Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
01.12.2010

Wovon wird einem schlecht im Arbeitsrecht?

 Nicht zu viel Polemik: der Autor leidet an einer Magen-/Darmgrippe oder ähnlichen Indisposition. Deshalb gibt es allen Anlass, mir Gedanken zu machen, aus welchen anderen Gründen einem Arbeitsrechtler noch schlecht werden könnte. Zwei aus jüngster Zeit sind mir eingefallen. Man kann sie wie folgt zusammenfassen:

“Und warum zum Teufel kann man da eigentlich nichts machen?”

Gefunden habe ich:

Das LAG Schleswig-Holstein (Urteil v. 26.10.2010 - 3 Sa 315/10) - nicht “mein Fall” -, in dem ein offenbarer Schlechtleister, der drei Abmahnungen erhalten und bei einer Anhörung des Arbeitgebers zu einem erheblichen Schaden dreist gelogen hatte nicht - wir wiederholen: nicht - gekündigt werden kann. Ja, vertretbar ist ja alles. Abmahnung Nr. 4 soll er jetzt bekommen. Was soll das eigentlich? Ja, gut - Abmahnungen müssen jeweils den gleichen Leistungsbereich betreffen wie der Kündigungssachverhalt. Dogmatik ist schön, Fairness ist besser: Das Arbeitsgericht Lübeck hatte ihn über die Klinge springen lassen. Recht so! Irgendwann ist das Maß voll - jenseits aller Dogmatik. Warum kann man hier nicht kündigen?

Das Arbeitsgericht Berlin, das aber als Institution unschuldig ist. In diesem - meinem eigenen - Fall gab es eine GmbH. Sie war klein: Außer dem an Krücken gehenden Geschäftsführer (und Alleingesellschafter) von über 70 Jahren an Lebensalter hatte sie einen einzigen Mitarbeiter. Der hatte natürlich eine erhebliche Betriebszugehörigkeit und damit 7 Monate Kündigungsfrist. Ok.

Der Geschäftsführer verstirbt und hinterlässt eine Witwe mit ein paar Hundert Euro Rente. Das Unternehmen hatte keine Aufträge und keine Einkünfte mehr. Die Witwe will mit dem über Jahrzehnte aufgestauten Bilanzwust der GmbH keine Insolvenz anmelden. Sie redet mit dem Arbeitnehmer und verschafft ihm zwei Jobangebote - ab sofort - mit besserer Bezahlung als in seinem alten Arbeitsvertrag. Der Mann lehnt ab und fährt erst einmal in Urlaub. Die Witwe kündigt mit verkürzter Frist (Insolvenzvermeidung) und der Arbeitnehmer - klagt natürlich. Die Darlegungen ihrer Situation interessieren ihn nicht. Die Jobangebote seien bei kleinen Unternehmen (!) gewesen, das interessiere ihn nicht, da habe er keine Perspektive. Er bestehe auf seiner Frist. Außergerichtlich wird dann über Vergleiche gesprochen. Einlassung der Gegenseite: “Ich werde vom Arbeitsamt alimentiert. Nur Ihre Mandantin hat ein Problem, ich bin ganz entspannt und habe kein Prozessrisiko”.

Stimmt’s noch? Ja - die Kündigung ist nicht möglich, jedenfalls nicht bei abgekürzter Frist. Aber warum eigentlich nicht? Wo bleibt da die Fairness? Der Mann hätte problemlos weiterarbeiten können, für mehr Geld, und wenn ihm die Läden zu klein waren - na ja, wo hat er denn bisher gearbeitet? Nichts zu machen. Rechtlich.

Das sind systemische Defizite.