Was bewegt den Anwalt? Klare Antwort: Unnütze Zeitverschwendung bei juristischer Haarspalterei. Was ist besonders geeignet für dieses dirty hobby? Klar, Zustellungen, vor allem wenn man dabei noch Kollegen anpampen kann.
Das ist natürlich ein Vorurteil.
Die meisten Anwälte haben einen zu engen Zeitplan oder einfach zu viel erlebt, um ständig private Feldzüge zu führen. Aber in einem großen Dorf im Norden Deutschlands, nennen wir es B., gibt es so viele Anwälte, dass sich ein paar halten konnten, die der Welle der Gleichgültigkeit Widerstand leisten. Das Leben ist nicht leicht für die Legionen von anderen Anwälten, die in den benachbarten römischen Lagern Charlottenburgica, Wilmersdorfa und Sonstwox dienen. Denn die im Dorf haben ein Zaubermittel. Es ist das Faxgerät.
Ihr Häuptling, Pampix, war letzte Woche wieder tätig.
Er ist kein Arbeitsrechtler, so dass man sagen könnte, wir spielen nicht in derselben Mannschaft, darum verstehen wir uns vielleicht nicht. Allerdings konnten wir auch nichts Böses ahnen: Wir wollten nur einen Vergleich zustellen, aus dem unsere Mandantschaft dann vollstrecken könne – in der Hoffnung, den läppischen Betrag auch so zu erhalten, ohne zu pfänden. Der Gegner ist solvent und nicht flüchtig. Der Vergleich selbst war ein recht simpler und der Kollege im Termin angenehm, verhandlungsstark und sachkompetent aufgetreten: Unsere Mandantin bekommt X Euro, die Kosten werden gegeneinander aufgehoben (kannten die beim Landgericht auch, ich war beeindruckt), alle Forderungen, die aus der rein geschäftlichen Beziehung resultieren, sind damit erledigt.
Vielleicht sollte ich Vertretungen für Zivilisten endgültig sein lassen (wenn die nicht dauernd in Urlaub wären, könnte ich das sicher auch umsetzen). Denn damit ging es erst los.
Weil die Kohle nicht kam, tat unsere Sekretärin, was sie tun musste: Sie schickte eine beglaubigte vollstreckbare Ausfertigung an Pampix. Mit einem Empfangsbekenntnis dazu. Das ist ein DIN-A-4-Blatt, auf dem ein paar Sachen angegeben sind und auf dem groß vermerkt ist
„…bitte per Telefax am 030/xxx zurücksenden…“
Großer Fehler. Es kam nichts.
Erinnerungsfax nach ein paar Tagen:
„…Sehr geehrter Herr Koll. Pampix, leider ist das am … übersandte Empfangsbekenntnis noch nicht zu unseren Akten gelangt. Es lag der Zustellung bei und kann per Telefax an uns zurückgesandt werden…“
Als hätte sie vor ihrem Urlaub nicht genug zu tun, legt mir unsere Sekretärin entgeistert das 5 Minuten danach gefaxte Antwortschreiben hin:
Sehr geehrte Herren Kollegen,
meine Mandantin macht von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch,
mit freundlichen koll. Grüßen
Gut, dass er jetzt schon damit kommt. Mal abgesehen davon, dass es keine Forderungen gibt (siehe Ausgleichsklausel) und auch Pampix keine kennt (sonst hätte er sie ja mal aufschreiben können): Wo ist mein EB?
„Sehr geehrter Herr Koll. Pampix,
vielen Dank für ihr Schreiben vom…Unabhängig davon liegt das erbeten EB immer noch nicht vor. Wir bitten um Zusendung, gerne per Telefax…“
Die Antwort (30 Minuten danach):
Sehr geehrter Herr Koll. Reuter,
hiermit lasse ich sie wissen, dass ich mich an solchen Formen der Zustellung, die alle Kosten der Zustellung alleine auf den Empfänger abwälzen, nicht beteiligen werde.
Mit koll. Hochachtung
Erster Eindruck: Eine Flatrate für Ortsfaxe innerhalb des Netzes der Deutschen Telekom hat er definitiv nicht gebucht.
Aber wir haben uns erst einmal gefragt – was meint er? Da hätten wir genauer lesen und ihn ernst nehmen müssen; die meisten Menschen, die solche Korrespondenzen führen, wollen im Grunde ja nur ernst genommen werden. Dass es ihnen nicht gelingt, ist eine tragische self-fulfilling-prophecy, denn es liegt ja eben an dieser Art der Kommunikation…also: Wenn wir angemessen ernst genommen hätten, dann hätte unsere allzu höfliche Belegschaft nicht noch eine Mail mit dem nochmaligen Hinweis geschickt, man könne gerne auch per Fax zurücksenden. Es konnte sich wohl keiner vorstellen, dass die Kosten eines Telefaxes erheblich sind, wenn der Koll. Pampix schon zwei Telefaxe für hirnfreie Korrespondenz aufwendet. Da wäre ja ein Telefax billiger…aber egal. Er schickt noch eins:
Sehr geehrter Herr Koll. Reuter,
ich verweise auf mein letztes Schreiben,
Mit koll. Hochachtung
Uff. Dann gibt’s eben eins mit frankierter Zustellkarte (dafür kann man ohne Flatrate sicher 10 Faxe schicken, wenn es reicht, aber jedenfalls zahlen wir ja jetzt); zum Glück liegen noch ein paar von den Dingern mit einem schönen Soldan-Schriftzug in irgendeiner Schublade. Aus vergangenen Tagen.
