Weiterbildung ist en vogue. Sie füllt Extraseiten in den Tageszeitungen und immer wieder Kolumnen in deren “Rechtstipps”. Im Streit steht sie immer, wenn sie teuer war und ein Arbeitnehmer - weil er sich an irgendeine Vereinbarung nicht gehalten hat - die Kosten (evtl. zu einen Teil) zurückzahlen soll (die berühmte “Rückzahlungsvereinbarung”). Darüber kann man dann auch eine Menge in den Rechtstipps lesen. Nur: Nachher ist man nie schlauer als vorher.
Warum eigentlich?
Wir werden es hier nicht beheben, denn - die Antwort ist ja so profan und sie gilt für andere (vermeintliche) Banalitäten ebenso - etwa das Urlaubsrecht oder das Arbeitszeitrecht: Es ist einfach wirklich kompliziert und auch Jahrzehnte nach Gründung der Republik wissen wir immer noch nicht genau, welchen Regeln sog. Rückzahlungsklauseln unterliegen.
Deshalb wurde der jüngste Fall auch durch alle Instanzen gejagt (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Januar 2011 - 3 AZR 621/08). Auch viele Fachbesprechung (jedenfalls in Blogs) lassen aber allenfalls erahnen, wo die Probleme in diesen Fällen wirklich liegen; teils werden die Pressemitteilungen des BAG nur umformuliert, aber nicht erläutert, teils wird mit Überschriften “Arbeitnehmer muss Weiterbildungskosten zurückzahlen” der - leider falsche - Eindruck erweckt, das sei jetzt eben so und auch ziemlich unumstößlich.
Der Sachverhalt, den das BAG jetzt entschieden hat, ist (mit einer Besonderheit) recht austauschbar und liest sich so:
“Der Beklagte war seit Februar 2002 ..beschäftigt. Im Juni 2006 schlossen die Parteien eine Lehrgangsvereinbarung über die Teilnahme des Beklagten an einem Studiengang … Danach hat der Kläger die Lehrgangs- und Prüfungsgebühren zu tragen und den Beklagten zur Teilnahme an dem Studiengang unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen; der Beklagte hat dem Kläger diese Leistungen zu erstatten, wenn er auf eigenen Wunsch vor dem Abschluss der Ausbildung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Der Beklagte absolvierte in einem Zeitraum von ca. acht Monaten zwei jeweils ca. fünfwöchige Ausbildungsabschnitte. Danach kündigte er das Arbeitsverhältnis und nahm an dem zeitlich später liegenden dritten und letzten Ausbildungsabschnitt nicht mehr teil.”
Das BAG verurteilte den Menschen zur Zahlung. Solche Rückzahlungsklauseln werden seit einigen Jahren am Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemessen (insbesondere § 307 BGB). Die Rechtsprechung hat für ihre Wirksamkeit ein paar Regeln aufgestellt, die eine Menge Missverständnisse erzeugen können.
Am häufigsten geht es um die sog. Bindungdauer. Wer jemandem eine Fortbildung bezahlt, erlegt ihm auf, dass er innerhalb einer bestimmten Frist nicht kündigen darf. Geschieht das doch, muss er die Kosten anteilig zurückzahlen (drastischere Klauseln verzichten auf das Wort “anteilig” und sind schon deshalb unwirksam). Darf man das? Im Prinzip schon (nach Radio Eriwan). Aber: Jede Klausel ist schon dann unwirksam, wenn nicht die Ausbildung
- 1. Für den Arbeitnehmer einen geldwerten Vorteil hat, oder
- 2. Er beim Arbeitgeber dadurch eine höhere Vergütung erlangen kann oder
- 3. Die Ausbildung für ihn auch bei anderen Arbeitgebern von Vorteil ist
So sieht es z.B. BAG, Urt. v. 14.01.2009 - 3 AZR 900/07, Rd.-Nr. 16.
Nur, da fängt das Problem ja schon an: Was soll denn das heißen? Der Unterschied zwischen 1 und 3 ist bereits nicht klar. Außerdem ist jede Fortbildung doch mehrseitig. Sie nützt immer auch dem Arbeitnehmer. Ansonsten könnten die Tageszeitungen ihre Extraseiten am Sonntag ja einstampfen. Natürlich überwiegt der Nutzen z.B. beim berühmten Elektroschweißerschein auf Arbeitgeberseite - den ließen sich die Arbeitgeber früher immer mit einer Rückzahlungsklausel versehen, obwohl es ihnen nur darum ging, halt einen Elektroschweißer zu haben. Auf den zweiten Blick aber: Meine Bewerbungschancen steigen dann aber offensichtlich im nächsten Unternehmen, wenn ich den Schein schon habe. Die Rechtsprechung hat trotzdem die Rückzahlungsklausel platzen lassen. Wie soll man den Nutzen also bestimmen? Abwägung (umfassend!), sagen die Arbeitsgerichte. Unvorhersehbar, sagt der Arbeitgeber dazu. Und lässt es vielleicht bleiben.
