Schließlich entwickelt er das AGG weiter.
Dafür muss man ihm nicht dankbar sein, aber es verdient eine Erwähnung. In einem engeren Sinne ist es natürlich auch der Bundesgerichtshof, der diese Weiterentwicklung vorantreibt, durch sein Esplanade-“ (oder „Udo-“, oder „Nazi-“, die Stichwortvergabe ist noch nicht sicher) Urteil (Urteil des V. Zivilsenats vom 9.3.2012 – V ZR 115/11). Der Blätterwald ist voll davon, aber Juristen melden sich kaum zu Wort. Komisch, die haben doch ständig was zu sagen, zuletzt reichlich beim Rücktritt des letzten gewählten Bundespräsidenten (Horst Seehofer ist in sein Amt ja nicht gewählt worden). Weil nichts Juristisches dran ist? Das wäre eine grobe Fehlinterpretation. Das Urteil prägt ausgerechnet das Arbeitsrecht nachhaltig.
Warum?
Weil sich wieder ein Zivilgericht (der BGH) einer arbeitsrechtlichen Materie angenommen hat – dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das geht nicht immer gut! Ich räume ein, das AGG hat auch einen nicht-arbeitsrechtlichen Teil, aber seien wir mal ehrlich, außerhalb des Arbeitsrechts spielt das Gesetz keine – keine! – Rolle. Da musste Karlsruhe mal seinen Führungsanspruch demonstrieren. Das ist sicher nicht in den Augen aller Beobachter gelungen.
Man muss den Fall nicht mehr ausführlich erzählen: Udo (Voigt, nicht Lindenberg – über den gibt es ein politisch überraschend scharfes Musical in Berlin) ist bundesweit bekannter Nazi mit Krawatte, damals Vorsitzender der NPD. Das Hotel Esplanade wollte ihn nicht als Gast, eben deswegen, er klagte. Auch wegen einer Verletzung des AGG. Das lautet in § 1:
„Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“
In dem hervorgehobenen Wort „Weltanschauung“ liegt der Knackpunkt. Keine Ahnung, ob Herr Voigt sich als „Nazi“ oder „Nationalsozialist“ bezeichnet hat. Aber das Hotel hat ihn wegen seiner Gesinnung und wegen allem, wofür er steht, abgewiesen. Ist das nicht seine „Weltanschauung“?
Der BGH meint in seiner Pressemitteilung:
„..Der Gesetzgeber hat…bewusst davon abgesehen, das Diskriminierungsverbot auf Benachteiligungen wegen politischer Überzeugungen zu erstrecken…“
Das ist – mindestens – missverständlich. Das wird deutlich, wenn man sich das kleine Arbeitsgericht Berlin ansieht, das den Marxismus-Leninismus als „Weltanschauung“ gewertet hat. Für den Nationalsozialismus muss ja dasselbe gelten, schon, weil auch unter Irren Gleichberechtigung angebracht ist. Über den Begriff ist im Gesetzgebungsverfahren heftig gerungen worden, freilich, weil die damalige Angst eine andere war: Scientology. Das konnte man mit dem Segen des Bundesarbeitsgerichts als Nichtreligion darstellen, aber eine Weltanschauung war es wohl. Ausschlaggebend soll nach bisheriger Definition sein, dass die Weltanschauung einen ähnlichen Totalitätsanspruch wie die Religion erhebt, also ein Konzept für alle Lebensbereiche hat, ohne den transzendentalen Zusatz der Religionen. Wer wollte behaupten, dass das für Nationalsozialisten nicht zuträfe?
Der BGH hat es wohl ganz pragmatisch gesehen. Die Ablehnung im Hotel basierte auf Voigts Führerschaft (hey, nicht doppelbödig gemeint) in der NPD. Der wiederum kann man nicht einmal ein Konzept in der Politik unterstellen, geschweige denn für andere Lebensbereiche. Zu behaupten, das seien alle Nazis, ist eben eine – Behauptung Dritter, Außenstehender.
Dieses eine Mal hätte es Udo Voigt also genützt, wenn er sich offen als Nationalsozialist tituliert hätte. Was er freilich gewöhnlich eher abstreitet. Denn im juristischen Begriffshimmel ist der Nazi mehr als der NPD-Chef. Gottseidank bleib uns diese Problemlösung erspart. Vielleicht hat Udo auch die merkwürdig-schwurbelige Ablehnung des Hoteldirektors den juristischen Todesstoß versetzt. Statt einfach „Nazis raus“ zu sagen, was eine AGG-Konnotation hätte haben können, wiederholt er einfach bis heute, das Gesicht von Udo Voigt sei mit so unangenehmem Zeugs verbunden, dass es das Wohlfühlerlebnis der anderen Gäste beeinträchtige. Deshalb ist es auch so lustig, dass sich z.B. Frank Jansen im TAGESSPIEGEL echauffiert, der BGH habe einen unsouveränen Umgang mit Extremisten. Die müsse man im Hotel aushalten. So kann man Urteile missverstehen. Der Extremismus war dem BGH ja herzlich egal: Er hat nur das Hausrecht des Hoteliers durchgesetzt. Den als unsouverän zu beschimpfen, traut sich der Kommentator aber dann nicht.
Also: Wir haben jetzt durch das AGG die Erkenntnis gewonnen, dass Ossis keine Rasse, die NPD keine Weltanschauung, die Marxisten aber eine solche sind. Außerdem ist die Güte des Betriebsklimas – tatsächlich! – auch keine Weltanschauung (vielleicht, weil ihr das ganzheitliche Konzept fehlt – bei Liz Collet hört man dazu gedämpftes Lachen. Wir sind weiter. Gekommen.
Udo geht übrigens zum Bundesverfassungsgericht. Als Beschwerdeführer.