Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
23.11.2011

Urlaub ist nicht mehr ewig (endlich) – EuGH, sonnenklar

Das Europarecht hat den deutschen Urlaubsanspruch schon heftig durcheinandergewirbelt. Es ist eine ganze Klagekarawane unterwegs. Jetzt hat der EuGH (endlich mal) der Karawane der Kläger den Weg abgeschnitten, die Oasen ausgetrocknet und die Kamele in die Wüste gejagt.

Es geht um die gestern endlich verkündete Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-214/10 vom 22.11.2011 (KHS AG/Winfried Schulte). Hinter der ganz leicht an den aktuellen Tim & Struppi-Blockbuster erinnernden Fallbezeichnung steckt der Aufreger des Urlaubsrechts (das vor allem in Deutschland ein echtes Rechtsgebiet ist).

Wir erinnern uns: Nach § 7 Abs. 4 BUrlG muss Urlaub ausgezahlt werden, wenn das Arbeitsverhältnis endet (außer, das geschieht durch den Tod des Arbeitnehmers). Die Frage ist: Wie viel ist das? Endet das Arbeitsverhältnis nicht, gibt es halt kein Geld, aber trotzdem kann die Frage sich sehr ähnlich stellen: Wie viel Urlaub habe ich noch? Gar nicht so einfach, aber doch verständlich:

Nach „unserem“ Urlaubsrecht gibt es einen Jahresurlaubsanspruch. Das sind letztlich mindestens vier Wochen. Am 31.12. jeden Jahres ist Schluss. Was nicht genommen ist, ist weg. Es sei denn, man war z.B. krank und konnte den Urlaub allein deshalb nicht nehmen. Dann kann man das noch bis zum 31.3. des Folgejahres tun. Urlaubsrechtler nennen das Übertragung.

Wer jetzt glaubt, der Urlaubsanspruch sei dadurch gewissermaßen endlich, irrt. Das deutsche Gesetz ist vom EuGH im berühmten (berüchtigten?) Urteil vom Urteil vom 20.01.2009 (C-350/06 und C-520/06, Schultz-Hoff und Stringer heftig gestutzt worden.

Damals hatte der EuGH festgelegt: Unzulässig ist, den Urlaub allein wegen der Erkrankung zu beschneiden. Das jedenfalls ist der komprimierte Inhalt, den die Mehrheit aller Autoren dieser sybillinischen Entscheidung beilegt.

Soll das heißen: Ich kann meinen Urlaub über Jahre ansammeln?

Beispiel: Ein Arbeitnehmer wird krank, erwerbsunfähig, scheidet aber erst nach Jahren, als ihm eine Rente bewilligt wird, rechtlich aus dem Arbeitsverhältnis aus, ohne jemals tatsächlich an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Drei Jahre Urlaub – kann er die jetzt am Ende in Geld verlangen? Reizvoll. Nehmen Sie mal 30 Urlaubstage im Jahr. Wenn man das so auch nur über drei Jahre ansammeln, muss der Arbeitgeber einfach so ein Vierteljahr abgelten. Happig.

Auf eine Vorlage des LAG Hamm hat der EuGH nun auf die Bremse getreten, denn genau ein solcher Fall stand dort zur Entscheidung. Das LAG wollte den Tarifvertrag anwenden, der nach 15 Monaten einen endgültigen Verfall anordnete. Der EuGH meint nun, Urlaub diene der Erholung.

Hätten wir fast vergessen.

Daher heißt es danach:

„..Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen kann vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass ein Zeitraum von 15 Monaten wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in dem die Übertragung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub möglich ist, dem Zweck dieses Anspruchs nicht zuwiderläuft, da er dessen positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit gewährleistet…“

Also: Die drei Monate des BUrlG waren zu kurz, die 15 Monate des Tarifvertrags reichen aus.

Das ist mal eine Erkenntnis, für die man den Richtern vielleicht nicht um den Hals fallen muss, weil man auf diese Lösung ja auch beim Zähneputzen hätte kommen können. Sie ist aber richtig. Akademiker mögen sich streiten, ob die Vorlage an den EuGH überhaupt nötig war. Die Schultz-Hoff-Entscheidung (übrigens noch ein Stück näher an Tim und Struppi) steht einer 15-monatigen Ausschlussfrist nicht unbedingt entgegen. Aber wenn die Richter in Hamm die aktuelle Klagewelle zum Urlaub getrieben haben sollte: Gut gemacht, Ende der Karawane.