Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
16.11.2011

Wir haben ihn als desinteressierten, motivationslosen Mitarbeiter kennen gelernt

Nichts ist geheimnisvoller als das Arbeitszeugnis. Jeder hat etwas dazu zu sagen. Es gibt sogar ein ganzes Portal: www.arbeitszeugnis.de. Benutzung auf eigene Gefahr.

Im Internet kann man auch sonst haufenweise (teils wilde) Theorien lesen, was diese oder jene Formulierung bedeuten solle. Das meiste ist – unüberprüfbarer Humbug. Der mittlerweile legendäre (und u.a. von mir selbst durchgeführte) Test am lebenden Objekt besteht darin, dass man zwei erfahrenen Personalern denselben Zeugnistext vorlegt, ihnen jede Kommunikation verbietet und nach 15 Minuten zu ihrer Bewertung des Zeugnisses befragt. Die Ergebnisse sind ernüchternd, vor allem, weil sie nie übereinstimmen.

Die wenigsten Zeugnisformulierungen sind zudem „justiziabel“. Die Rechtsprechung beschränkt sich überwiegend darauf, eine Struktur – widerspruchsfrei, einem bestimmten Aufbau folgend – anzuordnen. Das hält die Verschwörungstheoretiker nicht von neuen, innovativen Zeugnisklagen ab – diese vorsätzliche Justizbelästigung hat uns ja auch schon Regeln dazu beschert, ob man Zeugnisse falten darf (ja, aber nur zweimal) oder eine Gruß- und Dankesformel braucht (BAG: nein, aber strittig).

Solche Rechtsstreitigkeiten braucht kein Mensch, und die Menschheit insgesamt bringt man damit auch nicht vorwärts.

Dasselbe gilt für die neueste Volte. In der Entscheidung des BAG vom 15.11.2011 (9 AZR 386/10) hieß es:

„…Wir haben den Kläger als sehr interessierten und hochmotivierten Mitarbeiter kennen gelernt, der stets eine sehr hohe Einsatzbereitschaft zeigte. Der Kläger war jederzeit bereit, sich über die normale Arbeitszeit hinaus für die Belange des Unternehmens einzusetzen. Er erledigte seine Aufgaben stets zu unserer vollen Zufriedenheit…“

Au wei, der Verschwörungstheoretiker dreht da durch. Oberflächlich ist das ein „gut“ („stets zu unserer vollen Zufriedenheit…“) – aber „interessiert“, „motiviert“ – das sind Geheimcodes, die müssen das Gegenteil bedeuten, denn wer ist in der heutigen Arbeitswelt noch interessiert oder motiviert? Die Hervorhebung dieser weiland positiven Eigenschaften muss einfach schädlich sein. Und überhaupt: „kennen gelernt“ – kann man Distanz noch größer ausdrücken?

Also klagen.

Allerdings ohne Erfolg. Lapidar teilt das BAG mit, die Formulierung lasse objektiv nicht erkennen, dass mit „motiviert“ und „interessiert“ etwas anderes als eben das gemeint sein, vor allem nicht „desinteressiert“ und „demotiviert“.

Bleibt nur: Wer hat da warum geklagt und wer hat den Quatsch über drei Instanzen finanziert? Jetzt fragen Sie nicht: Warum hat der Arbeitgeber nicht einfach nachgegeben? Der hat auch seinen Stolz!

Zum selben Thema: Thorsten Blaufelder: http://www.kanzlei-blaufelder.com/bag-jemanden-%E2%80%9Ekennengelernt-haben%E2%80%9C-muss-nicht-negativ-sein/