Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
25.06.2012

Video gut, Zigarettenklau blöd, Datenschutz blöder

Zum Datenschutzrecht schreibt Thomas Hoeren in seinem weit verbreiteten (kostenfreien) Beststeller „Internetrecht“:

Das Informationsrecht nahm seinen historischen Ausgangspunkt Anfang der siebziger Jahre, als mit der zunehmenden Bedeutung der EDV auch deren Risiken in die öffentliche Diskussion gerieten…Nach dem Volkszählungsurteil (1983) trat der Streit um Möglichkeiten und Grenzen des Datenschutzes noch einmal in das Licht der Öffentlichkeit, bevor der Datenschutz dann seine bis heute andauernde Talfahrt nahm.

Die Talfahrt dauert an. „Datenschutz“ schreien heute ja vor allem:

  1. Querulanten (also Leute, die gegen das berechtigte Anliegen der Totalüberwachung und vorsorglichen Ausspähung Unschuldiger durch den Staat sind und die keine digitale Spur im Netz haben wollen).
  2. Prinzipienreiter (dieselben Leute, die sich nicht der Einsicht beugen wollen, dass der Staat oder auch die werbende Wirtschaft einfach alles über sie wissen darf).
  3. Hirnis (Leute, die den Satz „Wenn Sie nichts zu verbergen haben, werden Sie auch nichts dagegen haben!“ dumm finden).

Leider gehören viele Anwälte mindestens zu einer dieser Kategorien.

„Datenschutz“ ist vor allem ein unklares und unpraktisches System. Das liegt sowohl am schlampigen und halbherzigen Recht als auch an der Vielgestaltigkeit der Probleme. Das Wort „Datenschutz“ wird deshalb gerne in die Nähe des Missbrauchs gestellt. So wieder einmal beim Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 21. Juni 2012 – 2 AZR 153/11). Das ist (nach der Pressemitteilung) ein Muster an Pragmatismus, aber eben auch ein dickes Fragezeichen neben der Bedeutung des Datenschutzrechts für konkrete Fälle. Ja, der „Datenschutz“, kann man meinen, darf nicht von bösen Mädels und Buben zur Rechtsverteidigung missbraucht werden.

Die Klägerin hatte Zigaretten geklaut. Es handelt sich wieder mal um eine “Bagatellkündigung”, wobei wir nicht wieder das Fass aufmachen wollen, was eine „Bagatelle“ ist. Nennen wir so etwas einfach „Emmely-Kündigung“. Es wird was Kleines geklaut, man ist schon lange dabei, es tut einem leid. Die Fristlose kommt trotzdem.

Seit der Kritik an seinem Salto in Sache Emmely (Kündigungen sind auch wegen geringfügiger Diebstähle bei langer Betriebszugehörigkeit gerechtfertigt, aber nicht, wenn es sich um Emmely dreht) bemüht sich der 2. Senat allenthalben, deutlich zu machen, dass Klauen im Arbeitsverhältnis genauso verboten ist wie früher (unter diesem Aspekt sieht es auch der Beck-Blog, der hier darüber berichtet).

Aber Bagatellkündigungen sind heutzutage trotzdem keine Gähner, denn sie kommen immer mit Sahnehäubchen (oder Rasierapparaten). Hier ist das Sahnehäubchen der Datenschutz; denn die Klägerin war mit Videoaufzeichungen heimlich überwacht und so überführt worden. Das ist in einem öffentlichen Verkaufsraum geschehen. Dazu sagt § 6b BDSG (ach ja: Das ist ein Datenschutzgesetz…):

Der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle sind durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen.

Soll heißen: Man muss darauf hinweisen, dass Videos aufgenommen werden. Hat man hier aber natürlich nicht: Dann wäre es ja nicht mehr heimlich; wer klaut schon, wenn er weiß, dass er beobachtet wird???

Was ist diese Vorschrift also wert? Dem Gesetzgeber erst einmal nicht viel. Wenn man nämlich dagegen verstößt, ist das straflos: § 43 BDSG lässt einen Verstoß praktischer Weise ohne Strafe durchgehen.

Den Gerichten ist es ebenso wenig wert:

Sie könnten das Gesetz adeln – indem sie ein sog. „Beweisverwertungsverbot“ daraus machen; das hieße, dass man die Videoaufzeichnungen nicht im Kündigungsschutzprozess als Beweis heranziehen kann – der Arbeitgeber würde für seinen Rechtsverstoß mit einem verlorenen Prozess bezahlen müssen. Schon das LAG Köln fand in der Berufungsentscheidung (vom 18.11.2012 – 6 Sa 817/10 – da sehen Sie mal, wie lange solche Verfahren dauern, wenn man zwischendrin noch einen Vergleich versucht…) aber gerade einmal zwei Sätze zu alledem. Der Arbeitgeber befinde sich in einer „notwehrähnlichen“ Lage – basta. Nix mit „Beweisverwertungsverbot“.

