Titel:
Akt 1:
Ein Mitarbeiter eines bekannten Ostseefährunternehmens hatte eine Sicherheitslücke entdeckt. Mit einem sog. Check-Out-Ticket kam man vom Schiff runter und dann wieder rauf. Kostenlos. Wenn man z.B. an Land im attraktiven “Border Shop” noch einkaufen wollte. Diese Dinger also gab es für Passagiere, die mit ihrem Ticket bereits auf der Fähre angekommen waren, aber noch einmal kurz raus wollten. Eine Art Passierschein, sozusagen. Ausdrucke dieser Dinger und der echten Tickets sind sich zum Verwechseln ähnlich. Und sie sind natürlich kostenfrei. Oder waren es. Der Mitarbeiter gab barzahlenden Kunden statt eines Fährtickets – das z.B. 85 EUR kostete – einen solchen Passierschein. Die Kunden bemerkten da nichts. Und an Bord sind sie ja auch gekommen. Die Kohle steckte der Mitarbeiter sich ein.
Akt 2:
Wohin steckte er das Geld? Nun, wäre nebensächlich, es war ja Bargeld; gäbe es da nicht die putzige Feststelung aus dem Bericht, den die Lübecker Nachrichten über das Arbeitsgerichtsverfahren veröffentlicht haben:
In seinen Socken fand die Reederei bei seiner Überführung im Juli 2012 1870 Euro.
Kein gutes Versteck also.
Akt 3:
Aus mir unerfindlichen Gründen kam es nicht zu einer außergerichtlichen Einigung – im Sinne, dass der Mitarbeiter den – ja leicht auszurechnenden – Schaden bezahlt. Er ließ sich lieber verklagen. Auf eine Million, von denen das Unternehmen 770.000 EUR vom Arbeitsgericht Lübeck zugesprochen bekam. Das geht entgegen aller Unkenrufe zum Arbeitsrecht. Es stimmt natürlich: Wir haben das Zivilrecht geändert. Das kennt Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz. Im Arbeitsrecht unterscheiden wir „innerhalb“ der Fahrlässigkeit (nicht der groben, die ist extra) leichteste, mittlere und „normale“ Fahrlässigkeit, was indiziert, dass fahrlässig „normal“ – also die Norm – ist (sagen Sie das mal dem nächsten Strafverteidiger). Aber bei Vorsatz kennen wir keine Gnade, wer vorsätzlich schädigt, zahlt. Befriedigend. Rechtsfrieden.
Und ein Urteil, jur. ein „Titel“. Zum Vollstrecken.
Tapete:
War noch was?
Ja, das ist meist die Schattenseite. Gerade solche gut begründeten Großschäden lassen sich vor den Arbeitsgerichten gut durchsetzen. „Tapete“ ist bei diesen Summen nun aber das, was man aus dem Titel macht. Denn der Vollstreckungsversuch endet meist mit der Privatinsolvenz oder der Feststellung, dass der Schuldner unterhalb der Pfändungsfreigrenzen liegt, jetzt Hartz IV bezieht oder eine Adresse in Marbella hat, die sich bei näherer Untersuchung als Internetcafé herausstellt, in dem man ihn – angeblich – nicht kennt (so wie die zwei Autohändlerfreaks, gegen die ich seit 2001 einen Titel in der Akte habe…andere Geschichte).
Hoffentlich tun die Strafverfolger wenigstens etwas. Bei Strafverbüßung soll es keine Freigrenzen geben, Freiheitsstrafe ist Freiheitsstrafe. Habe ich gehört.
M.E. ist das das Amtsgericht Wedding. Frau Dr. S. Rehn vom Deutschen Museum in München meint zudem, es handle sich um das lange gesuchte Vorbild für MC Eschers "Relativität".