Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
15.11.2010

Widerrufe! Abmahnungsprozess extrem

(Natürlich) in Bayern - ein Abmahnungsprozess ist nicht genug. Wer eine Abmahnung bekommt, fühlt sich geschmäht, beleidigt und - äh…, gemobbt? - und sinnt auf Rache. In einer Abmahnung steht drin, was man alles falsch gemacht haben soll. Dagegen kann man klagen, aber eben genau genommen nur auf “Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte”. Manchen reicht das nicht: Der Arbeitgeber soll Abbitte leisten. Er soll zumindest betriebsöffentlich erklären, er habe sich geirrt. Rehabilitation (oder Satisfaktion?) ist das Stichwort.

Geht das?

In der Praxis nicht.

Das LAG München (Urteil vom 22.09.2010 - 11 Sa 520/09) verneint im Einzelfall einen solchen Anspruch. Worum geht es da?

Bevor diese Frage beantwortet wird: Der Fall hat lustige Marotten. Der Tatbestand des Urteils lautet auszugsweise:

“Der Kläger war seit dem 15.03.2003 bei der Beklagten in der Funktion eines Prüfungsleiters der „Internen Revision” zu einem Monatsgehalt in Höhe von 0,- € brutto beschäftigt.”

Das ist wohl ein sittenwidriges Gehalt, aber vielleicht auch nur eine eigenwillige Art, Urteile zu anonymisieren.

Ebenso lustig ist, dass die streitgegenständlichen Abmahnungen aus dem Jahr 2003 stammen. So lange streitet man sich schon. Nicht zum Besten des Arbeitgebers, wie eine weitere Passage aus dem Tatbestand berichtet:

“Mit Schlussurteil vom 09.08.2005 verurteilte das Arbeitsgericht München (8 Ca 402/04) die Beklagte u. a. dazu, beide Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen und zu vernichten. Am 22.12.2003 erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger eine außerordentliche, hilfsweise fristgerechte Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen…Am 10.08.2005 erklärte die Beklagte erneut vorsorglich eine außerordentlich betriebsbedingte Kündigung, hilfsweise eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung…Mit Schlussurteil vom 09.08.2005 (8 Ca 402/04) und Endurteil vom 30.05.2007 (20 Ca 13029/05) stellte das Arbeitsgericht die jeweilige Rechtsunwirksamkeit der erklärten Kündigungen fest…Sämtliche vorgenannten Gerichtsentscheide sind zwischenzeitlich nach zum Teil durchgeführten Berufungs- und Revisionsverfahren zugunsten des Klägers, bezogen auf die vorgenannten Abmahnungen und Kündigungen, rechtskräftig entschieden, insoweit gestellte Auflösungsanträge wurden letztlich ebenso rechtskräftig zurückgewiesen. Zu weiteren nachfolgend erklärten Kündigungen sind noch Verfahren, neben anderen Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien, anhängig…”

Da hat es richtig gekracht.

In diesem bescheidenen Prozess wollte der Kläger mehr als nur die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Nach seiner Darstellung hatte die Geschäftsleitung den Umstand der Abmahnung und auch das Abmahnschreiben selbst im ganzen Konzern verteilt. Seine Ehre sei gekränkt, Heilung sei nur zu erwarten, wenn an denselben Verteiler auch kommuniziert werde, dass die Abmahnungen unberechtigt seien.

So einen Widerrufsanspruch gibt es in der Tat. Das BAG hat ihn sogar einmal anerkannt (Urteil vom 15. 4. 1999 - 7 AZR 716/97), aber, soweit wir wissen, noch nie zugesprochen. Im Urteil von 1999 wurde darauf verwiesen, dass regelmäßig (ein Lieblingswort der Richterschaft) keine fortgesetzte Rechtsbeeinträchtigung mehr bestehe, wenn die Abmahnung bereits im Abmahnungsprozess gerichtlich eingestampft sei.

Das LAG München kommt hier zu demselben Ergebnis. Allerdings - da sind schon ein paar Zweifel gestattet. Denn die Behauptung stand wirklich im Raum, dass die Abmahnung quer über den Konzern gestreut worden war. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine gewisse Rufschädigung durchaus eingetreten. Es ist auch nicht unmöglich, denselben Empfängern der eMails einen Widerruf zu senden (das ist sogar ziemlich einfach…) - und es wird dadurch nicht gehindert, dass es sich dabei eventuell um andere Konzernunternehmen handelt. Wenn das LAG anführt, insoweit seien “Dritte” betroffen, in deren Rechte der Arbeitgeber nicht eingreifen könnte, ist das die Lage in jedem Widerrufsfall. Es macht den Widerruf nicht unmöglich. Auch an anderer Stelle hakt die Begründung. Es ist interessant, zu argumentieren, die Abmahnungen selbst seien nicht beleidigend oder unangemessen formuliert - darum geht es aber nicht. Allein die Tatsache, dass die Abmahnungen weithin publiziert waren, beeinträchtigt einen Mitarbeiter negativ, da kann man ihm gefühlsmäßig schon folgen - dass Abmahnungen ein rechtsförmliches Verfahren seien und deshalb grundsätzlich ungeeignet, Persönlichkeitsrechte zu verletzen, ist auch eine interessante Idee - aber überzeugend ist sie nicht.

Nein, hier hat man mit brillanten Sätzen (die Urteilsgründe greifen sogar auf das Reichsgericht zurück) versucht, kein Fass aufzumachen und nicht klaghungrigen Anwälten neue Prozessfronten und Verdienstmöglichkeiten zu eröffnen. Das ist unterstützenswert, der Abmahnungsklagewahnsinn ist ohnehin absurd. Warum sollte man gegen etwas klagen dürfen, das erst bei einer Kündigung überhaupt relevant wird? Nun, Vernunft wird hier nie einkehren. Ruhe auch nicht. Das LAG hat die Revision verwehrt, aber zugelassen wird sie vielleicht doch noch? Selbst, wenn nicht: Das Dilemma ist eindeutig - lässt man die Abmahnungsklage zu, handelt man sich auch die Folgeprobleme ein. Sollte der Arbeitgeber wirklich berechtigt sein, die Abmahnung durchs ganze Unternehmen zu posaunen? Im Äußerungsrecht gilt, dass man nicht mal Wahrheiten ungestraft immer verbreiten darf. Wer manchen Stasimitarbeiter einen nennt, hat schnell auch dann einen Unterlassungsanspruch an der Backe, wenn das schlicht wahr ist. Weil sein “Persönlichkeitsrecht” verletzt ist. Der Arbeitnehmer, der an den Pranger gestellt wird, soll anderes erdulden müssen? Richtig - aber überzeugend begründen kann man es trotz Reichgericht einfach nicht.