Als “Gierindustrie” hatten wir in einem Beitrag vor einem knappen Jahr die Teile der Anwaltschaft bezeichnet, die mit “internen Ermittlungen” das am teuersten bezahlte Papier der Welt produzieren – ohne, dass es dafür eine adäquate Rechtfertigung gibt.
Wie seinerzeit berichtet, soll z.B. Siemens mehr als eine dreiviertel Milliarde Euro in die “Aufklärung” (“internal investigations”) des Korruptionsskandals gepumpt haben – an Anwaltshonoraren.
Das System hat in Deutschland jetzt einen Rückschlag erlitten – durch eine bescheidene Beschwerdekammer des LG Hamburg, in der die Richter zwar nicht einmal im Monat so viel verdienen dürften wie die Gierindustrie mit einem einzigen Mandat in einer Stunde umsetzen kann, dafür aber etwas nicht käufliches haben: Unabhängigkeit und juristischen Verstand.
Mit Beschluss vom 15.10.2010 – 608 Qs 18/10 (hier beim Beck-Blog) hat das Landgericht Hamburg eine Beschlagnahme von “anwaltlichen Ermittlungsergebnissen” zugelassen:
“…Es besteht kein Beschlagnahmeverbot (§ 97 I StPO) für Ergebnisse unternehmensinterner Ermittlungen durch eine Anwaltskanzlei, die im Auftrag des Unternehmens tätig geworden ist; § 160 a StPO a. F. ändert daran nichts…Es besteht weiterhin kein Verwertungsverbot für Aussagen von Mitarbeitern im Rahmen von unternehmensinternen Ermittlungen trotz des Grundsatzes “nemo tenetur se ipsum accusare…”
Also, was in solchen “unternehmensinternen Ermittlungen” passiert, ist kaum zu glauben – und wir dürfen in gewissem Sinne aus Erfahrung sprechen:
Die Mitarbeiter werden zu Gesprächen geladen. Der Unternehmensanwalt (sorry – eine/r aus der Anwaltsarmee) sitzt dem Vertriebsmitarbeiter gegenüber. Er reicht ihm einen Wisch, auf dem steht, dass seine Angaben vertraulich behandelt würden und er sich – das habe ich wörtlich gelesen – allenfalls darauf einstellen müsse, dass man ihn je nach Gewicht seiner Eingeständnisse fristlos rauswerfe, keinesfalls aber bei der Staatsanwaltschaft hinhängen würde. Nur: Aussagen müsse man schon, sonst fliege man wegen Aussageverweigerung gleich raus.
Puh. Schon mal “Rechtsstaat” fehlerfrei geschrieben?
Wir denken, bei Freshfields (um die geht es im Fall des LG Hamburg) war das etwas eleganter, aber in der Sache identisch. Dann heißt es – von Freshfield wissen wir das natürlich nicht sinngemäß:
“Wir wissen ja alle, was hier in der Vergangenheit so abgegangen ist. Jetzt packen Sie mal aus, sonst kracht’s.”
Viele fangen dann an zu singen und belasten sich fröhlich selbst – zum Joberhalt und weil der Herr Anwalt ja Vertraulichkeit gegenüber den Ermittlungsbehörden zugesichert hat.
