Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
12.10.2012

Warum IBM ein toller Laden ist

…und warum der BGH egal ist – Prozessrecht vorm Wochenende:

Man wird das IBM sicher auch ohne jede Verbindung zur Rechtsprechung attestieren. In seinem deutschen Heimathafen Stuttgart kam das Unternehmen aber zuletzt bei den Gerichten nicht so gut an, weil es sich zigtausendfach gegen – anscheinend offensichtlich berechtigte – Erhöhungsverlangen seiner Betriebsrentner wandte. Das hat zu Fehlern der Gerichtsbarkeit in der Kommunikation geführt (so einer Pressemitteilung, die IBM kaum noch einen fairen Prozess in Aussicht stellte, was zu heftiger Kritik führte).

Jetzt hat das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 9.8.2012, 18 Sa 22/12) doch noch etwas Interessanten aus seinen IBM-Klagen gemacht: Eine Grundsatzfrage. Immer schön: Es geht um Fristwahrung (ausführlich hier die Rechtslupe).

Kern der Angelegenheit ist § 16 Abs. 4 BetrVG (das sog. Betriebsrentengesetz). Wer eine Erhöhung will, muss evtl. eine Frist einhalten:

(4) Sind laufende Leistungen nach Absatz 1 nicht oder nicht in vollem Umfang anzupassen (zu Recht unterbliebene Anpassung), ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Anpassung zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. Eine Anpassung gilt als zu Recht unterblieben, wenn der Arbeitgeber dem Versorgungsempfänger die wirtschaftliche Lage des Unternehmens schriftlich dargelegt, der Versorgungsempfänger nicht binnen drei Kalendermonaten nach Zugang der Mitteilung schriftlich widersprochen hat und er auf die Rechtsfolgen eines nicht fristgemäßen Widerspruchs hingewiesen wurde.

Solche Fristen – man bezeichnet sie als Ausschlussfristen – gibt es im Arbeitsrecht reichlich, anderswo aber auch – weshalb man anderswo (beim Bundesgerichtshof nämlich) dazu eine auf den ersten Blick einleuchtende Ansicht hat:

So eine Frist kann man durch einen Brief wahren, der dann aber rechtzeitig beim Empfänger eingehen muss – also in diesem Fall vor Ablauf der drei Monate. Oder man kann gleich klagen, statt zu schreiben – die Klage muss dann vor Ablauf der Frist bei Gericht (und nicht beim Empfänger) sein. Sie ist auch noch fristwahrend, wenn der Empfänger sie “demnächst” zugestellt bekommt. Das liegt an einer Prozessnorm, die in § 167 ZPO enthalten ist; wer eine Verjährung unterbrechen will, kann seine Klage auf diese Weise „zurückwirken“ lassen, wenn er sie nur rechtzeitig zu Gericht bringt. Diese Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut nur auf die im BGB geregelte Verjährung anzuwenden; Ausschlussfristen wie die in § 16 Abs. 4 BetrVG haben aber faktisch dieselbe Folge wie eine Verjährung.

Der Bundesgerichtshof wendet § 167 ZPO deshalb entsprechend auf solche Ausschlussfristen an (z.B. 08.11.1979 – VII ZR 86/79).

Das Landesarbeitsgericht geht einen anderen Weg. Es meint: Wenn man es auf leichtem Weg schafft – durch einen Brief – dann soll man das machen; das Rückwirkungsprivileg ist nicht für solche Fälle gedacht. Es begründet das mit einem rechtshistorischen Rundumschlag sehr überzeugend – man hat die Vorschrift letztlich nur deshalb eingeführt, weil der Anspruchssteller bei Verjährungen auf Klagen angewiesen sein kann – das schreibt das BGB vor – aber die Zustellung der Klage eben Sache des Gerichts ist. Dadurch entsteht ein unkalkulierbares Risiko, das man ihm abnehmen wollte. Wer aber seine Frist durch einen Brief wahren kann, braucht dieses Privileg nicht. Also: Aufstand gegen den BGH.

Natürlich hat das Landesarbeitsgericht auch die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Natürlich? Mitnichten. Die Revisionszulassung in § 72 ArbGG ist so geregelt:

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

2. das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht…

Wer fehlt in dieser Aufzählung? Genau: Der BGH. Von dessen Meinung darf jedes LAG abweichen, ohne die Revision zuzulassen. Führt immer zu Wutschnauben der ach so vornehmen Zivilrechtskollegen. Hier aber gibt es eine Entscheidung des LAG Berlin Brandenburg vom 4. April 2012 (23 Sa 2228/11), die das – für § 16 BetrAVG – anders gesehen hat als die Stuttgarter Kollegen. Das ist dann mal ein relevantes Urteil, nicht irgend so ein Karlsruher Gericht…

Setzt sich das LAG in Schwaben durch, kann das nicht nur für Betriebsrentner, sondern für alle Verfahren, bei denen es um Ausschlussfristen geht, zu neuen Regeln führen. Endlich mal etwas Neues im Prozessrecht.