rebellen, allein gegen Erfurt

Rebellion ist entweder eine persönliche Notwendigkeit (Pubertät), eine politische (Solidarnosz) oder ein Verbrechen (perspektivabhängig).

Wie passen Richter am Landesarbeitsgericht in das Schema?

Gleich zwei Rebellionen gibt es. Beide richten sich gegen das Bundesarbeitsgericht.

Bestandsaufnahme:

Der niedersächsische Rebell ist ein bekannter Richter, Gert-Albert Lipke. Er ist Präsident des niedersächsischen LAG und seit Jahren – aufgrund seiner bedeutenden Literaturbeiträge – als ¨Befristungspapst¨ bekannt.

Er rebelliert gegen den 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts. Der hat schon Anfang 2012 eine eher – unschöne Rechtsprechung in die Welt gesetzt (Urteil vom 15.2.2012, 7 AZR 734/10). Rechtssicher befristete Arbeitsverträge sind selten; nach Inkrafttreten des TzBfG gab es dazu aber eine neue Variante. Wer sich vor Gericht auf eine Befristung vergleicht – und Vergleiche sind nun einmal der Alltag beim Arbeitsgericht – der hat einen unangreifbar befristeten Arbeitsvertrag. Nun kann man Vergleiche mittlerweile nach § 278 Abs. 6 ZPO auch schriftlich vom Gericht beschließen lassen, streng genommen in zwei Varianten: Das Gericht schlägt vor, die Parteien nehmen an – oder die Parteien schlagen vor, das Gericht stellt fest. Man muss dann nicht erscheinen und spart viel Zeit und noch mehr Geld. Das letztere aber, meinte das BAG unter einem Hagel der Kritik, ist eben keine Befristung aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs. Weil es an einer „Mitwirkung des Gerichts fehle“.

Das wurde sauber begründet und ist trotzdem realitätsfern. Die Mitwirkung des Gerichts erschöpft sich letztlich auch bei Anwesenheit in der Protokollierung des Vergleichs. Aber so war und ist es eben.

Das LAG Niedersachsen sieht das jetzt anders. Wie der Pressemitteilung zum Urteil 1 Sa 489/13 vom 05.11.2013 zu entnehmen ist:

Die vom BAG vorgenommenen Einschränkungen widersprächen dem Wortlaut, der Gesetzgebungsgeschichte und dem Gesetzeszweck, gerichtliche Vergleichsabschlüsse zu erleichtern.

Das ist wohl so.

Der zweite Rebell ist vielleicht weniger bekannt – er heißt Reiner Müller – , aber auch argumentationsstark.

Er sitzt der 6. Kammer des LAG Baden-Württemberg vor und greift im Urteil vom 26. 09. 2013 (6 Sa 28/13) eine andere Entscheidung desselben 7. Senats auf. Danach wird das sog. Anschlussverbot nach § 14 Abs. 2 TzBfG abweichend vom Gesetz ausgelegt.

Heißt es im Gesetz mehr oder minder klar, noch nie dürfe man zuvor beim selben Arbeitgeber gearbeitet haben, liest das BAG „zuvor“ als „3 Jahre“ und hat damit eine Zeitgrenze einfach erfunden (Urteil vom 6.4.2011 – 7 AZR 716/09). Das findet das LAG Baden-Württemberg falsch. Und hat das in einem klaren Urteil auch so dargestellt. Man hat (ausgerechnet in Stuttgart, möchten Sie jetzt sagen, wie ich höre) auch sprachliche Probleme mit dem BAG:

Die Kammer teilt die semantischen Bemühungen des Bundesarbeitsgerichts nicht und hält den Wortlaut der Norm “bereits zuvor” für eindeutig, wie es der 7. Senat des Bundesarbeitsgericht in seiner früheren Rechtsprechung (Beschluss vom 29.07.2009 7 AZN 368/09 Rn. 2 der Gründe) noch vertreten hat, so dass die Vorschrift ihrem Wortlaut nach jegliche Vorbeschäftigung erfasst.

Das kann man auch so sehen.

Nur:  Was nützt die Rebellion?

Soll der fast vollständig neu besetzte Senat zum Nachdenken gebracht werden, seine neueste Rechtsprechung gleich noch einmal zu überarbeiten? Hat das Aussichten auf Erfolg?

Richter sind nicht an Urteile der höheren Instanzen gebunden. Das deutsche Recht kennt keine Präzendzfälle, eine Bindung besteht nur an Recht und Gesetz und deshalb darf keiner der Rebellen anders entscheiden, wenn es Recht und Gesetz nach ihrer –  hier sehr nachvollziehbaren – Überzeugung denn gebieten.

Aber die jeweils erfolgte Zulassung der Revision war zwingend.

Und deshalb wird der 7. Senat beide Urteile voraussichtlich wieder kassieren. Dann hat es nichts genutzt. Außer, den Parteien die Kosten erhöht zu haben.

Also was nützt die Überzeugung des einzelnen Gerichts, wenn die Verfahrensordnung eine einheitliche Rechtsprechung doch zu erzwingen vermag? Ist das ein Sturm im Wasserglas, ein Zwergenaufstand, überflüssig, vergeblich? Echte Rebelllen, wie am LAG Düsseldorf, versuchen doch, manches Mal erfolgreich, das BAG zu umgehen, über Luxemburg etwa. Hier nicht. Man will nur – dass das das höchste deutsche Gericht die Argumente noch einmal wägt, die es sowieso schon einmal erwogen hat.

Trotzdem und gerade deshalb: Es ist richtig. Nicht, weil man in der Sache unbedingt bei den Rebellen sein muss, auch wenn vieles für sie spricht. Nein, weil ohne richterliche Unabängigkeit, ohne ein mit Autorität formuliertes Widerwort gegen die vermeintlich noch höhere Autorität, das Justizsystem seine Selbstkontrolle verliert. Immer und immer wieder  muss man als falsch erkannte Dinge in Frage stellen. Ob zu Recht, ob erfolgreich: Darum geht es nicht. In einem erstinstanzlichen Verfahren vor einem Arbeitsgericht meinte die Vorsitzende zu mir, die angesprochenen Grundsatzfragen wären einer Vertiefung wert. Aber was nütze es, letztlich würden eben Landes- und Bundesarbeitsgericht entscheiden, also mache sie es so wie immer.

Ich hätte antworten können, dann müsse sie sich einen anderen Job suchen. Stattdessen zuckte ich nur mit den Schultzern.

Draußen fragte der Mandant:

Wozu ist die dann da?

Ja, wozu eigentlich?