Aber es nagt:
Machen wir seit Jahren etwas falsch außerhalb des kleinen Dorfes? Oder genauer: Muss ein Anwalt einem anderen ein EB zurücksenden, auch, wenn ihn die gar schrecklichen Kosten dafür treffen? Zugegeben: Eine mögliche Antwort ist: Er sollte es einfach machen (gerne per Telefax) und besser schlafen. Er würde dann auch das elfte Gebot nicht verletzen (“Du sollst Deinen Mitmenschen nicht ständig auf den Füßen rumtrampeln”). Aber muss er? Im Sinne von – gesetzlich müssen?
Wie so vieles, was wir von den Vorvätern übernommen haben, ist das EB mit dem Faxhinweis seit der ZPO-Reform 2002 mehr eine überkommene, unbeanstandete Tradition. Aber ist es wirklich denkbar, dass man auf eigene Kosten – wir wollen es nicht aussprechen. Die Bedienung des Faxgerätes ist ja auch komplex, weshalb die Zumutbarkeit vielleicht von anderen als nur Kostenfaktoren beeinflusst wird. Jedenfalls muss eine Antwort gefunden sein. Es gibt nämlich da ein dummes Problem: Das Empfangsbekenntnis muss man schon haben. Jedenfalls für eine Vollstreckung mit Überweisung.
Blick ins Gesetz (§ 195 ZPO):
§ 195 Zustellung von Anwalt zu Anwalt
(1) Sind die Parteien durch Anwälte vertreten, so kann ein Dokument auch dadurch zugestellt werden, dass der zustellende Anwalt das Dokument dem anderen Anwalt übermittelt (Zustellung von Anwalt zu Anwalt)…(*)
(2) Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift versehene schriftliche Empfangsbekenntnis des Anwalts, dem zugestellt worden ist. § 174 Abs. 4 Satz 2, 3 gilt entsprechend. …
Ratlos:
Ein Hinweis auf die Kosten findet sich da nicht. Es heißt nur, das EB „genüge“. Toll. Es genügt nicht – man braucht eins. Dringend. Wie bekommt man es?
Wir haben den Vorschlag eines – nicht in unserer Sozietät tätigen – Strafverteidigers abgelehnt, einen gewissen (Dauer-)Mandanten von ihm mit der Zustellung zu beauftragen und den Auftrag darauf explizit zu erweitern, dass das EB mit der Unterschrift des Pampix darauf zurückzukommen habe.
Aber das Gesetz wie die Literatur, die so greifbar ist, lassen einen im Stich. Dunkel erinnere ich mich an Besserwisseraufsätze in der NJW vor einem Jahrzehnt. Müsse man dem Gericht wirklich so weit entgegenkommen, dass man das EB auf eigene Kosten faxt (der Schauder hallt durch die Zeiten)? Ging aber an mir vorbei (wir haben einfach ab sofort gefaxt), die Sache muss sich auch irgendwie beruhigt haben. Aber wenigstens kann man – wohl eine Spur dieser Besserwisserei – im Zöller nachlesen: § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO laute ja jetzt:
Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift des Adressaten versehene Empfangsbekenntnis, das an das Gericht zurückzusenden ist.
Hervorhebung von mir. „Ist“ heißt: „muss“. Man darf über die unendlichen Kosten jammern, die das Fax verursacht, aber man muss trotzdem. Wenn auch unter Tränen und mit einer Hand am Telefonhörer zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Leider verbietet das – vielen im Justizapparat oft fremde – Grundgesetz in Art. 102 GG eine Sanktionierung der Typen, die das (Zurücksenden) nicht tun, aber das ist egal: § 174 Abs. 4 ZPO befasst sich mit EB’s an Gerichte. Nicht an Anwälte. Dennoch keimte Hoffnung: Da oben steht ja – in § 195 ZPO -, Sie haben es sicher auch gelesen, dass verwiesen werde auf diesen § 174 ZPO. Hoffnung.
Aber sie starb sofort.
Wie Sie selbst sehen können: Der Verweis gibt nur für Absatz 4, Sätze 2 und 3. Das apodiktische, wilhelminisch-autoritäre „ist“, die diktatorische Anordnung eines Gesetzgebers, der die Gefühle von Rechtsanwälten missachtet also, dieses „ist“, das fehlt bei der Anwaltszustellung.
Das kann einen schon verzweifeln lassen. Um so einen Schwachsinn zu recherchieren, nimmt man sich normalerweise 5 Minuten Zeit. Ein Dead End ist aber dennoch nicht akzeptabel. Der Münchener Kommentar führt dann auf eine neue Spur:
Die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses ist Standes- nicht aber Prozesspflicht
Standesrecht? Ja: Haben wir doch auch. Das heißt irgendwie so…Berufsordnung? Genau. Die Berufsordnung für Rechtsanwälte. Mal schauen. Tatsächlich gibt es da eine ganze Vorschrift (§ 14 BORA):
§ 14 Zustellungen
Der Rechtsanwalt hat ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen.
Alles Pampix oder was?
Da steht nichts von „Kosten“. „Hat“ ist mindestens so kaiserlich wie „ist“. Fast schon stalinistisch!
Darf ich mich jetzt im Recht fühlen?
Das ist mittlerweile auch egal: Wir warten jetzt seit Montag letzter Woche auf die vorfrankierte Postkarte mit dem EB. Vielleicht ist das doch keine rechtliche Auseinandersetzung?
Lieber Kollege: Die Nummer meines Strafverteidigerkumpels habe ich noch…
Fussnote
(*) Cooler Klammerzusatz, nicht wahr? Da wäre ohne gesetzgeberische Erläuterung auch niemand drauf gekommen…