Nicht wieder nur auf den EuGH und gleich die ganze Europäische Union schimpfen! Verstehen Sie uns bitte nicht falsch: Das Problem liegt zuallererst vor unserer eigenen Haustür – im Bundesurlaubsgesetz (BUrlG).
Das ist eines der Gesetze, bei denen Sie die aktuelle Rechtslage nicht aus dem aktuellen Gesetzestext entnehmen können. Gefühlte Äonen an EuGH-Rechtsprechung sind über das Gesetz hinweggegangen – ohne, dass der Gesetzgeber es mal angepasst hätte. Der sicherste Weg zu einer falschen Auskunft im Urlaubsrecht: Schauen Sie ins Gesetz.
Diese Entwicklung wird jetzt durch einen sog. Vorlagebeschluss des Arbeitsgerichts Nienburg (Beschl. v. 04.09.2012 – 2 Ca 257/12 Ö) weiter vorangetrieben. Mal vorab: Ja – Nienburg hat ein eigenes Arbeitsgericht; der Ort selbst liegt in Niedersachsen, falls Sie Zweifel haben. Bei den Vorlagen an den EuGH gilt bekanntlich „jeder darf mal“, was gar nicht so schlecht ist, dann geht es nämlich schneller.
Die Entscheidung aus Nienburg betrifft eine nur scheinbar banale und immer wieder umstrittene Frage. Sie lautet:
Wie viel Urlaub habe ich zum Henker eigentlich?
Der Fluch im (fiktiven) Zitat hängt mit der Rechtslage zusammen. Wir ersparen uns mal die Details des Falls in Nienburg: Es geht dort jedenfalls ums Geld. Die Abgeltung des Urlaubs hängt aber untrennbar mit der Frage zusammen, wie viel Urlaub man eigentlich hat.
Das kann man heutzutage nicht mehr ohne klärendes Wort aus Luxemburg bestimmen. Denn schauen Sie: Wenn einer 6 Tage in der Woche arbeitet, sagt § 3 BUrlG, dass er dann 24 Tage Urlaub machen dürfe. Werktage, dass sind alle Tage von Montag bis Samstag. Macht 4 x 6 freie (Werk-)Tage und vier freie Sonntage, also eigentlich vier freie Wochen insgesamt.
Das mit der 6-Tage-Woche sehen Sie in § 3 BUrlG übrigens allenfalls, sagen wir mal, indirekt. 1967 wären wir alle auch damit zufrieden gewesen, Vollzeit und 6-Tage-Woche war die Regel. Aber was ist, wenn man „nur“ 5 Tage in der Woche arbeitet? Ha! Da müssen Sie umrechnen – das BAG selbst sagt seit Jahrzehnten: 24 Werktage bedeutet vier Wochen Urlaub (siehe oben). Nach einer Logik, die glasklar ist, aber anscheinend (Praxiserfahrung) keinem Menschen einleuchten will, herrscht dann aber auch kein Zweifel an einer anderen Wahrheit: Wenn ich nur an einem Tag in der Woche arbeiten muss, und sei es nur je ein halbe Stunde, dann brauche ich nur vier Urlaubstage; die anderen Tage sind frei, die Sonntage auch – also komme ich mit nur 4 Tagen auf den gleichen Mindesturlaub wie der Malocher in der 5-Tage-Woche oder gar 6-Tage-Woche. Würde man der Eintagsfliege 24 Tage Urlaub geben wollen, bliebe sie etwa ein halbes Jahr zu Hause. Daraus lernt man auch noch etwas anderes: Es kommt nicht darauf an, wie lange ich an einem Tag arbeiten muss – eine Stunde oder 8: In beiden Fällen brauche ich einen Urlaubstag, um einen Tag zu Haus bleiben zu können. Es gibt im Gesetz keine Urlaubstage in Bruchteilen.
Jetzt will § 7 Abs. 4 BUrlG den Urlaub abgelten, wenn das Arbeitsverhältnis endet etwa. Also geht es um – Geld.
Was macht man nun aber, wenn jemand eine 5-Tage-Woche vom 1.1.2012 an hat, aber im September auf Teilzeit – etwa 3 Tage-Woche – umstellt? Ha!
Das gilt als ungelöst. Kaum zu glauben!
Das Bundesarbeitsgericht hat sich mal für die Jahresberechnung entschieden, das läuft so: Ich lasse alle Beteiligten erst mal (Urlaub) machen. Oder auch nicht, dann wird es aber zum Problem: Will der Arbeitnehmer Urlaub abgelten, dann soll egal sein, meinte das BAG, was bis September war. Wenn der Arbeitnehmer erst im Dezember Geld will, dann ist die zuletzt vereinbarte Arbeitszeit zugrunde zu legen. Also im Beispiel 3 Tage-Woche (und damit 12 Tage Urlaub). Beim Bezahlen heißt das aber etwas ganz anderes als beim Freizeitnehmen: Jetzt bekomme ich nur noch 12 Tage bezahlt. Nur deshalb, weil ich den Urlaub erst im Dezember verlange. Irre? Nein: BAG, 28.04.1998 – 9 AZR 314/97. Kritik regt sich seit langem: Die führende Kommentierung (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht) sieht das schon lange anders. Man müsse ausrechnen, was bis September zusammen komme, dann separat den Anteil für den Rest des Jahres.
Genau das ist das Problem der Klägerin in Nienburg. Sie soll eine Kürzung – so sieht sie es – hinnehmen, weil sie zum falschen Zeitpunkt danach fragt, ihren Urlaub ausgezahlt zu erhalten.
Jetzt grätscht Nienburg da rein: Der EuGH soll es richten. Im Rahmen seines Vorlagebeschlusses hat das Gericht eine interessante Frage gestellt. Die europäischen Regeln zum Urlaubsrecht müssen national beachtet werden. Aber kann man einen Mindesturlaub tatsächlich kürzen und so die Auszahlung beschneiden – wenn doch das Mindestmaß europarechtlich garantiert ist?
Einige Autoren sehen es gar nicht als Kürzung: es sei eben nur eine „Umrechnung“.
Jetzt muss man sich fragen, wie lange es dauert, bis der EuGH die einfachste Lösung wählt. Sie lautet: 24 Werktage sind eben 24 Tage Geld. Man mag ja umrechnen, wenn jemand nur einen Tag die Woche arbeitet, beim Urlaub selbst. Aber bitte nicht beim Geld. Da gibt es eben pro Jahr einen Anspruch von 24 Tagen – der nur ausgezahlt wird, wenn das Arbeitsverhältnis endet.
Mein Gott. Wir sind ja so gerecht.
Fassen wir zusammen: In Deutschland wissen wir nicht einmal, wie viel Urlaub man Teilzeitkräften geben soll. Deshalb wollen wir den Griechen ja auch zeigen, wie man einen modernen Staat aufbaut.