Ja. Und dann kommen Staatsanwälte auf die Idee, dass die Protokolle dieser Gespräche ja Beweismittel sein könnten. Beim LG Hamburg liest sich das so:
“…Im Rahmen dieses Mandats führten Rechtsanwälte der Sozietät – unter Zusage der Vertraulichkeit – Gespräche mit derzeitigen und früheren Mitarbeitern der H. N.-bank AG, darunter auch den Beschuldigten, oder nahmen von diesen schriftliche Stellungnahmen entgegen. Als Ergebnis der internen Untersuchung erstellte die Sozietät F. ein Rechtsgutachten, das auch der Staatsanwaltschaft Hamburg zugeleitet wurde…Die Staatsanwaltschaft Hamburg hatte im Rahmen des vorliegenden Ermittlungsverfahrens mit Schreiben vom 11.8.2010 die Sozietät F. aufgefordert, unter anderem die Protokolle der geführten Interviews sowie in diesem Zusammenhang entstandene vorbereitende Unterlagen herauszugeben…”
Die Anwälte gaben nichts heraus. Darauf ließ die Staatsanwaltschaft die Unterlagen beschlagnahmen. Das LG lehnte die dagegen gerichtete Beschwerde ab. Alle, die bei den “vertraulichen” Anwaltsgesprächen ausgepackt haben, sind nun Gegenstand der Ermittlungen und haben sich bereits nackt ausgezogen. Elegant haben die Wirtschaftsanwälte das Auskunftsverweigerungsrecht aller Beschuldigten umgangen. Zynischer weise haben die Wirtschaftsanwälte argumentiert, die Unterklagen dürften nicht beschlagnahmt werden, weil man ein “mandatsähnliches Verhältnis” zu den Befragten (sic!) habe. Uff. Dazu haben wir keine eigenen Worte, als fragen wir das LG Hamburg:
“…Die Annahme eines solchen mandatsähnlichen Vertrauensverhältnisses zu den Beschuldigten liegt vorliegend aufgrund der Zielrichtung des Mandats fern. Der Zweck der Inanspruchnahme der Sozietät F. durch die H. N.-bank AG bestand darin, die Interessen der Bank gegenüber den an der Transaktion „O. …“ beteiligten Vorstandsmitgliedern – mithin gegenüber den Beschuldigten – im Hinblick auf etwaige Schadensersatz- oder sonstige Ansprüche zu vertreten, weshalb das Mandat auch in Vertretung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat (§ 112 AktG) erteilt wurde. Nach der Natur des Mandats befanden sich die Beschuldigten gegenüber der Sozietät F. gerade nicht in einer dem Auftraggeber vergleichbaren, „ratsuchenden“ Stellung. Vielmehr waren sie selbst im Hinblick auf mögliches Fehlverhalten Gegenstand der Untersuchung…”
Hatten ein paar Anwälte da -um es norddeutsch zu sagen – zu viel Bölkstoff intus? Unfein gesagt – das waren ja die Anwälte des Unternehmens, also der Gegner – aus Arbeitnehmersicht. Wer hätte etwas anderes gedacht?
Interne Ermittlungen sind das Geschäftsmodell im Rahmen des weiteren Geschäftsmodells “Compliance” (dazu gibt es noch viel zu sagen… ). So geht das alles nicht weiter.
Abgesehen davon, dass man keinem Arbeitnehmer raten kann, sich in solchen “internen” Ermittlungen überhaupt zu äußern: Das Verhalten der Rechtsanwälte gegenüber den Befragten darf man als standeswidrig einstufen. Sie haben als Organe der Rechtspflege den Eindruck erzeugt, sie seien in der Lage, Vertraulichkeit zuzusichern, obwohl weder der Befragte sie mandatiert hatte und obwohl jedermann mit juristischer Vorbildung klar war und sein musste, dass die Protokolle niemals beschlagnahmefrei sein könnten!
Zu den Motiven ist klar: Das geschieht, weil man sonst das erwähnte “Gutachten” (s.o.) gar nicht schreiben könnte (wie schreibt man ein “Gutachten” zu Aussagen – außer ein psychologisches?). Man will ein Geschäftsmodell abrechnen. Dazu nimmt man in Kauf, Dritte – die Arbeitnehmer des Unternehmens – kraft anwaltlicher Autorität zu täuschen und um ihre Existenz zu bringen – und einer Strafverfolgung auszusetzen. Dann behauptet man auch noch ein “mandatsähnliches” Verhältnis zu den Befragten, was nur die Frage aufwirft, an welcher Seite man jetzt Parteiverrat begeht. Das ist alles – schlicht unanständig. Ganz und gar.
Es wird sich das eine oder andere Opfer finden, das eine versierte Anwaltskanzlei hat. Also solche von der Sorte, die nur einem Herren dienen und wirkliche Mandate betreuen. Und die wird die Frage aufwerfen, ob der Arbeitgeber und – und! – die Rechtsanwälte nicht zum Ersatz des Schadens, und zwar auch des immateriellen, verpflichtet sind, der den Betroffenen entsteht. Vielleicht ebnet das den Weg für die Beseitigung einer importierten “Anwaltstätigkeit”, die in Europa niemand braucht. Nebenbei kann man eine Menge Geld sparen.