Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
24.05.2012

VG Berlin: Allgemeinverbindliche Tarifverträge sind kein Staatsgeheimnis

Wir haben uns hier bereits über einen unrechtsstaatlichen Bodensatz aufgeregt.

Bodensatz, weil es sich um einen Restbereich handelt, in dem der Staat noch machen kann, was er will. Ohne, dass man ihm in die Suppe spuckt.

Allgemeinverbindlichkeitserklärungen – jedenfalls im Baubereich – werden geheim erteilt (wie hier beschrieben, wenn Sie es nicht glauben). Der Witz war ja bisher: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellt das sog. Quorum fest – eine Zahl. Diese hier:

§ 5 [Tarifvertragsgesetz] Allgemeinverbindlichkeit

(1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann einen Tarifvertrag im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuß auf Antrag einer Tarifvertragspartei für allgemeinverbindlich erklären, wenn

1. die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 vom Hundert der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen und…

Aber wie sie das machen dort, und wie die Zahl im Ergebnis dann lautet, das sagen die nicht. Nie.

Dumm für die Unternehmen, die aufgrund des Tarifvertrags in Anspruch genommen werden (im jüngsten hier eingehenden Fall ca. 800.000 €). Denn die dann zuständigen Arbeitsgerichte wollen, dass man als ahnungsloser Beklagter belegt, dass die Allgemeinverbindlichkeitserklärung unwirksam ist, wegen Verstoßes gegen das Quorum. Aber das Bundesministerium, wie ebenfalls berichtet, findet, diese Werte seien – ein Staatsgeheimnis. Kaum zu fassen, aber wahr (näheres ebenfalls hier).

Weil ich mich nicht mit dieser Haltung (trotz Widerspruchsbescheid mit Bundessiegel) abfinden konnte, hatte ich bekanntlich geklagt. Was wurde uns dann nicht an Schriftsätzen und juristischen Argumenten um die Ohren gehauen. In der mündlichen Verhandlung gestern, am 23. Mai 2012, hieß es auch – das ist das beste Stück, über den Rest werde ich schweigen – die Mitgliedszahlen der IG Bau seien deren Betriebsgeheimnis, das mit solchen Zahlen verraten würde (die könnte man allerdings auch in der Frankfurter Rundschau nachlesen). Dabei hatte ich danach natürlich nicht gefragt.

Das Verwaltungsgericht Berlin ist gänzlich anderer Meinung. Es findet vor allem nicht, dass die Geheimniskrämer umso größer sein müsse, je niedriger eine Norm in der Normhierarchie stehe (nach dem Motto, Gesetze werden öffentlich verhandelt und ihre Materialien ins Netz gestellt, aber Allgemeinverbindlichkeiten dürfen wir im Hinterzimmer unter uns ausmachen). Es findet auch, dass es niemandem schadet, wenn man über die Zahlen öffentlich spricht.

Deshalb hat es das Bundesministerium zur Erteilung der Auskunft verpflichtet.

Jetzt wollen Sie sicher die Zahlen wissen. Weil alle das wissen wollen, die sich mit der Soka Bau, dem Produkt der Bau-AVE, streiten und endlich auch mal ein Arbeitsgericht überzeugen wollen. Tja, so weit sind wir noch nicht. Die Urteilsbegründung haben wir noch nicht und bekanntlich kann man dann auch erst einmal Berufung einlegen.

Wichtig ist etwas ganz anderes. „Der Staat“ tritt mit unterschiedlichen Gesichtern auf. Heute war es eine Reihe teils sympathischer, teils finster dreinblickender Herren in dunklen Anzügen (hatte ich auch an, ok). Der Staat übt aber immer Macht aus. Nur – er kann es nicht unkontrolliert. Einfach machen, was man will – das funktioniert nicht. Weil es Gerichte gibt. Das ist eine Sternstunde.

Ich kann aber alle Soka-Vertreter, Ministeriale und Funktionäre bei den tarifschließenden Verbänden beruhigen: Nur, weil ich die Zahlen bekomme, irgendwann, ist Eure schöne Tarifwelt noch nicht untergegangen. Noch nicht.

P.S.: Das Urteil des VG Berlin vom 23.5.2012 – VG 2 K 96/11 – werden wir natürlich hier (sobald es vorliegt) veröffentlichen und kommentieren. Obwohl diese Absicht (kein Witz) einer der Gründe war, aus denen mir die Akteneinsicht ja versagt worden war. Ich bin nicht nachtragend.

Obwohl…