Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
17.09.2013

Wozu Tarifrecht gut sein kann

Wir wollen ja nicht miesepetrig sein. Wenn wir den Tarifparteien die Fähigkeit – ja Zuständigkeit – für die Mindestlohnfrage absprechen, wozu sollen sie dann gut sein? Ist der Spaßfaktor im Arbeitsrecht ohne Tarifvertragsparteien nicht höher?

Überlassen Sie diese Diskussion anderen. In der Praxis kann Tarifrecht vielfach mehr als Politik. Das betrifft die Reaktionszeiten ganz besonders, wie das „Werkvertragsproblem“ zeigt.

Die tatsächliche oder angebliche Aushöhlung von Löhnen durch Werkverträge ist seit gut zwei Jahren in der Politik und jetzt auch im Wahlkampf angekommen. Das kann man verstehen, wenn man die Ausgangslage sieht:

Statt meinen Tariflohn von 14 EUR zu bezahlen, gebe ich bestimmte Arbeiten einem Unternehmen, das es auch für 10 EUR kann. Ich muss nur definieren, dass es eine bestimmte Arbeit zu machen hat. In einer bestimmten Zeit womöglich auch. Und das ganze „Werkvertrag“ nennen. Die Jurastudenten seit mehr als einem Jahrhundert quälende Frage, wo eigentlich der Unterschied zwischen Dienst- (§§ 611 ff. BGB) und Werkvertrag (§§ 631 ff. BGB) liegt (im Erfolg, ist klar, deshalb ist der Anwaltsvertrag ebenso wie der Arztvertrag ja ein Dienstvertrag…), macht dieses Schlupfloch erst möglich. Der Lohn, der dort gezahlt wird, ist mir egal. Warum? Nun, solange das Unternehmen („Werkunternehmer“) seine Leute selbst anleitet, ist das ganze keine Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG. Das setzt nämlich die Übertragung des Direktionsrechts (das ist das Recht, meine Arbeitnehmer anzuleiten) voraus. Im AÜG wäre eine Tariflohnunterschreitung nicht möglich, es sei denn, der Werkunternehmer hat selbst einen Tarifvertrag. So meinte man, dieses Loch gestopft zu haben.

Nun tauchen Leute auf, die wie alle anderen Arbeitnehmer am Fließband arbeiten. Oder beim Entbeinen (das Lösen des Fleisches aus dem Knochen des Tierkadavers…). Oder auf einer Werft. Sie würden von außen den Unterschied gar nicht erkennen – aber viele davon sind Werkvertragsarbeiter. In der reinsten Form sind sie selbst der Unternehmer. Als Einzelperson. Da gehen auch 3 EUR/Stunde. Oder noch weniger. Simpel gedacht, könnte man einfach die Definition von „Arbeitnehmerüberlassung“ erweitern; das wäre allerdings ein kurzer Sprung. Sie hätten dann keine Möglichkeit mehr, etwa arbeitsteilig Bauwerke zu errichten. Der Elektrounternehmer, der die Verkabelung im von Bauunternehmer U errichteten Bürohaus übernimmt, ist eben ein „echter“ Werkunternehmer und man kann nicht seine Existenz ausradieren, indem man ihn zum Leiharbeitnehmer macht.

Während die Politik jetzt entdeckt, dass das Problem ganz schön vertrackt (und als Umgehungsstrategie deshalb so schlau) ist – sieht man von der Heinrich-Böll-Stiftung einmal ab – haben die Tarifpartner reagiert. Mit einem Tarifvertrag.

Wie die Süddeutsche Zeitung meldet, ist auf der Meyer-Werft in Papenburg der erste Tarifvertrag für Werkvertragler abgeschlossen worden. Trauriger Anlass war wohl ein Brand, bei dem zwei (rumänische) Werkvertragler umkamen. Man wählt einen indirekten Weg, etwa den, dass der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte hat, um zu prüfen, ob der Werkunternehmer tatsächlich einen tariflich festgelegten Lohn (8,50 EUR) zahlt. Indirekt deshalb, weil natürlich kein Tarifvertrag den angeheuerte Werkunternehmer ohne seine Zustimmung direkt binden kann. Das kann funktionieren und wirkt schneller und effektiver als jede politische Änderung, die ein unvollkommenes Gesetz produzieren wird und letztlich muss.

Schade: Am Tag der Pressemeldung war auf der IG-Metall-Homepage nichts zu finden. Dabei hätte man hier endlich mal Anlass zum Eigenlob gehabt.