Das Bundesarbeitsgericht hat das im Prinzip bestätigt. Es müsse aber immerhin einen dringenden Tatverdacht gegen die Klägerin geben. Erst dann dürfe man sie auch überwachen. Ob dieser Verdacht bestanden habe, könne man nicht erkennen. Das stimmt (auch wenn Liz Collet nicht ganz zu Unrecht findet, der Pressemitteilung könne man nicht wirklich entnehmen, was das BAG denn noch wissen wolle). Richtig ist auf jeden Fall: Das LAG Köln hat sich in seiner Basta-Entscheidung darüber keine Gedanken gemacht.

Also: Es wird zurückverwiesen. Und erneut geprüft. In Köln am Rhein.

Komisch übrigens: Für Straftaten im Arbeitsverhältnis kann man im BDSG eine spezielle Regelung finden. § 32 Abs. 1 BDSG enthält genau das, was das Bundesarbeitsgericht jetzt in seine Pressemitteilung hineingeschrieben hat, ohne die Norm allerdings auch nur zu erwähnen:

(1) Personenbezogene Daten eines Beschäftigten dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die…Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.

Haben Sie das jetzt gelesen? Wirklich?

Dann haben Sie hoffentlich den Eindruck, dass da etwas nicht stimmt. Warum? Also:

In Satz 1 geht es (u.a.) um die „Durchführung“ des Arbeitsverhältnisses. Da darf man schlicht alles Erforderliche erheben und speichern, oder? Klar. Satz 2 schränkt das für Straftaten erheblich ein: Dann muss ich auf einmal einen Verdacht haben, Abwägungen beachten und so einen Unsinn machen. Das ist doch – Schwachsinn! Die „Durchführung“ ist doch auch die Abwehr von Vertragsverletzungen. Warum ich bei leichten Verletzungen überwachen dürfen soll – ohne Einschränkungen – aber bei schlimmen Verletzungen wie Straftaten auf einmal nicht mehr: Da steht die Welt doch Kopf. Nach dem Motto: Je übler der Täter, desto mehr Rechte hat er! (Wenigstens ist ein Verstoß auch nicht – man höre – bußgeldbewehrt; also wieder ein Papiertiger). Das ist – vielleicht – nicht ganz so gemeint, aber wenn der Gesetzgeber sich schon schwabbelig ausdrückt, dann schwabbelt es im Datenschutz jedenfalls ganz besonders.

Was ist von alledem zu halten?

Datenschutz ist irrelevant: Der Gesetzgeber macht sich nicht einmal die Mühe, ein passables Gesetz zu formulieren. Die Gerichte können mit dem Unsinn ohnehin nichts anfangen und sie ignorieren diese „Vorschriften“ deshalb höflich, aber bestimmt: Die Lösung des BAG zur Videoüberwachung bekäme man schließlich ganz ohne Datenschutzrecht hin, mit dem Grundgesetz in der einen und dem Kopf in der anderen Hand sozusagen.

Das ist auch gut so. Die Lösung des BAG ist schließlich pragmatisch, richtig und begrüßenswert. An ihr ist einzig und allein auszusetzen, dass sie ein Gesetz, das sich selbst irrelevant macht, ignoriert. Nicht fein vielleicht, aber: Wie will man sonst überleben? Einfach klauen lassen? Wohl kaum. Bei der Polizei eine Sonderermittlertruppe für jeden Zigarettendienbstahlsverdacht bilden? Da gibt es viel zu tun. Das BAG und seine Lösung sind daher sozusagen, tja, alternativlos.

Das Datenschutzrecht ist nicht auf Talfahrt, sondern es ist längst im 3. UG angekommen. Mehr gesetzgeberisches Hirn ist das einzige, das hier noch helfen kann. Es ist nicht in Sicht. Deshalb etabliert sich ganz offiziell eine Rechtskultur, bei der „Datenschutzgesetze“, die keine konkreten und durchdachten Regelungen treffen, dauerhaft ohne Wirkung sind. Das sollte allen am Datenschutz Interessierten zu denken geben. Aber da ist es wie bei anderen Gebieten: Für die allermeisten ist das eben nur ein Etikett, um sich in Szene zu setzen.

An dem Rechtsgebiet  selbst ist keiner interessiert.

Zum Abschluss noch ein Post Scriptum. Den Fall kann man richtig durchrühren, wenn man mal § 7 BDSG liest. Der Schaden könnte ja auch im Verlust des Arbeitsplatzes bestehen…aber wie gesagt: Datenschutzgesetze liest man nicht einmal mehr. Man weiß ja, dass der Gesetzgeber sie gar nicht so gemeint hat.