Vollmachtspingpong ist ja ein beliebter Sport, wie verschiedene Beiträge gerade auch strafrechtlich geprägter Kollegen zeihen, die hier bereits erwähnt wurden. Wie immer: Im Arbeitsrecht sind wir die unbestrittenen Pingpong-Weltmeister, da machen uns auch die Chinesen nichts vor.
Warum?
Nun, wegen § 174 BGB. Das ist eine obskure Dunkelnorm, deshalb für Prüfungsgespräche herrlich geeignet. Sie ist weithin unbekannt, außer eben – im Arbeitsrecht. Da gehört sie zum Handwerkszeug. Die Vorschrift lautet:
§ 174 Einseitiges Rechtsgeschäft eines Bevollmächtigten
Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.
Unverständlich? Na sehen Sie: Die Strafrechtler! Bedenken Sie:
Eine Kündigung – etwa eines Arbeitsvertrags – ist ein „einseitiges Rechtsgeschäft“. Da steckt die volle Wucht des Gesetzes drin und deshalb gibt es die meisten Entscheidungen zu § 174 BGB eben auch von den Arbeitsgerichten.
Denken Sie auch mal daran: Der Arbeitsvertrag mit einem Lowperformer, der auch noch frech ist, hat Probezeitende. Morgen. Danach ist die Kündigung fast unmöglich, heute noch nur durch ein Stück Papier zu erreichen. Sie rufen kurz Ihren Anwalt an, der kündigt eben mal – und oh Schreck! Er legt keine Vollmacht bei. Dann heißt es Daumen drücken: Weist der Arbeitnehmer die Kündigung deshalb zurück – wobei „unverzüglich“ etwa eine Woche dauern darf, dann ist sie weg, die Kündigung. Wie nie geschehen. Und Sie haben einen Arbeitnehmer mehr, den Sie eigentlich kündigen wollten.
Schönes Pingpong ist das: Die Vollmacht muss ein Original sein – Kopie oder anwaltlich beglaubigte Kopie reicht ebenso wenig wie die immer nutzlose Versicherung
„…ich versichere meine Bevollmächtigung anwaltlich…“
Wer’s glaubt, der glaubt’s eben. Andere weisen zurück (in anderen Fällen, bei denen es nicht um einseitige Erklärungen geht, einem Kollegen die Vollmacht abzutrotzen, halte ich meist übrigens für ungehörig).
„Bevollmächtigter“ ist übrigens nicht der Geschäftsführer einer GmbH (der ist nämlich kraft Gesetzes zur Vertretung berechtigt, § 174 BGB deshalb nicht anwendbar). Noch schöner: Die Zurückweisungserklärung ist auch ein „einseitiges Rechtsgeschäft“ oder wird ihr jedenfalls gleichgestellt. Also kann der Arbeitnehmer die Kündigung zurückweisen, wenn der Arbeitnehmeranwalt die Vollmacht vergisst, hat der Arbeitgeberanwalt noch eine Chance – genau, er kann die Zurückweisung zurückweisen und so weiter und so weiter, bis einer keine Lust mehr hat oder endlich eine Vollmacht vorlegt.
Das LAG Baden-Württemberg hat jetzt eine neue Pingpongvariante eröffnet (Urteil vom 28.3.2012, 20 Sa 47/11).
Das geht so: Arbeitgeber müssen vor der Kündigung bekanntlich ihren Betriebsrat anhören (§ 102 BetrVG). Sie ahnen es schon: Der Arbeitgeber griff nicht selbst zur Feder, sondern – beauftragte seinen Anwalt (wenn man ehrlich ist, ist das ganze etwas komplizierter als „fauler Mandant, dummer Anwalt“ – es handelt sich um ein Unternehmen in der Insolvenz). Der machte das alles, nur – legte keine Vollmacht vor. Der Betriebsrat, ja der…wies erst einmal mangels Vollmacht zurück und machte damit alles kaputt. Das LAG findet nämlich, dass auch die Betriebsratsanhörung eine unter § 174 BGB fallende Handlung sei. Schade. Der Betriebsrat ist durch seinen Vorsitzenden nämlich gesetzlich, nicht durch Rechtsgeschäft vertreten – also ist darauf § 174 BGB unanwendbar. Und die Anhörung ist im Eimer.
Ob es dabei bleibt? In diesem einen Punkt hat das LAG die Revision zugelassen.
Das wiederum musste es machen. Denn hier liegt ein Streit der Giganten vor. Ein anderes LAG – das LAG Hessen (Urteil vom 25.07.2011 – 17 Sa 116/11) – ist genau der gegenteiligen Auffassung. Warum? Eben weil alle sich einig sind, dass man die Betriebsratsanhörung erst einmal dem „einseitigen Rechtsgeschäft“ gleichstellen muss, denn ein solches ist sie eigentlich nicht. Während die Hessen meinen, die Gleichstellung sei nicht geboten, meinen die Schwaben, sie sei geboten.
Die Begründungen sind auf den ersten Blick ziemlich beliebig. Meint das LAG Baden-Württemberg (das immer schon derselben Meinung war),
Der Betriebsrat hat vorliegend insofern ein schützenswertes Interesse an Sicherheit darüber, ob die das Anhörungsverfahren einleitende Person bevollmächtigt war und die willentlich ausgelöste, aber gesetzlich bestimmte Rechtsfolge eingetreten ist, als ein außerhalb des Betriebes stehender Dritter gehandelt hat.
so meint das LAG Hessen:
Die entsprechende Anwendung des § 174 BGB auf die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG ist nicht gerechtfertigt. Die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG hat über die reine Unterrichtung hinaus den Sinn, diesem Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zu der Kündigungsabsicht aus Sicht der Arbeitnehmervertretung zur Kenntnis zu bringen. Die Sanktion der Unwirksamkeit nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG verfolgt den Zweck, den Arbeitgeber zu veranlassen, vor jeder Kündigung den Betriebsrat zu hören…Die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG zielt dagegen nicht darauf ab, die Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung zu überprüfen, sondern beschränkt sich darauf, im Vorfeld der Kündigung auf den Willensbildungsprozess des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen…
Wer wollte einem von beiden widersprechen?
Es geht also vermutlich zum BAG. Unsere Meinung: Das LAG Hessen liegt richtig. Es gibt keinen Grund, den Anwendungsbereich von § 174 BGB immer weiter auszudehnen. Unser Tipp für die Revision: Das BAG findet ein Haar in der Suppe und muss die Frage gar nicht enbtscheiden. Es hält z.B. dem Betriebsrat vor, die Bevollmächtigung des Anwalts sei nach den Umständen klar gewesen – oder behauptet, jedenfalls in einen so unklaren Fall wie dem vorliegenden müsse man im Einzelfall eine Vollmacht verlangen können…
Jura ist irgendwie beliebig, oder?
Zum Fall auch der Beitrag in der Rechtslupe.