Man kann über die Dinger („Minijobs“, oder, obwohl die Grenzwerte längst darüber liegen, immer noch „400-EUR-Jobs“) ja denken, was man will. Bekanntlich sind sie für die einen die Pest und für die anderen das Allheilmittel auf dem Arbeitsmarkt. Ein sicherer Indikator dafür, dass sie weder das eine noch das andere sind und ihre Bedeutung eher mäßig ist. Eines sind sie auf jeden Fall, ein bürokratisches Abenteuer nämlich. Zu verstehen, wie Multi-Minijobber Urlaub bekommen, versteuert werden oder sozialversicherungspflichtig sind, das ist z.B. schon mehr als durchschnittlich arbeitsrechtlich-steuerrechtliches-sozialversicherungsrechtliches Handwerkszeug.
Jetzt müssen Arbeitgeber sogar um Schadensersatzforderungen bangen, die man ihnen anhängt, weil sie da einen Fehler machen. Diese Beschreibung ist zwar ein bisschen unehrlich, weil der Arbeitgeber es im Fall des LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 9.03.2012 – 6 Sa 608/11) schon darauf angelegt hatte…nur ein bisschen aber eben; der Arbeitnehmer übrigens auch…aber eben auch nur ein bisschen.
Die Vertragsgestaltung findet man tausendfach. Um in den Genuss von mehr netto zu kommen (Arbeitnehmer) und weniger Ärger zu haben (Arbeitgeber) wird ein „Arbeitszeitkonto“ eingeführt. Man arbeitet erst mal los und oh Schreck, da kommen im ersten Monat schon 800 EUR aus dem vereinbarten Stundenlohn zusammen. Kein Problem, das rechnen wir über Ihr Arbeitszeitkonto ab, meint die Personalstelle. 400 EUR ausgezahlt, auf „Minijobbasis“, 400 EUR gebunkert, zum späteren Abbau. Zu dem es nie kommt, denn man arbeitet auch im Folgemonat, im nächsten Monat und im übernächsten über Soll. Irgendwann zieht der Chef die Reißleine und meldet rückwirkend ein „normales“ sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis an. Hauptproblem: Das führt zur Nachversteuerung. Sozialversicherungsbeiträge für die Vergangenheit hat man der Klägerin auch abgezogen. Der Ehrlichkeit halber: Dass sie noch einen anderen Job auf “Lohnsteuerkarte” hatte, hat sie auch nicht sofort erzählt…
Diese „Mehrsteuer“ will die Arbeitnehmerin jetzt zurück. Anders als beim Arbeitsgericht – man staunt – spricht das LAG den Schadensersatz zu. Weil die Verletzung der gesetzlichen Lohn- und Sozialversicherungsvorschriften eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitgebers darstelle.
Das ist eine schöne Bescherung: Der Arbeitgeber zahlt doppelt; erst an das Finanzamt und die Sozialkassen, dann an den Arbeitnehmer dasselbe noch einmal – als Schadensersatz, weil der Arme ja nicht damit rechnen musste, dass sein Einkommen mit Abgaben belastet wird.
Grund, Abstand von Minijobs zu nehmen?
Eher ein unverständliches Fehlurteil, an dem so gut wie nichts richtig ist. Im Ernst!
Das LAG erinnert uns an den schlauen Mandanten eines Steuerberaters. Der hatte ihm eine ganz tolle Stuersparmöglichkeit vorgeschlagen, aber mit Unsicherheiten. Mandant augenzwinkernd:
„…dann zahlt’s der Steuerberater oder dessen Haftpflicht. Er hat’s ja empfohlen….“
So einfach ist es aber nicht. Das liegt schon am deutschen Schadensrecht. Nach der sog. Differenzhypothese muss man schauen, was man bei rechtmäßigem Verhalten vermögensmäßig gehabt hätte…also? Klar: Man hätte (höhere) Steuern gezahlt! Die sind dann wohl kaum ein Schaden. Die Abführung – rchtige Abführung – gesetzlicher Abgaben ist die Herstellung eines rechtmäßigen Zustands, kein Schaden.
Das Landesarbeitsgericht hat sich nicht nur dafür blind gemacht, sondern auch noch das BAG als Fürsprecher zitiert (Urteil vom 30. 4. 2008 – 5 AZR 725/07). Machen andere auch, aber dadurch wird es nicht richtiger. Das BAG meint in Juristensprech:
…Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Er ist vielmehr auf die steuer- und sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre auf Grund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand…
Dann kann es wohl auch keinen Schadensersatz geben, oder? Es stimmt: Das BAG macht im selben Absatz (Rd.-Nr. 25) die Bemerkung, der Arbeitgeber dürfe seinen Nebenpflichten nicht verletzen. Wie genau ein Schadensersatzanspruch dann aussieht, steht da aber nicht – dafür sagen die hohen Richter auch noch, Schadensersatz sei ausgeschlossen, wenn den Arbeitnehmer ein Mitverschulden träfe. Zynisch fast. Denn genau das haben die Berufungsrichter in Mainz festgestellt – aber den Anspruch nur gekürzt, nicht gestrichen.
Das soll nicht heißen, dass es keine Schäden geben kann. Ein Steuerschaden kann schon dann entstehen, wenn nach einem langen Streit ein Haufen Entgelt in einem einzigen Monat nachgezahlt wird; oder, wenn das Arbeitsentgelt durch einen Arbeitgeberfehler in einem Jahr eine bestimmte Grenze nachträglich überschreitet. Nur im Fall der Minijobberin…da will man nicht so recht an einen Schaden glauben.
Aber jetzt steht sie erst einmal, die Entscheidung. Sie wird die Zweifel und Probleme um den Minijob allenfalls verstärken. Dass man von Minijob-Arbeitszeitkonten die Finger lassen sollte, sollte aber bereits der gesunde Menschenverstand deutlich machen.