Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
01.07.2012

Vive la France

Wir blicken wieder über den nationalen Tellerrand und werden sehr bescheiden.

Durch einen Artikel von BERTON & ASSOCIES – einer deutsch französischen Anwaltskanzlei in Straßburg. Dort wird von einem Urteil des französischen Kassationsgerichtshofs berichtet, der allen deutschen Meckerbolzen, die „unser Arbeitsrecht“ irgendwie unpraktisch finden, mal zu denken geben sollte.

Das fängt alles damit an, dass es um „Tagespauschalen“ geht. Damit ist die Vereinbarung bestimmter Arbeitszeitpauschalen gemeint, die u.U, von der in Frankreich gesetzlich (!) geltenden 35-Stunden-Woche abweichen. Nach oben natürlich. Diese Pauschalen werden zunehmend juristisch unter Druck gesetzt, aus Gründen der Arbeitssicherheit und des europäischen Rechts.

Erkenntnis 1: In Frankreich gilt es als ungesund, mehr als 35 Stunden in der Woche zu arbeiten. Ausnahmen werden beschnitten. Das Unionsrecht scheint auch ein anderes zu sein. Während wir uns zähneknirschend von einer deutschen Urlaubskonzeption verabschieden, vereinnahmen die französischen Gerichte einfach für sich, was Ihnen dubios erscheint.

Die Tagespauschale war hier wohl von einem Metalltarifvertrag zugelassen worden. Der musste noch darauf überprüft werden, ob er alle Anforderungen an den Gesundheitsschutz erfüllt – wegen der langen Arbeitszeit über 35 Stunden, versteht sich. Er bestand den Test. Warum, zeigen die vom Gericht aufgezählten Beispiele von Schutzmaßnahmen, die eine wohlwollende Betrachtung rechtfertigen:

  1. Der Arbeitgeber führt ein „Kontrollheft“ über die Arbeitszeit
  2. Der Arbeitgeber führt einmal im Jahr Gespräche mit dem Mitarbeiter über dessen Arbeitsbelastung [sic!].

Erkenntnis 2: In Frankreich kann man sich schon rechtswidrig verhalten, wenn man nicht mindestens einmal im Jahr mit seinen Leuten spricht. Finden wir gut. Was das Kontrollheft anbelangt: Wir wollen uns nicht ausmalen, warum gerade dieser Begriff gewählt wurde. Vermutlich sind elektronische Nachweise in Frankreich eher ein theoretisches Thema, vielleicht braucht man dafür einen Tarifvertrag…

Schön ist es , sich die Gespräche mit den, sagen wir mal, 12.000 Mitarbeitern eines Autoherstellers vorzustellen, die jedes Jahr laufen. Wer will in Frankreich Personalchef sein?

„Und, Pierre, wie geht’s – was macht die Arbeitsbelastung?“

„Muss ja, Chef, muss ja…!“

„Na, brav, Pierre – der nächste bitte!“

„Hallo Francoise! Wie geht’s – was macht die Arbeitsbelastung?“

„Muss ja, Chef, muss ja…!“

usw.

Erkenntnis Nr. 3: Ich habe mal einen ziemlich forschen Typen auf einer Party getroffen. Er sagte, er sei „European Counsel“ in einem Unternehmen gewesen und berate jetzt als Einzelkämpfer internationale Unternehmen. Vor allem im Arbeitsrecht. Sein Vorteil sei dabei, dass er nie Anwalt gewesen sei. Das seien alles auf nationales Recht fixierte Fachidioten. Er habe kein Problem mit spanischen und französischen Arbeitsverträgen. Er muss ein Übermensch gewesen sein: Nach dieser Wochenendlektüre würde ich mich nie an einen französischen Arbeitsvertrag wagen. Nie.

Allerdings meinte derselbe Kollege, der beste Trick, aus der deutschen Betriebsverfassung auszusteigen sei, eine ausländische Rechtsform – etwa die Ltd. – zu wählen. Für die gelte das BetrVG nicht. Vielleicht doch kein Übermensch und ich wende mich bei arbeitsvertraglichen Fragen in Frankreich einfach an einen französischen Fachidioten. Da fühle ich mich wohler, ich bin ja auch ein deutscher Fachidiot und so von Idiot zu Idiot, das schafft man vielleicht auch irgendwie.