Überspringt man schon diese Hürde nicht, dann kommt man demnach gar nicht mehr zum Problem der Bindungsdauer.
Bei dieser “Bindungsdauer” kann man in einschlägigen Handbüchern (auch im Personalbuch von Küttner, dem besten, was der Markt zu bieten hat) Tabellen wie etwa die Folgende sehen, die Bindungsdauer und Länger der Fortbildung in Relation setzen:
Fortbildungsdauer in Monaten | Bindungsdauer in Monaten |
bis zu 1 | bis 6 |
bis zu 2 | bis 12 |
3-4 | bis 24 |
6-12 | bis 36 |
24 und mehr | Maximal 60 |
(Hier entnommen dem Aufsatz des Kollegen Andreas Schönhöft [”Rückzahlungsverpflichtungen in Fortbildungsvereinbarungen”], NZA-RR 2009, 625, den wir nur dringend empfehlen können).
Aber - was heißt eigentlich “Fortbildungsdauer”? Gefahr droht:
Uns ist da neulich einer unbeabsichtigt in die Falle gegangen. Der betroffene Arbeitgeber (oder sein Justiziar) hatten sich an die Tabelle gehalten, aber ihren Hintergrund leider nicht verstanden, weil er selten klar herausgestellt wird: Das BAG jedenfalls meint mit “Fortbildungsdauer” keineswegs etwas 1 Jahr, nur weil ein Kurs vom 1.1. bis 31.12. geht; nein: Diese Dauer ist die Dauer, für die ein Arbeitgeber zu Kurszwecken bezahlt freistellt, und zwar i.d.R. ohne Urlaubsverluste für den Arbeitnehmer. Ja, Sie haben richtig gelesen: Wenn in der Tabelle steht, ich kann den Arbeitnehmer 12 Monate an mich binden, wenn der Kurs zwei Monate gedauert hat, dann ist damit erst einmal nur gemeint, dass ich ihn zwei Monate lang voll bezahlt freigestellt habe. Sonst nichts.
Was ist dann, wenn der Arbeitgeber tausende EUR für einen Abendkurs ausgibt, der keine Freistellung beinhaltet, aber über Monate geht? Nichts ist damit - das ist ungeklärt. Es gibt Meinungen, die dann eine Rückzahlungsklausel ganz ausschließen wollen. Klar ist nur: Nach der obigen Tabelle ist das eben nicht zu behandeln und klar - also klar ist da dann gar nichts mehr. Komischerweise kommt unserer Erfahrung nach diese Art der Fortbildung häufiger vor als die mit der Freistellung.
Im Fall der oben zitierten Pressemitteilung des BAG ist der Arbeitnehmer ebenfalls gescheitert. Sein Argument war völlig anders und hatte mit einer Besonderheit des Falls zu tun: Er wurde zwar freigestellt. Aber seine Rückzahlungsverpflichtung kam zum Zuge, wenn er vor Ende des mehrteiligen Kurses kündigte.
Das fand er deshalb unangemessen, weil der Arbeitgeber es in der Hand hatte, die Kursportionen zuzuteilen (er besorgte die Fortbildung nämlich selbst). Also: Hätte der Arbeitgeber Kurs 1 bereits im September, Kurs 2 im Dezember und Kurs 3 im Januar angesetzt, dann hätte der Arbeitnehmer nicht so lange vor der Rückzahlung zittern müssen. Ab Januar hätte er ja kündigen können. Setzt er den Kurs 1 aber im Jahr 2007, Kurs 2 erst im darauffolgenden und Nr. 3 noch ein Jahr später an, hat er effektiv eine dreijährige Bindung. Das BAG ist vorsichtig: Dieser Effekt bleibe unentschieden, heißt es - jedenfalls habe der Arbeitgeber im konkreten Fall nicht alleine nach Eigeninteressen terminiert. Das klingt, als wolle man sich erst noch ein Konzept für dieses Phänomen erarbeiten.
Puh. Auch hier ist nicht alles klar, oder? Vor allem die Drohung “unentschieden bleibt…” müssen die großen Arbeitgeber ernst nehmen, die viel Inhouse schulen. Vielleicht ist das alles nicht so schlimm: Reisende soll man bekanntlich nicht aufhalten und wer gehen will, den wird auch die Rückzahlungsvereinbarung nicht schrecken. Inklusive Prozesskosten und Verwaltungsaufwand haben sich zumindest die streitigen Rückzahlungsvereinbarungen nie finanziell für die Arbeitgeber gelohnt. Also - eventuell ganz verzichten. Die Guten werden es Ihnen auch so danken!